Supernatural – Christmas in Hell

Es sind Teenager verschwunden. In einem Haus. Natürlich Teenager. Natürlich in einem Haus. Verdammt. Und natürlich zieht Ethan los, als er davon hört. Die Frage stellt sich gar nicht. Im College sind momentan ohnehin Weihnachtsferien. Keiner da. Weihnachten in Vermont oder in Connecticut, egal. Dort kann er vielleicht wenigstens wem helfen.

Baltic, Connecticut, ist ein kleiner Ort von etwa 1.000 Einwohnern. Bekannt für ein gewisses Spukhaus, wo im Winter 1927 schon mal Leute verschwunden sind. Der Rektor und zehn Schüler, die über die Weihnachtsferien in dem Internat geblieben waren. Seither niemand mehr, aber nichts, was man dort aufziehen wollte, klappte. Ha.

Baltic hat genau ein Motel, und dort trifft Ethan beim Einchecken auf niemand anderen als Irene Hooper-Winslow, die Britin vom Roten Haus und der Schießerei im Diner. Ethan hat gerade die Hand zu einem “Hi” erhoben und so etwas wie ein halbes Lächeln zustande bekommen, als Irene von einem anderen Typen angesprochen wird. Ethan bleibt stehen. Beobachtet. Der Kerl, vielleicht zehn Jahre älter als Ethan selbst, wirkt düster. Sehr düster. Unheimlich, um genau zu sein. Er hat nur eine Hand, einen Haken als Ersatz am anderen Arm, aber das ist es nicht einmal. Es ist die ganze Aura des Mannes, die Art, wie er Ethan anstarrt, als Irene ihm sichtlich erfreut zuwinkt. Als wolle er Ethan taxieren, einschätzen, wie gefährlich er als Gegner wäre. Wie schnell er ihn umbringen könnte, wenn nötig. Aber Irene scheint den Kerl zu kennen. Ethan erwidert seinen Blick ruhig. Abwartend. Nicht provozieren.

Offensichtlich sind sie alle drei aus demselben Grund hier. Na dann. Irene fragt nach einem “Konferenzzimmer”, was ihr große Augen seitens des Motelangestellten einbringt. Hätte Ethan ihr sagen können. Das hier ist ein Motel, Lady, und zwar ein völliges Standard-Motel in einer amerikanischen Kleinstadt. Sowas wie “Konferenzräume” gibt es hier nicht. “Zimmer?” schlägt er stattdessen vor, erntet aber nur eine hochgezogene Augenbraue. Immerhin bekommt die Britin schließlich ein Familienzimmer zugewiesen, das wohl ein bisschen größer ist als die Norm.

Ehe er Irene und den anderen Typen zur Lagebesprechung trifft, kundschaftet Ethan das Motel aus. Türen und Fluchtwege und Auffälligkeiten und so. Gibt aber nicht viel auszukundschaften. Alles normal.

Irene und der Typ sitzen schon in dem “Familienzimmer”, Irenes Sachen in unterschiedlichen Stadien des Ausgepacktseins auf dem Boden und dem Bett. Interessanterweise ist der herumliegende Laptop ausgeschaltet, und die beiden kritzeln stattdessen auf einem großen Malblock herum. Ethans Brauen wandern nach oben, aber er nickt dem Fremden nur zu und nennt seinen Namen. “Jackson”, erwidert der. Ah.
Aber vorher, an der Rezeption, hat Irene ihn “Barry” genannt. Na dann.

Man teilt das gemeinsame Wissen. Nicht viel mehr, als Ethan schon gehört hatte. 1905, katholisches Jungeninternat, 1927 zehn Schüler plus Rektor verschwunden. Die Schule machte es danach nicht mehr lange, diverse andere Unternehmen ebensowenig. Ruf als Spukhaus. Zwei Userinnen aus diesem Jäger-Forum, in dem Ethan sich gelegentlich herumtreibt, waren vor ein paar Jahren mal dort, da ist aber nichts groß passiert, außer dass ihnen unheimlich war und sie vor Nervosität Dinge preisgegeben haben, die sie normalerweise vermutlich nicht erwähnt hätten. Labertaschen.
Jackson, der als Privatdetektiv arbeitet, ist von der Familie eines der jetzt verschwundenen Mädchen angeheuert worden, um sie – oder idealerweise alle vier Teenager, zwei Jungen und zwei Mädchen – wiederzufinden.

Keine großen Pläne. Hin und nachsehen, die Teenager finden. Passt Ethan gut in den Kram. “Diesmal alle”, knurrt er, woraufhin von Jackson ein “Jap, das war der Plan” zurückkommt. Klar. Der Einhändige weiß ja nicht, was an Halloween passiert ist.

Ethan fährt. Passt ihm auch gut in den Kram. Das Haus liegt abseits vom Ort. Dunkler Wald, tiefer Schnee, dann schließlich ein großes Haus im Scheinwerferlicht. Déjà vu, irgendwie. “Wenigstens kein Lehm”, brummt Ethan. Irene nickt, Barry macht ein fragendes Gesicht, lässt es aber darauf beruhen. Und keine bläulich-öligen Schlieren. Kleine Gefallen, Dank, und so.

