Warnung für die Diaries zu „New Orleans – Tage des Teufels“:
Diese Geschichte ist ziemlich extrem, und auch ziemlich bitter. Es werden Themen wie Gewalt und Kindesmissbrauch angesprochen, und es kommt eine Vergewaltigung darin vor. Nicht explizit in den Diaries ausgesprochen, sondern nur angedeutet, aber diese Themen durchziehen die Geschichte. Ein oder zwei Sexszenen gibt es auch. Wer mit solchen Dingen ein Problem hat, sollte diese Beiträge vielleicht nicht lesen.
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Le Rêve Dernier
Als es endlich vorbei ist und der Teufel müde und satt vor sich hin summt wie eine alte Fliege, krieche ich zurück in die Stadt. Jemand schenkt mir eine Flasche alten Rotwein, muffig und stinkend, und ich trinke ihn hinunter. Danach ist es besser. Ich kaufe mir eine Flasche Kräuterbrand und trinke ihn, nicht viel langsamer. Langsam hört das Kreischen in meinem Kopf auf. Ich kann wieder gerade laufen, zumindest ein Stück.
Auf einer Parkbank treffe ich Antoine. Er ist betrunken, genau wie ich. Ich setze mich zu ihm. Er starrt meine Hände an.
„Was ist denn mit dir passiert?“, fragt er undeutlich.
Ich zucke die Achseln. „Ich habe für den Teufel gespielt.“ Meine eigene Stimme klingt schwer und belegt. Ich nehme einen Schluck aus dem Kanister mit Moonshine, die ich irgendwo gefunden habe.
„Das ist krass, mit dem Teufel“, entgegnet er. Aber er wirkt nicht ungläubig. Nur abgelenkt.
„Was ist denn los mit dir?“, frage ich. Er wirkt, als wollte er reden.
Will er auch. „Ich habe meine Mutter gesucht… weißt du, ich bin adoptiert.“ Er lacht bitter. „Aber ich habe nicht das gefunden, was ich erwartet habe.“
„Mütter sind schwierig“, stimme ich ihm vorsichtig zu. Ich frage mich, wie ich wäre, wenn ich Mutter nicht gekannt hätte. Wäre ich dann mehr wie Vater?
Er hat eine halbvolle Flasche Whiskey dabei und nimmt abwesend einen Schluck.
„In letzter Zeit sind so komische Sachen passiert“, fängt er zögernd an. „Also… Kram halt, okay?“
„Kram?“ Ich weiß nicht so recht, was er meint. Er weiß es wohl auch nicht.
„Ich weiß gar nicht, ob ich dir das erzählen sollte“, sagt er. „Du hältst mich nur für verrückt.“
Ich zucke die Schultern. „Ich bin verrückt“, meine ich sachlich. „Ich rede mit dem Teufel, erinnerst du dich?“
Er schaut mich unsicher an. So, als würde ich ihn vielleicht belügen. Dann gibt er sich einen Ruck.
„Also… da war diese Gang, die hinter mir her war“, fängt er an. „Ist ja egal, warum. Die wollten mich fertig machen, und ich rannte, so schnell ich konnte. Aber die waren mehr, und sie ließen nicht locker… ich rannte blindlings, keine Ahnung, wohin, bis ich nicht mehr konnte und mich in eine Einfahrt drückte… keine Chance, dass die mich nicht sehen würden, aber ich hab halt irgendwie gehofft, dass sie woanders lang rennen.“ Er nimmt noch einen Schluck und atmet tief durch. „Aber die standen da direkt vor mir, haben mich gesucht… Alter, ich sag dir, die hätten mich sehen müssen.“ Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Haben sie aber nicht. Als wär ich unsichtbar oder so was gewesen.“
Er will noch einen Zug aus seiner Flasche nehmen, aber sie ist leer. Kommentarlos biete ich ihm von dem Moonshine an, und er trinkt einen Schluck. Hustet ein bisschen.
