Im Tanelorn-Forum kam das Thema irgendwann auf MMORPGs, World of Warcraft, und die Tatsache, dass ich in WoW sehr gerne und sehr viel Rollenspiel betreibe. Daraufhin kam die Frage auf, wie Rollenspiel in World of Warcraft denn so aussehen könne, und so entstand dieses Diary, das ich nun auch hierher in das Blog übertrage. Wie ich schon im Tanelorn damals sagte, ist es nur ein Auszug aus dem größeren Ganzen, das die anderen in die Geschichte verwickelten Charaktere auch mit erleben, aber die einzelnen Fäden aller beteiligten Charaktere auch im Detail aufzuschreiben, würde zu weit führen, glaube ich.
Einige Vorbemerkungen. Der Charakter, von dem ich hier berichten werde, Shynassar Talamirrién, entstand ursprünglich nur als NSC, um den Hintergrund meines Hauptcharakters auf diesem Server, Svarric (der natürlich auch seine ganz eigenen RP-Erlebnisse hat, aber die sind eine Geschichte für einen anderen Tag), ein wenig „greifbarer“ zu gestalten. Svarric (mit vollem Namen Sevandai’iyarric Feylamdar Talamirrién, was er aber zutiefst hasst) war als Junge aus seinem unerträglichen adeligen Patrizier-Heim in Silvermoon geflohen und in Mulgore bei den Tauren gelandet, wo ihn der Windhoof-Clan aufnahm, ihm ein neues Heim gab, ihn zum Glauben an die Erdmutter brachte und schließlich adoptierte. Daher fühlt Svarric sich mehr als Tauren denn als Blutelfen und identifiziert sich viel mehr mit seinem taurischen Namen Lokyan-hil-Daldinya („Mit Adlern läuft er“) als mit dem seiner Geburt; Silvermoon und der elfische Pomp sind ihm zutiefst zuwider, und wenn es ihn denn doch einmal in seine alte Heimat treibt (was leider ob gewisser Geschehnisse, die hier zu weit führen würden, viel zu häufig für seinen Geschmack passiert), dann hält er es kaum in geschlossenen Räumen aus, sondern flüchtet zumindest für die Nacht in den Wald unter freien Himmel.
Derselbe Grund, der Svarric aus Silvermoon vertrieb, nämlich der Tod seiner Mutter und die damit verbundene extreme Veränderung zum Negativen seines Vaters, kombiniert mit der schon immer vorhandenen, aber nun noch stärker hervortretenden Intrigierfreude und schlichter Bosheit seines Bruders Sandovar, brachte den dritten Bruder, Shynassar (eben ihn, von dem ich hier erzählen will), ebenfalls zu einer Art Flucht. Shynassar allerdings verließ die Stadt nicht körperlich, wie Svarric, sondern verkroch sich immer mehr in seine geliebten Bücher, widmete sich bald ganz und gar der magischen Theorie und seinen Studien an der Magischen Akademie Silvermoons und wurde zum sprichwörtlichen zerstreuten Bücherwurm, vom weltfremden Naivling ganz zu schweigen.
Anfangs spielte ich, wie gesagt, nur Svarric, und seine Familienverhältnisse ebenso wie seine beiden Brüder existierten lediglich als Svarrics theoretischer Charakterhintergrund. Dann aber brachte ich einen guten Bekannten zum WoW-Spielen, und als ich ihm von dem Rollenspiel auf den Krallen erzählte und ein bisschen auf Svarrics Geschichte einging, hatte er die Idee, doch Sandovar zu erstellen und tatsächlich auftreten zu lassen. Das tat er, und er spielt Sandovar seit dem ersten Tag mit einer derartig unglaublichen Fiesheit, dass mir jedesmal vor Ehrfurcht schier der Atem stockt, wenn er sich wieder eine seiner Gemeinheiten einfallen lässt.
Dazu muss man wissen, dass Shynassar der älteste der drei Talamirrién-Brüder ist, Sandovar der zweitälteste und Svarric der jüngste. Lord Talamirrién, ihr Vater, hat einen Sitz im Hohen Rat von Silvermoon inne, den Shynassar erben wird, wenn der Vater einmal stirbt oder seinen Sitz freiwillig aufgibt.
Das kann Sandovar natürlich nicht auf sich sitzen lassen; er will diesen Sitz im Rat, will diese Macht, und dass er nur der Zweitälteste ist, das ist ihm herzlich egal.