Vor dem Haus sitzt ein letzter einsamer Polizist in einem Auto Wache. Barry geht rüber, zeigt etwas vor (einen Ausweis, scheint es), der Polizist ruft wo an, dann winkt er die drei weiter. Kein Einbruch nötig. Auch gut.

Der letzte vergebliche Versuch, etwas aus dem Haus zu machen, war ein Hotel. 13, 14 Jahre her. In der Halle sieht man schon die Anfänge einer Rezeption, Eimer mit vertrockneter Farbe, herausgerissenes Paneel, halb verlegter Teppich. Staub und Dreck überall. Ja, man könnte sicherlich etwas Schönes hier draus machen. Die Bausubstanz sieht völlig intakt aus, die Proportionen des Gebäudes ziemlich ideal. Nur halt, tja. Gruselig hier.

Das Haus ist von der Polizei schon gründlich durchsucht worden. In einem der Zimmer hat man den Rucksack und die Handtasche von zwei der Jugendlichen gefunden. Der logischste Anfangspunkt für die Suche. In den Gängen jede Menge Graffiti, aber kaum eines beendet. So, als wären die Zeichner plötzlich abgehauen. Oder verschwunden. Nein, verschwunden ist ja seit 1927 niemand mehr. Zum Glück wohl doch nur abgehauen.

Im dem Zimmer sieht man noch, dass die Kids hier wohl eine Art Séance abhalten wollten. Kerzen, Ouija-Brett, Ritualkreis. Schlau. Tasche und Rucksack hat die Polizei einkassiert, aber da liegt noch eine Plastiktüte. Irene hebt sie auf, sieht hinein. Inhalt: eine hässliche Engelsfigur, irgendwie missgestaltet. An ihren Füßen eine Aufschrift . Die eigentliche Inschrift durchgestrichen, überschrieben mit den neuen Worten “Gott wäscht Sünden rein” oder sowas in der Art.

Als Irene die Figur berührt, beginnt das Haus zu beben. Irene bringt gerade noch die Worte “Déjà Vu” heraus, und Ethan kann eben noch nicken, da verschwimmt alles, und er findet sich in der Eingangshalle des Hauses wieder. Nur dass es nicht mehr die aufgegebene Baustelle von eben ist, sondern das Internat, wie es in den 1920ern ausgesehen haben muss. Nur kaputter. Modriger Geruch. Verwitterte Holzbohlen. Toll.

Barry hatte in dem Zimmer seine Tasche abgestellt, als Irene die Plastiktüte mit dem Engel fand. Die Tasche ist nirgendwo mehr zu sehen. Ethan, der in einer Hand die Flinte, in der anderen Hand die Lampe und die Tasche mit der Ausrüstung über der Schulter trägt, hat seine noch. Irene ihren Rucksack auch. Wenigstens etwas.

Auf der Treppe liegt eine Gestalt. Einer der Jungen, wie sich herausstellt. Tot. Verdammt. Erstaunlich wenig Blut dafür, dass ihm jemand mit langen Nägeln eine Art Engelsflügel in den Rücken geschlagen hat. Sieht aber auch nicht so aus, als sei der Junge – Lamar Bates, wenn man den Fotos glaubt – daran gestorben.

Schreie aus einem der Gänge. Eine weibliche, eine junge Stimme. Verdammt. Barry ist der erste, der in den Gang läuft. Barry ist der erste, den das schreiende Mädchen – schlank, braunhaarig – zu Gesicht bekommt. Sein “Wir wollen dir helfen!” hört sie nicht, sondern rennt mit noch lauterem Schreien zurück in die Richtung, aus der sie gekommen ist. Wo kurz darauf die Angstschreie zu Schmerzensschreien werden. Dann Stille.

Über dem Mädchen am Boden steht ein Hund. Ein Golden Retriever. Eine Hälfte sieht normal aus, aber als es sich umdreht, sieht man, dass dem Tier die halbe Schnauze fehlt und ein Bein unnatürlich abgeknickt ist. Das Biest hat soeben dem Mädchen die Kehle herausgerissen. Ethan denkt nicht lange nach. Zielt auch nicht lange. Schlägt den Hund stattdessen mit seinem Gewehr weg wie mit einem Baseballschläger. Als das Tier sich in einiger Entfernung wieder aufrichtet, schießt Jackson ihm in den Kopf. Ha.

Barry leistet erste Hilfe. Ethan kann sowas zwar auch, aber der Privatdetektiv ist sichtlich besser darin, trotz der fehlenden Hand. Nicht, dass man dem Mädchen noch groß helfen könnte. Der Hund hat ihr die Kehle herausgerissen, verdammt! Und trotzdem richtet der Teen sich auf, sieht sich panisch um. Stammelt etwas von “Goldie”. “Bist du Fay?”, fragt Irene, mehrmals, bis das Mädchen endlich nickt. Die Wunde ist völlig verschwunden.

Fay hat panisch geweitete Augen. Stammelt. Klammert sich an Irenes Jacke. Aber das bekommt Ethan gar nicht mehr so recht mit. Denn da, am Ende des Ganges, um eine Ecke oder durch eine Tür, verschwindet soeben eine Gestalt in einer lindgrünen Lederjacke. Einer lindgrünen Lederjacke, die Ethan nur allzu gut kennt. “Carla?”

Die Gestalt scheint kurz zu zögern, eilt dann weiter, verschwindet in dem Raum. Ethan rennt los, seine Begleiter, seine Aufgabe, völlig vergessen. “Carla!”