„Ich wusste schon eine Weile, dass ich adoptiert bin“, fährt er fort. „Hat mich nie interessiert, wer meine biologischen Eltern waren… die wollten mich ja nicht.“
Ich erwarte einen Kommentar des Teufels. Dass meine Eltern mich ja auch nicht wollten, dass ich in Wirklichkeit sein und nicht Vaters Sohn bin. Aber es kommt nichts. Da, an der Stelle, an der der Teufel sonst sitzt, ist es ganz ruhig. Kein Geräusch, kein Rascheln, kein Flüstern, nichts. Nur Stille.
Verwirrt nehme ich einen großen Schluck Moonshine. Aber daran liegt es nicht. Ich glaube, es liegt an Antoine.
Er redet immer noch. Ich habe gar nicht zugehört. Unwillkürlich ducke ich mich. Ich muss zuhören, wenn die Leute mit mir sprechen. Sonst werden sie wütend. So wie Vater, mit seinem kalten Blick. Oder Mutter, mit ihren kalten Händen.
„…und dann habe ich herausgefunden, dass meine Mutter einen Club hat, ‚Le Chat Noir‘“, erzählt Antoine gerade. Ich erinnere mich. Er hat gesagt, dass er die Besitzerin sprechen will.
„Dann hab ich nach Soléne leGuir gefragt, und…. Du hast die doch gesehen, die sah doch nicht aus wie meine Mutter, oder?“ Soléne ist seine Mutter? Oh.
Er ist so aufgebracht, dass ich mich nicht auf meine eigenen Gedanken konzentrieren kann. Vorsorglich nehme ich noch einen Schluck Moonshine. Soll ich ihm erzählen, dass ich fast mit ihr… soll ich ihm von dem Hotelzimmer erzählen, oder ist das unangemessen? Ich habe keine Ahnung.
„Ich meine, sie ist so… heiß“, seine Hände zeichnen ihre Körperformen nach. Seine Augen starren mich ratlos an.
Ich nicke. „Ja“, stimme ich zu. „Sie ist sehr schön.“
Er schüttelt den Kopf.
„Ich kann das nicht fassen“, sagt er und nimmt mir den Moonshine weg. „Sie ist so… ich meine… wie geht denn das?“ Er nimmt einen tiefen Schluck, setzt ab und schaut den Plastikcontainer respektvoll an.
„Ich hab doch gesagt, sie ist kein Mensch“, werfe ich zaghaft ein. Einen Moment lang starrt er mich an, und mir wird bewusst, dass er viel größer und stärker ist als ich.
Aber er sagt nur verwundert: „Sie… du hattest recht, sie hat etwas mit mir gemacht, mich festgehalten oder… irgendwie… aber ich hab sie abgeschüttelt. Weggestoßen. Ich weiß nicht, wieso ich das konnte.“ Er nimmt noch einen Schluck. Scheint ihm zu schmecken.
„Hast du das Büro so verwüstet?“, frage ich. Vorsichtig. Aber auch neugierig. Und ich will auf jeden Fall, dass er da bleibt. Vielleicht ist es der Moonshine, der den Teufel fern hält, aber ich glaube, es liegt an ihm. Was auch immer er ist, der Teufel traut sich nicht in seine Nähe.
Antoine nickt betreten. „Ich wollte da nur weg… ich meine, sie war so…“, seine Hände fahren durch die Luft. Vielleicht will er ein Wort fangen. „…so heiß.“
Wir schweigen einen Moment. Beide in unserer Vorstellung von Soléne gefangen. Ich hätte sie nicht ‚heiß‘ genannt, dazu sind ihre Augen zu kalt, zu herzlos. Aber ich verstehe, was er meint. In ihr schläft etwas, wie ein gefangenes Feuer. Wie eine Glut unter der Asche.
„Wieso kann ich sowas?“, fragt Antoine mich. „Mich unsichtbar machen, Leute durch die Gegend werfen… mit meinen Gedanken… was bedeutet das? Ist das der Teufel?“
„Nein, nicht der Teufel“, sage ich bestimmt. Den kenne ich. Der fühlt sich anders an. Selbst wenn er freundlich sein will, klingt er überhaupt nicht wie Antoine. „Ich denke, du bist auch nicht ganz menschlich.“
„Ich bin ganz normal“, antwortet er schnell. Wie aus der Pistole geschossen. Als hätte er das schon oft gesagt.