Also heckte er den Plan aus, Shynassar (den ich inzwischen als Charakter erstellt und zu NSC-Zwecken nach Silvermoon gebracht hatte) zwar nicht umzubringen, sondern derart einzuschüchtern, dass dieser von sich aus auf sein Erbe verzichten würde. Dazu heuerte Sandovar die Kar’a Kal an, eine ziemlich üble Assassinengilde und Mafia-Verschnitt, und die wiederum gaben den eigentlichen Auftrag an ihr Mitglied Schimár Arima, gespielt von einer weiteren Freundin.
Schimár spionierte also Shynassars Lebensgewohnheiten aus und wollte ihm ein paar Tage später auflauern, als er gerade auf dem Royal Exchange von Silvermoon gemütlich auf einer Bank saß und – natürlich – die Nase in einem Buch über Magietheorie stecken hatte. Sie kam schon angeschlichen und hatte bereits den Dolch so gut wie erhoben, da wurde Shynassar von einer jungen Sin’dorja angesprochen, die den Buchtitel sah und ihn daraus leise zitieren hörte. Ehe Shynassar es sich versah, waren er und die Sin’dorja – ebenfalls eine Magierin – in ein angeregtes Gespräch über Magie vertieft – und Schimár, die logischerweise keine Zeugen dabei haben wollte, konnte erst einmal nichts weiter tun, als frustriert in ihrem Versteck zu bleiben und zuzuhören.
[Das war übrigens ein klassischer Fall von Spontan-RP: ich kannte die Magierin vorher überhaupt nicht, oder besser, ich hatte keine Ahnung, dass ein anderer Charakter von mir einen anderen Charakter jenes Spielers flüchtig kannte].
Der gelehrte Diskurs dauerte gut und gern eine Stunde, während der die Magierin – Lilié hieß sie, einfach nur Lilié, sie habe keinen Nachnamen, an den sie sich erinnere – unter anderem erzählte, dass sie teilweise zu spontan sei, dass sie nicht immer die volle Kontrolle über ihre Magie habe und so nur mittelmäßige Ergebnisse erziele. Shynassar hingegen gestand, bei ihm treffe genau das Gegenteil zu; er sei übermäßig von der Theorie beeinflusst, werde oft zu stark von der rigiden Kontrolle gehemmt, die er immer und jederzeit aufrecht erhalte. Das wiederum brachte den Sin’dor auf die Idee, sich doch wieder zu treffen und gemeinsam zu lernen, weil beide doch vielleicht von den Stärken des jeweils anderen profitieren könnten. Lilié stimmte zu, und die beiden Elfen vereinbarten ein Treffen. Doch dann verabschiedete die Magierin sich bald, weil sie für ihre Magistrix noch einen Auftrag zu erledigen habe und diese sehr streng sei.
Kaum war Lilié verschwunden, schlug Schimár zu. Sie stellte sich sehr geschickt dabei an, bedrohte Shynassar von hinten mit dem Dolch, verstellte ihre Stimme und achtete sehr darauf, dass der junge Talamirrién von ihr überhaupt nichts zu sehen bekam. Zugegebenermaßen wehrte Shynassar sich auch kaum bis gar nicht; zu überrumpelt war er von dem Überfall und zu naiv/hilflos war er da noch.
Die Schurkin brachte ihn an einen abgelegenen Ort in Silvermoon und begann dort, ihn systematisch zu bearbeiten: Drohungen auszusprechen, seinen Kopf mehrfach heftig gegen die Wand zu schlagen (so heftig, dass Shynassar von der Wunde über der Augenbraue eine Narbe zurückbehalten hat) und generell Sandovars Auftrag auszuführen; natürlich ohne dessen Namen zu nennen. Als sie von ihm verlangte, er solle seine Erstgeborenenrechte aufgeben, sprach Schimár immer nur in der Mehrzahl und „gewissen Parteien“, denen er ein Dorn im Auge sei.
Diese Einschüchterungstour ging eine ganze Weile so weiter, dann wurden Shynassars Fragen, seine Beteuerungen, dass er doch niemandem etwas wolle, und seine Schmerzenslaute draußen auf der Straße gehört: ausgerechnet von Tai Wirbelklinge, einem der beiden besten Freunde seines Bruders Svarric. Tai, seines Zeichens ebenfalls Schurke, kam nachsehen, was da los war, erfasste die Situation und überwältigte nun seinerseits Schimár [der Tai als Charakter bis dahin noch nicht begegnet war]. Dann erst merkte Tai, dass es sich bei ihrem Gefangen ja um einen Bekannten handelte, und so sandte er schleunigst Nachricht an Svarric [ich weiß gar nicht mehr, wie genau; es kann auch sein, dass Svarric „zufällig“ wieder einmal in Silvermoon war und just in dem Moment an dem Haus ankam, das Tai und Ryo Shirogane und er gemeinsam bewohnten (wenn man bei Svarrics Vorliebe für das Übernachten im Wald vor der Stadt und der Tatsache, dass er viel eher Mulgore als Heimat ansieht, in seinem Fall überhaupt von ‚bewohnen‘ sprechen kann), als auch Tai samt seiner Gefangenen und dem befreiten Shynassar dort auftauchte].