Das Zimmer ist ein Schlafsaal. Die Betten bezogen und unbenutzt, aber die Laken alt und staubig, mit Stockflecken besetzt. Ein modriger Geruch liegt in der Luft. Am hintersten Bett blitzt es im Schein seiner Taschenlampe grün auf. “Carla, warte!” Und die Gestalt bleibt stehen, dreht sich zu Ethan um. Sie ist es. Sie ist es!

Carla steht neben dem Bett, lächelt ihn an. Ethan geht auf sie zu, langsam, ungläubig. Sie ist es wirklich. Undeutlich geht in seinem Hinterkopf das Bewusstsein um, dass etwas nicht stimmen kann, denn der Blutfaden läuft ihr aus der Nase und an ihrem Mundwinkel herab, wie damals, und —

Carla legt die Hand an seine Wange, und Seligkeit durchflutet ihn. Ihre Lippen auf den seinen, während ihre Arme an seinen Seiten hinunterwandern, sich um ihn legen. Er schließt einen Moment lang die Augen, lehnt sich in die Umarmung. In seinem Hinterkopf ist die undeutliche Stimme noch immer am Reden, doch er kann die Worte nicht hören. Er ist gefangen in Carlas Gegenwart, ihrer Berührung, ihrem Duft. Sie zieht ihn zu sich auf das Bett hinab. Wann hat sie sich hingelegt? Egal. Er lässt sich hinunterziehen, nur allzu gerne.

Ihre Umarmung wird fester. Er lächelt. Küsst sie. Die Umarmung wird vage unangenehm. Die Stimme in seinem Hinterkopf redet lauter. Die Umarmung wird schmerzhaft. Die Stimme drängender. Ein stechend-glühender Druck. Etwas knackst. Eine Rippe. Oder drei. Gebrochen oder wenigstens angebrochen. Ethan blinzelt. Hört endlich auf die Stimme. Kommt zur Besinnung. Versucht sich loszumachen. Aber entweder sie ist zu stark oder er ist zu schwach oder er wehrt sich unbewusst nicht mit voller Kraft – was es auch ist, er kommt nicht los, ohne dass sie ihm mit ihren scharfen Fingernägeln noch ein paar tiefe Schrammen über den Rücken zieht. Er verzieht das Gesicht und unterdrückt ein Stöhnen, als die angebrochenen Rippen sich bemerkbar machen. Aber vor allem ist er erleichtert, von der Erscheinung losgekommen zu sein.

Als er wieder zu dem Bett sieht, ist Carla verschwunden. Stattdessen bemerkt er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Fährt herum und hechtet mit einem weiteren schmerzlichen Zischen – au, verdammt, die Rippen – nach seiner zu Boden gefallenen Flinte, aber es ist nur ein kleiner Junge. Naja. Nicht so klein. Dreizehn vielleicht. In altmodischer Kleidung. Er winkt Ethan zu, hektisch und verstohlen.

Ethan starrt ihn misstrauisch an, aber der Junge scheint harmlos. Er winkt erneut und zappelt nervös auf der Stelle, als wolle er jede Sekunde flüchten. Dann haut er tatsächlich ab, in Richtung der anderen Tür im Raum. Ethan wirft einen kurzen Blick über die Schulter zurück. Keine Spur von den anderen, nichts zu hören, und der Blick zeigt ihm, dass hinter der Tür, durch die er gekommen ist, nicht der Gang liegt, aus dem er gekommen ist. Ethan folgt dem Jungen. Der Kleine huscht vor ihm her, flink und schreckhaft wie ein kleiner Affe. In der Küche hält er an, verschwindet unter einem Tisch. Einem Tisch mit einem langen, weiß-stockfleckigen Tischtuch darauf. Unter das man nicht richtig sehen kann.

Mit dem Gewehrlauf hebt Ethan das Tischtuch an, linst misstrauisch darunter. Aber da ist nur der Junge, der ängstlich auf das Gewehr schaut. Ethan lässt die Waffe halb sinken und krabbelt dann selbst unter den Tisch. Sieht den Jungen fragend an. Der zeigt auf Ethan und stammelt etwas. Was er sagt, ist kaum auszumachen. Der Kleine hat lange, sehr lange, nicht mehr geredet. Aber es klingt ein bisschen wie “Fa-Heck”. “Verstecken?” Der Junge nickt eifrig und zeigt auf Ethan. “Amma!” sagt er, dann zeigt er auf sich selbst. “Huh-Hah!”

Ethan verengt die Augen. Versucht zu verstehen. “Huh-Hah?” Der Junge nickt wieder, die Augen voller Angst. “Ru-da.” Endlich begreift Ethan. “Bruder?” “Bru-da!” Ein Finger berührt ihn an der Brust. “Mama!” Oh Mann.

Ethan deutet auf sich selbst. “Ethan.” Er sieht sein Gegenüber fragend an. “Du?” “A-hie.” “Artie?” Der Junge nickt. “A-tie.” Er späht vorsichtig unter dem Tisch hervor, zupft Ethan dann am Hemd. “Hell!” Ethan folgt ihm, so schnell er kann, aber der Junge ist wirklich fix. Ethan ist selbst ja nicht ganz langsam auf den Beinen, aber gerade tut sein Brustkorb ziemlich weh. Artie muss mehrmals anhalten und auf den Jäger warten, bis sie schließlich an einem Klassenzimmer ankommen. Aus einem der Pulte holt Artie ein altes, oft gefaltetes Stück Papier und hält es Ethan hin.