„Deine Augen sind anders“, sage ich. Das fällt mir jetzt gerade auf, unter dem Mondlicht, mit dem Moonshine in meinem Bauch. Ohne die Stimme des Teufels an meinem Ohr. Es ist alles so friedlich. Ich lehne mich vorsichtig zurück und entspanne meine Schultern. Ein merkwürdiges Gefühl.
Antoine spürt diese Ruhe nicht. „Was meinst du, meine Augen sind anders?“, fragt er nervös, aufgebracht.
„Sie sind golden. Wie Bourbon.“
Ich muss an den ersten Bourbon denken, den ich getrunken habe. Vater hat ihn stehen lassen. Ein Anruf, etwas Wichtiges, rief ihn fort. Mutter war vor kurzem gestorben. Ich war vierzehn. Meine Ohren klingelten vom gellenden Geplapper des Teufels, aber für den Augenblick war er fort. Fasziniert streckte ich die Hand nach dem Glas aus. Die tiefgoldene Farbe zog mich an. Ich nahm einen Schluck. Er brannte sich wie Feuer durch meine Kehle. Meine Augen tränten, dann wurde mein Blick klarer. Noch ein Schluck, und das Geklingel in meinen Ohren wurde leiser. Als ich das Glas ausgetrunken hatte, war es verschwunden. Alles war ganz still und klar.
Das war das erste Mal, dass ich Vater bestahl. Ich nahm die halbvolle Flasche mit. Damals hielt sie fast einen ganzen Monat vor.
„Golden?“, fragt Antoine. „Meine Augen sind braun.“
„Nein, sie sind golden“, widerspreche ich. „Und die Pupille ist lang und geschlitzt. Wie bei einer Katze.“
Antoine schüttelt heftig den Kopf. Ich frage mich, warum. Er weiß doch längst, dass ich recht habe.
Er zieht ein langes, scharfes Messer aus der Tasche. Für einen Moment schrecke ich zurück, aber was soll er mir schon tun? Der Teufel ist nicht hier.
Aber er will mich nicht angreifen. Er will nur seine Augen betrachten. Das tut er eine Weile, dann greift er den Moonshine und trink mit großen Schlucken.
„Krass“, sagt er ungläubig und lässt sich neben mich auf die Bank fallen. „Alter.“
Wir sitzen eine Weile da und leeren gemeinsam den Container. Ich merke, dass Antoine leise einschläft. Das ist kein guter Ort dafür. Die Polizei macht hier morgens ihre Runden und sperrt alle Leute ein, die auf den Bänken schlafen. Mich auch, wenn sie mich finden.
Ich rüttle ihn sanft wach. Ich sollte ihn nach Hause bringen, aber ich weiß nicht, wo er wohnt. Eigentlich will ich ihn auch gar nicht weggehen lassen. Es ist selbstsüchtig von mir, aber es ist so still in mir, wenn er da ist. Also nehme ich ihn mit zu mir. Ist ja nicht weit weg. Ich rede mir ein, dass das auch für ihn gut ist.
In dem Haus am Fluss gibt es nur eine Matratze. Ich führe ihn hin. Er kuschelt sich in meine alten Decken und murmelt irgendetwas vor sich hin, was ich nicht verstehe. Macht nichts. Ich zögere. Ich würde so gern neben ihm liegen.
Ganz, ganz langsam und vorsichtig lege ich mich hin. Warte auf die Stimme des Teufels, die mich verhöhnt. Oder auf Antoines Hand, die mich zurückstößt. Nichts davon passiert. Ich liege neben ihm. Er seufzt leicht, dreht sich im Schlaf herum und legt seinen Arm über meine Brust. Ich schließe die Augen. Nur einen Moment will ich so liegenbleiben. Nur einen Augenblick.