Svarric, der seit seinem Weggang kaum mit Shynassar zu tun gehabt hatte, aber für den dieser immerhin der einzige aus dem Talamirrién-Clan war, aus dem der Jäger sich überhaupt noch etwas machte, war entsprechend geschockt über den Überfall, hatte aber ebensowenig wie sein Bruder eine Ahnung, wer hinter dem Anschlag stecken könnte. Denn ja, auch klein Svarrikki ist grundsätzlich erst einmal viel zu gutherzig, um Sandovar eine solche Tat zuzutrauen – auch wenn vielleicht unterbewusst und unbemerkt doch so etwas wie ein leiser Verdacht in ihm aufkeimte. Denn immerhin hatte Sandovar bei einer anderen Gelegenheit schon einmal versucht, Svarric zu vergiften; oder besser, hatte ihn sogar vergiftet: sorgfältig abgemessen exakt so viel, dass Svarric gerade so nicht daran starb, aber dass es ihm noch etliche Tage so richtig schlecht gegangen wäre, wenn nicht ein zufällig vorbeikommender Paladin eingegriffen und seine Heilkräfte eingesetzt hätte.
Wie dem auch sei, während Svarric sich um seinen Bruder kümmerte, begann Tai Schimár zu verhören, bekam aber aus ihr nichts heraus, und Tai war zu sehr der Gentleman, um zu brutalen Methoden zu greifen. Aber die beiden Freunde griffen zu einer List, um mehr zu erfahren: Svarric tat so, als ginge es Shynassar schlechter, als dies tatsächlich der Fall war, und verließ unter diesem Vorwand das Haus, während Tai über seiner Wache „einschlief“ und die Schurkin „entkommen“ ließ. Dann folgte er ihr – abgehärtet und gefühllos mochte sie sein, aber doch noch immer sehr jung und in in solchen Dingen unerfahren, und so kam ihr an der Sache nichts verdächtig vor – und entdeckte auf diese Weise den Unterschlupf der Kar’a Kal in Silvermoon.
Das wiederum führte zu einer ganzen Reihe weiterer Plotverwicklungen (Tai, der seinen Bruder Sinestros, ebenfalls Schurke, um Hilfe bei der Informationsbeschaffung bat; wobei dieser aber derart brutal vorging, dass die beiden Brüder sich entzweiten; Schimár, die in den Kar’a Kal massiven Ärger (i.e. weitere brutale Bestrafungsmethoden; als ob es nicht gereicht hätte, dass Sinestros ihr das Handgelenk gebrochen hatte) bekam, weil sie a) bei der Sache mit Shynassar versagt und b) die Kar’a Kal exponiert hatte; was zusammen mit weiteren Ereignissen letzten Endes dazu führte, dass die von kleinsten Kindesbeinen an auf Gefühllosigkeit trainierte Schurkin langsam doch Gefühle entwickelte und ihren eigenen Tod vortäuschte, um der Assassinenbande zu entkommen, was wiederum Auswirkungen auf Svarric und seine Freunde hatte), die zu erzählen hier aber zu weit führen würde. Vielleicht, wenn Interesse besteht, mal gesondert.
Auf Schimár werde ich noch zurückkommen, aber vorläufig soll es genügen zu wissen, dass ihr Anschlag auf Shynassar zunächst einmal fehlgeschlagen war.
Fehlgeschlagen in zweierlei Hinsicht. Sandovar hatte sich mit diesem Attentat einen wahren Bärendienst erwiesen. Denn nicht nur war es Schimár nicht gelungen, den ältesten Talamirrién einzuschüchtern; das genaue Gegenteil war passiert. Zuvor hatte Shynassar nur in seinen Büchern, nur für seine Forschungen gelebt und überhaupt kein Interesse an seines Vaters Sitz im Rat von Silvermoon gehabt, hatte eigentlich für Sandovar überhaupt keine Bedrohung dargestellt. Nun jedoch begann er sich zu fragen, wem er da wohl ein solcher Dorn im Auge war und warum. Schimárs Überfall war ein Weckruf, ein erster Schritt weg von dem naiven Träumerling, der er war, hin zu dem Sin’dor, der er im Verlauf der nächsten Wochen und Monate werden würde. Und ohne diesen ersten Anstoß hätte er vielleicht, vermutlich sogar, auf die bald folgenden Ereignisse anders, deutlich passiver, reagiert.
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