Es ist ein Brief. Von Artie selbst, in irgendwie altmodischem Englisch, an wen auch immer. Darin beschreibt der Junge, wie er und seine Schulkameraden und der Rektor in dieser seltsamen Zwischenwelt gelandet sind, wo das Haus sie immer trennt und sie immer wieder sterben, aber auch immer wieder aufstehen. Bis auf Clarence und Peter jedenfalls. Der eine hat sich einfach hingesetzt, als die Ameisen kamen, und der andere ist gar nicht mehr vor seiner Mutter weggelaufen. Artie selbst wird von seinem Bruder verfolgt, aber er weiß gar nicht recht, warum. Er wusste noch nicht mal, dass er überhaupt einen Bruder hat. Aber der ist wegen ihm nicht geboren worden, wie es scheint, und jetzt verfolgt er ihn und will ihn umbringen. Und das Idol muss zerstört werden. Steht in dem Brief.

Als Ethan fertig ist, sieht der Junge ihn ängstlich und erwartungsvoll an. Ethan faltet den Brief wieder zusammen und nickt. “Niemand kriegt dich, Artie”, formuliert er sehr sorgfältig. “Wir bringen dich hier raus. Aber dazu muss ich erstmal meine Freunde finden.” Freunde. Hat er das gerade wirklich gesagt? Hat er. Huh.

Gemeinsam irren sie weiter durch die Gänge, bis sie in einem weiteren Schlafsaal landen. Artie taumelt. “Alles ok?” Der Junge sieht sich gehetzt um und schüttelt den Kopf. “Solchen… Durst…”

Verdammt. Klar. Nach, was, knapp hundert Jahren in diesem Höllenhaus? Ethan kramt in seiner Tasche herum. Findet das Weihwasser. Kniet sich vor dem Jungen hin und reicht ihm die Flasche. “Langsam.” Hält Arties Hände fest, als der Kleine die Flasche natürlich doch in einem Zug leeren will. “Langsam. Spuckst sonst alles wieder aus.”

Da. Ein Hauch von Parfum, leicht und blumig. So perfekt in diese Umgebung eingepasst, dass Ethan erst gar nicht auffällt, wie der Duft stärker wird. Ein Bild zieht vor seinen Augen auf. Sommer. Sonntag morgen. Carlas Arme, die sich von hinten um ihn legen, ihr Kinn auf seiner Schulter. Ihr leises Lachen in seinem Ohr, der zarte Duft ihres Parfums. Ihres frisch gewaschenen Haars. Seligkeit.

Mit einem Lächeln öffnet er die Augen. Sieht in Arties schreckensbleiches Gesicht. Die Flasche mit dem Weihwasser ist zu Boden gefallen. Zersprungen. Und Carlas Arme, die ihn umschlingen, drücken wieder zu. Mörderisch fest. Auf seine ohnehin schon angebrochenen Rippen.

Irgendwie gelingt es Ethan, sich loszumachen. Aber das bringt ihm mindestens einen schmerzhaften Bluterguss ein, wenn es nicht seine angeknacksten Rippen vollends bricht. Sein Brustkorb tut höllisch weh.

“Ich habe dich geliebt. So sehr. Aber du bist nicht Carla”, presst er hervor. Trotz allem kann er sich nicht dazu durchringen, sie anzugreifen. Hält nur Abstand. “Carla ist tot.”

Sie lächelt milde. “Richtig. Und du hast mich getötet.”
Wieder schließt er die Augen. “Glaub nicht, dass ich das nicht weiß. Glaub nicht, dass ich nicht daran denke. Jeden einzelnen Tag.”
“Bleib bei mir”, wispert Carla. “Hier können wir zusammen sein…”

Er denkt darüber nach. Er denkt tatsächlich darüber nach. Aber dann atmet er tief durch. Schüttelt den Kopf. “Ich muss noch leben, Carla.”
“Du musst sterben”, sagt sie ernst. “Wieder und wieder. Nur wenn du oft genug gestorben bist, kann deine Seele wieder rein werden…”

“Nein”, wiederholt er, und Carla springt mit einem wütenden Aufschrei auf ihn los. Aber plötzlich ist Barry Jackson da. Steht zwischen Ethan und Carla. Wachsam, den Revolver gezogen, bereit, den anderen zu verteidigen. Aber auch irgendwie zappelig. Sehr zappelig. Viel nervöser, als Ethan ihn bisher kennengelernt hat. Ethan blinzelt, wie eine Feder gespannt, selbst zur Verteidigung bereit, und verwundert darüber, dass Jackson ihm auf diese Weise zur Seite steht. Vor allem verwundert. Aber mitten im Sprung ist Carla verschwunden.

Ethan atmet durch. Dreht sich zu Artie um, will den Jungen beruhigen. Aber dessen Gesicht ist immer noch bleich, die Augen immer noch vor Schreck geweitet. Nur dass er jetzt nicht mehr dahin sieht, wo Carla eben noch war. Sondern zur Tür.

Dort, in der Tür, steht ein Junge. Gekleidet in dieselbe Art von altmodischen Kleidern wie Artie. Nein. Gekleidet in exakt dieselben Kleider wie Artie. Und er sieht aus wie Artie. Er sieht aufs Haar genauso aus wie Artie. Der nicht geborene Bruder. “Lauft!”

Sie laufen.

Sie irren durch Gänge und Zimmer. Ziellos, bis Kampfgeräusche sie in eine Richtung ziehen. Kampfgeräusche und der gehetzte Ruf einer Frauenstimme. “LOS!” Irene. Irene, die mit einem kräftigen, dunkelhäutigen Mann ringt, während ein blondes Mädchen mit offenem Mund daneben steht. Tasha Baird, laut Foto. Bei dem Mann dauert es einen Moment länger, ehe Ethan weiß, wen er vor sich hat. Der Kerl ist jünger und sein Gesicht nicht so verkniffen, wie Ethan es kennt. Und die Gestalt trägt leuchtende Engelsflügel. Aber es ist deVries.

Ethan muss all seine Kraft aufwenden, um Irene aus dem Kampf mit deVries zu ziehen. Jackson schießt, sobald er freie Sicht hat. Trifft den Engel. Und der verschwindet. Mit einem abschätzigen, verächtlichen Blick auf Irene.

Aus der Hosentasche zieht Jackson, immer noch so zappelig und aufgekratzt, einen Beutel. Streut hastig einen Salzkreis um sie alle. Die Erscheinungen hier sind keine Geister im eigentlichen Sinne. Aber im Salzkreis fühlen sich trotzdem alle etwas wohler. Klar ist, dass sie alle von etwas angegriffen werden, an dem sie schuldig sind. Und Barry ist von seiner eigenen Erscheinung mit einem Aufputschmittel vollgepumpt worden, scheint es. Wer auch immer das war. Das erklärt jedenfalls seine Fahrigkeit.

Ethan fängt an, von Artie und Clarence und Peter zu erzählen. Fühlt sich unwohl mit so vielen Worten, auch wenn er heute so viel geredet hat wie gefühlt seit Jahren nicht. Seit… seit Carla. Er bricht ab, hält stattdessen einfach Barry Arties Schreiben hin. Aber der andere nimmt den Zettel nicht, sondern starrt Ethan mit einem wilden, beinahe panischen Blick an. “Peter? Pete, hier? Wo?! Ich muss ihn finden!”

Ein stirnrunzelndes “hm?” von Ethan und zwei redefreudigere Nachfragen von Irene später ist das Missverständnis ausgeräumt. Nicht Barrys Sohn Peter. Arties Mitschüler Peter. Ethan hält dem Privatdetektiv den Brief wieder hin, und jetzt nimmt Barry ihn und liest. Gibt dann auch Irene das Blatt.

Das Idol zerstören, sagt der Brief. Was für ein Idol das sein soll, ist allen sofort klar. Der hässliche Engel aus der Plastiktüte. Den der Rektor hat. Als Ethan danach fragt, weiß Artie, wo es zum Rektor geht. Der Kleine kennt sich in diesem sich ständig verändernden Haus tatsächlich richtig gut aus. Aber er wirkt immer noch sehr verängstigt und vor allem immer noch ziemlich schwach auf den Beinen. “Hat wer was zu trinken?”
Barrys Tasche ist ja in der richtigen Welt geblieben, aber Irene hat Weihwasser. Ethan reicht Artie die Flasche. “Nicht vergessen. Langsam.”

Sie sitzen noch in dem Salzkreis, da schreit Tasha plötzlich auf. Fällt nach hinten. Lange, schwarze Haare sind von irgendwo herangekrochen, haben sich um Tashas Bein gewickelt. Ziehen sie zurück. Haare? Was zum… Irene geht auf den Haarwust los. Sie wirkt nicht überrascht von dem, was sie da sieht. Barry schon, handelt aber genauso schnell. Versucht, Tasha mit seiner Hakenhand irgendwie festzuhalten. Aber dafür ist der Haken nicht gemacht, und die Manschette lockert sich. Ethan hingegen hechtet dem Mädchen hinterher. Verfängt sich selbst schmerzhaft in den lebendigen, würgenden Haaren, aber gemeinsam befreien sie Tasha doch. Mehr blaue Flecken. Verdammt. Inzwischen tut jeder Atemzug weh.

Jetzt aber. “Rektor?” Artie huscht wieder voraus. Richtung Rektor. Hofft Ethan jedenfalls, aber er vertraut dem Kleinen. Würde ihn am liebsten hinter sich halten und selbst als erster gehen, aber dafür ist der Junge zu flink. Dann muss er eben so nah hinter ihm bleiben, wie es geht. Irene folgt mit Tasha in der Mitte. Barry gibt die Nachhut.

Mitte oder nicht, plötzlich wird die Britin durch eine offene Tür gezerrt, ehe einer von den anderen reagieren kann. Als die Männer in den Raum stürmen, steht deVries in unnatürlicher Entfernung – so weit kann er in der Sekunde nicht gekommen sein! – am anderen Ende des Zimmers. Er hält Irene gepackt und zischt ihr etwas zu. “Willst du wissen, wie es sich angefühlt hat, nicht einmal mehr deinen Namen wispern zu können, weil meine Kehle durchschnitten war? Lass es mich dir zeigen…”

DeVries hält einen silbrigen Gegenstand, den Ethan schon bei dem Kampf in dem Diner an ihm gesehen hat. Das Kreuz. Die Waffe, mit der er Irene auch schon im Diner ziemlich übel verletzt hat. Jetzt hebt er die Hand und schwingt das Kreuz in Richtung Irenes Hals. Es scheint Ethan nicht einmal so, als habe der Hieb sie getroffen, aber die Britin reißt die Hände an den Hals und geht in die Knie, als sei es doch so.

“Marcus…” Ein Stöhnen, vermischt mit einem Schmerzensschrei. Barry fackelt nicht lange. Schießt auf den dunkelhäutigen Engel. Aber der verschwindet. Und Jacksons Kugel fährt in die Schulter des braunhaarigen Mädchens, das hinter ihm stand und jetzt mit geschocktem Gesicht die Hand an die Wunde hebt. Das Mädchen mit dem Hund. Fay Gaines.

Die Kleine sieht schwer mitgenommen aus. Nicht ganz bei sich. Hält nur die Hand auf den Einschuss und sieht Barry aus großen Augen an. “Warum?”
Jackson wirkt erschrocken, aber nicht übermäßig entsetzt oder schuldbewusst. “Unfälle passieren. Tut mir leid.”

Dann versorgt der Privatdetektiv Fays Schulter notdürftig. Auch Irene scheint sich wieder einigermaßen gefangen zu haben. Zumindest hat sie keine sichtbare Wunde an der Kehle. Kurz drückt die Britin Barrys Hand. Überhaupt wirken beide Jäger etwas zittrig, deswegen legt Ethan Irene unbeholfen eine Hand auf die Schulter, ehe alle durchatmen und sie sich wieder auf den Weg machen, Artie sie weiter durch die Gänge führt.

An der Treppe – mehr eine Leiter – zum Uhrturm hält der Junge inne und deutet. “O-bn.”
Und tatsächlich ist von oben leises Murmeln zu hören. Nicht so genau zu verstehen, aber irgendwas von “Kinderchen” und “muss Flügel machen”. Kurz entschlossen klettert Barry als erster hinauf. Ethan folgt etwas langsamer und auf seine schmerzenden Rippen bedacht, während Irene unten bei den Jugendlichen bleibt.

Im Raum oben herrscht ein seltsames Licht. Als würde er von außen beleuchtet, und dabei ist es Nacht. An den Wänden des Turmzimmers verteilt hängen Kinderleichen. Neun an der Zahl, in altmodischer Kleidung. Drapiert. Beinahe malerisch. Alle tragen diese aus Stäben und Stoff gefertigten Flügel. Und alle tragen sie einen befreiten, friedlichen Gesichtsausdruck. Auch Lamar, dessen Leiche in einer Ecke liegt.

Das wirre Gemurmel kommt von einem verhärmten, nackten Mann, dem eine zerbrochene Nickelbrille schief auf dem Gesicht sitzt und auf dessen Brust an einer Kordel ein hölzernes Kruzifix baumelt. Er bemerkt weder Barry noch Ethan, so versunken ist er in sein Tun – er bastelt gerade einen weiteren dieser Engelsflügel. Der Rektor.

Die beiden Männer sehen sich nicht an. Zögern keine Sekunde. Erst Barrys Revolver, und einen Moment später auch Ethans Gewehr, gehen los, treffen den Kerl in Kopf und Brust. Das Brabbeln bricht ab, als der Rektor zu Boden geht, mausetot.

Artie, der hinter Ethan nach oben gekommen ist, starrt geschockt auf die Waffen und die Leiche seines Schulleiters. Aber schon richtet der Nackte sich wieder auf, als sei nichts geschehen. Die Schusswunden sind verschwunden. Der Rektor schüttelt kurz den Kopf, brabbelt schon wieder. “Die Kinderlein!”

Offensichtlich hat Jackson genug von dem Mist. Mit zwei schnellen Schritten ist er bei dem Mann und hat ihn gepackt. Die Revolvermündung zeigt auf seine Schläfe. “Wo finden wir das Idol?”

“Die Kindlein… Lasset die Kindlein zu mir kommen!”
Barrys Revolver bohrt sich fester in die Schläfe des Rektors. “Wo ist das Idol?” Endlich flackern die Augen des Wahnsinnigen zu Barry hinüber, scheinen die Frage zu registrieren. “In der Kapelle…”

In diesem Moment tauchen aus den dunklen Ecken des Raumes Gestalten auf. Kleine Gestalten. Viele Gestalten. Puppengroße Kinderfiguren, die erschreckend schnell auf sie zugewuselt kommen. Der Rektor steht nur da. “Lasst sie… lasst mich… lasst sie mich haben… sonst holen sie euch…”

Jackson fackelt nicht lange. Stößt den Mann die Treppe hinunter, weg von den Kinderpuppen. Bedeutet dann Ethan, mit Artie als nächster zu gehen, während er die Nachhut bildet, vorher aber noch die Falltür zum Turmzimmer zuzuziehen versucht. Was dummerweise die kleinen Gestalten nicht daran hindert, ihnen weiter hinterher zu kommen.

Unten ist der Wahnsinnige noch immer dabei, von “verdient” und “der Herrgott will es” zu faseln. Irene geht das Gebrabbel anscheinend derart auf die Nerven, dass sie den am Boden liegenden Mann heftig in die Seite tritt. Das passt Barry, der gerade den letzten Schritt von der Leiter tut, gar nicht. “Hey!”

Ethan hat sich indessen zu Artie gewandt. “Weißt du den Weg zur Kapelle?” Der Junge nickt, aber er wirkt kreuzunglücklich dabei. “Muss Kapelle?” fragt er leise. Ethan nickt. Schenkt dem Kleinen ein, wie er hofft, aufmunterndes Lächeln. “Nur so kommen wir hier raus.”

Verfolgt von den kleinen Kindergestalten eilen sie los. Ethan hält Arties Hand, während Irene die Mädchen neben sich hat und Barry den Rektor vor sich her scheucht. Der sieht sich immer wieder gehetzt nach seinen Verfolgern um und stammelt ständig weiter etwas von “Lasst sie… lasst sie mich holen…”, aber irgendwann geben die Puppenfiguren tatsächlich die Verfolgung auf. Verschwinden wie die Kakerlaken in irgendwelchen Ecken und Ritzen, in die sie gar nicht passen dürften.

Eines der Klassenzimmer, durch das sie kommen, ist offenbar der Kunstsaal. In einer Ecke bewegt sich etwas, ertönt plötzlich ein erstickter Aufschrei, dann wird mit voller Wucht eine Staffelei über Jacksons Kopf gedroschen.

Zum Glück ist die volle Wucht doch nicht ganz so voll, denn der Staffeleischwinger ist ein, wenn auch durchaus kräftiger und trainierter, Teenager. Barry redet beruhigend auf ihn ein, aber das hilft nicht viel. “Geht weg! Lasst mich alle in Ruhe!”
Es bedarf des Anblicks von Tasha und Fay, ehe der Jugendliche sich beruhigt, und dann liegen er und das blonde Mädchen sich in den Armen, und der Junge – Miguel – ist sich nicht zu schade, offen zu weinen, aus Erleichterung und aus Trauer, als er von Lamar hört. Gut für ihn.

Die Tür zur Kapelle steht offen. Beinahe einladend. Klassische Bauweise. Vorne das Pult, von einem Mittelgang getrennte Bankreihen. Vermoderte Gebetbücher. In einer Ecke der Weihnachtsbaum, die Nadeln verdorrt und größtenteils abgefallen. In ausgebleichtem Papier verpackte Geschenke darunter. Und an der Spitze des Baumes prangt die Figur aus der Plastiktüte. Der hässliche Weihnachtsengel. Oder was auch immer das sein soll.

Ethan macht Anstalten hinzulaufen, während Jackson den Revolver hebt, um den Engel vom Baum zu schießen, da trifft es sie. Sie alle. Eine Welle, ein Tsunami der Schuld. Eine Sintflut. Ethan bricht in die Knie unter all den Dingen, die er sich vorzuwerfen hat. Der Tod von Jack. Der Verlust von Emily und Eunice. Dass er Felicity gegenüber nicht offen war. Dass er nie wieder mit seiner Familie in Kontakt getreten ist. Und alles andere. Kleinigkeiten zumeist. Aber vieles. So vieles. Und Carla. Allem voran Carla.

Es wäre leicht, jetzt loszulassen. So leicht. Er hat es verdient. Oh Gott, Carla, Carlas Erscheinung, hatte recht. Wenn er es nur akzeptiert, vielleicht wird seine Seele dann gereinigt. Anderenfalls ist er auf immer verloren. Wenn sie jetzt erscheint, wird er sich nicht wehren. Er hat es verdient. Es ist besser so.

Aus den Augenwinkeln sieht er die anderen. Den Rektor, der sich wimmernd und mit den Händen über den Ohren auf dem Boden windet. Die Teenager, von ihrer persönlichen Schuld niedergehalten. Und Artie. Der Junge liegt da in Embryohaltung, die Beine eng an die Brust gezogen, die Augen fest zusammengekniffen, zitternd. Artie.

Er kann jetzt nicht aufgeben. Wie er zu der Carla-Gestalt sagte. Er muss noch leben. Er jagt all diese Monster, tut all diese Dinge, damit es niemand anderer muss. Damit alle anderen – diese unschuldigen Kinder, die nie jemandem etwas getan haben – die Chance auf ein Leben in Frieden haben. Die er nicht hat. Nicht haben kann. Aber so ist es nun einmal. Ja, er hat Carla getötet. Aber dessen ist er sich bewusst. Und dafür zahlt er. Jeden Tag. Ethan stemmt sich gegen die Flut, richtet sich mühsam auf.
“Nein!”

Barry und Irene haben sich schon wieder halbwegs gefangen. Mit etwas zittriger Hand, trotzdem treffsicher genug, schießt Jackson den Engel vom Baum, während Ethan hinstolpert und die Figur aufhebt. Und als er das tut, eher er das verdammte Ding noch in zwei Stücke brechen kann, bebt das Haus um sie her, und die Umgebung verschwimmt, und als das Haus aufgehört hat zu beben und die Umgebung wieder fest geworden ist, sind sie in dem Klassenraum mit den Farbeimern und dem Ritualkreis und Barrys Tasche. Zurück in der richtigen Welt. Allesamt. Die Jäger. Die Teenager. Und auch Artie und der Rektor. Von dem hässlichen Engel ist keine Spur zu sehen.

Der Schulleiter wiegt sich stammelnd vor und zurück, aber alles ignoriert ihn. Artie allerdings sieht nicht viel besser aus, und so kniet Ethan sich zu dem Jungen und nimmt ihn schweigend in die Arme. Artie lehnt sich zitternd gegen ihn, und Ethan macht leise summende, beruhigende Geräusche tief unten in der Kehle.

Auf die anderen achtet er dabei erst einmal nicht. Aber nach einigen Minuten sind alle wieder soweit beieinander, dass sie ein wenig klarer denken können. Barry kramt sein Handy heraus und ruft einen Krankenwagen und die Polizei, in der Reihenfolge. Eigentlich hätten sie erwartet, dass der Beamte, der draußen das Haus bewacht hat, als erster hereinkommt, aber das passiert nicht. Und als die Polizei dann eintrifft, stellt sich auch heraus, warum. Es ist der 25. Dezember. Aufgebrochen waren sie am 22. Drei Tage in diesem Höllenhaus? Verdammt. Aber egal. Weihnachten gefeiert hätte Ethan sowieso nicht groß.

Barry hingegen wirkt ziemlich aufgelöst, als er von der Zeitverschiebung erfährt. Hatte anscheinend gehofft, über die Feiertage bei seiner Familie sein zu können. Verständlich, wenn man denn eine hat. Und der Jäger ist ja noch immer aufgeputscht von der Droge, die man ihm gespritzt hat.

Ethans Brustkorb schmerzt höllisch, und er ist dankbar für den Krankenwagen und die darauf folgende ärztliche Versorgung. Er ist mitgenommen genug, dass sie ihn zumindest mal über Nacht dabehalten wollen, und Ethan wehrt sich nicht gegen den Vorschlag. Auch wenn das heißt, dass er einer polizeilichen Aussage nicht entgehen wird. Aber er wird ja auch nicht gesucht. Nicht direkt, jedenfalls.

Irene hingegen hat da ein kleines Problem, scheint es. Mit einem schiefen Lächeln und einem “bald mal wieder, Gentlemen. Es war nett”, verabschiedet sie sich von den beiden Männern und setzt sich ab, ehe sie in die Verlegenheit kommen kann, von der Polizei befragt zu werden.

Auch Barry will baldmöglichst aufbrechen, um wenigstens den Rest der Feiertage mit seiner Familie zu verbringen. Aber vorher tauscht er mit Ethan noch Kontaktdaten aus. Und ein fragendes Gesicht. “Was wird mit Artie?”

Ethan kann nur mit den Schultern zucken. “Weiß nicht. Er… Kennt ihn ja keiner. Keine Papiere. Behörden. Und dann…” Er hebt wieder die Schultern. Macht eine hilflose Handbewegung. “Keine Ahnung. Ich…”

Ich würde ihn liebend gern zu mir nehmen, will er sagen. Ich würde mein Bestes tun, ihm ein guter, ein fürsorglicher Ersatzvater zu sein. Aber sieh mich doch an. Wie ich drauf bin. Was für ein Leben ich führe. Artie hat ein schweres psychisches Trauma. Wer weiß, wie lange es dauert, bis er da rauskommt. Ob er da überhaupt jemals wieder rauskommt. Der braucht jetzt alles mögliche. Aber so jemanden wie mich braucht er jetzt garantiert nicht.

Die Worte wollen nicht kommen. Aber Jackson scheint trotzdem eine ungefähre Ahnung davon zu haben, was Ethan da gerade alles nicht gesagt hat.
“Ich müsste mit meiner Frau reden. Aber vielleicht können wir ihn zu uns nehmen. Als Pflegekind oder so.”

Ethan stutzt überrascht, dann spürt er, wie seine Mundwinkel zu einem dankbaren Lächeln nach oben wandern. “Das. Das wäre schön. Wenn das geht.”
“Ich weiß nicht. Wie gesagt, ich muss mit meiner Frau reden. Aber vielleicht kommt ihr uns besuchen, wenn Artie den Bürokratie-Wahnsinn fürs erste hinter sich gebracht hat?”
Ethan nickt. Bekommt noch ein Lächeln zustande. “Gern.”

Artie sitzt in seinem Krankenhausbett, klein und verloren inmitten all der blinkenden Geräte. Die Ärzte haben neben seiner Sprachverstümmelung und seinen psychischen Problemen – die man momentan vage als von Kaspar-Hauser-artiger Vernachlässigung verursacht diagnostiziert hat – auch schwere Mangelerscheinungen und Dehydration festgestellt, und es wird eindeutig einige Tage dauern, bis sie den Jungen entlassen und die bürokratischen Mühlen zu mahlen beginnen.
“I-an?”
“Ich bin hier.”
“Eibssu ei ia?”

Als er sich zu dem Jungen ans Bett setzt, spürt er einen Moment lang Carlas Duft in seiner Nase, die Berührung ihres rotbraunen Haars an seiner Wange.
Ich habe dich getötet. Ich weiß. Ich liebe dich.

Ethan drückt Arties Hand. “Ich bleibe.”

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9 Antworten zu “Supernatural – Christmas in Hell

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  5. ein Tsunami der Schuld….Wieder ein cooler Ausdruck….
    Hat mir auch gut gefallen. :-)

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