Drachenzwinge-Con 2017

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Dass ich regelmäßig auf die Tanelorn-Treffen fahre und hinterher meist zumindest einen Kurzbericht von den dort gespielten Runden zu verfassen versuche, ist ja kein Geheimnis. Dieses Jahr gab es aber eine Neuheit für mich, und zwar habe ich Anfang Mai zum ersten Mal an der von der Drachenzwinge einmal im Jahr veranstalteten DZ-Con teilgenommen. Das war eine sehr coole Erfahrung, vor allem, weil der Teilnehmerkreis sich doch um einiges von den üblichen Verdächtigen der Tanelorn-Treffen unterschied und ich so zahlreiche sehr nette neue Leute kennenlernen konnte, aber auch, weil die DZ-Con einen Tag länger geht als die Tanelorn-Treffen und es so mehr Gelegenheit zum Spielen gibt. Schön war, dass ich wenigstens die Location schon kannte, weil das Gut Dankerode ja auch der Ausweichort für das Tanelorn-Treffen im Februar gewesen war.

Donnerstag Abend: Ten Candles

Nachdem ich auf dem Weg zum Ponyhof in einen fiesen Stau geraten war und erst um 20 Uhr überhaupt auf dem Gut ankam, war ich ganz dankbar, dass die erste Session des Treffens erst um 21:30 Uhr beginnen sollte und es 22:00 Uhr wurde, bis es tatsächlich losging. Bei ScarSacul als SL spielten wir Ten Candles, ein Indie-Rollenspiel, von dem ich schon einiges gehört hatte, das ich aber bis dahin noch nicht aus eigener Anschauung kannte. Eine Beschreibung des Systems und ein kleiner Bericht über unsere Runde findet sich hier.

Freitag Mittag: Itras By

Wie es einem den Plot sprengt oder: Warum ich Itras By-Abenteuer nur rudimentär vorbereite.

Nicht nur auf dem Tanelorn-Treffen habe ich den Freitag Mittag für eine Runde Itras By genutzt, sondern auch auf der Drachenzwinge gab es einige Interessenten, die das norwegische Rollenspiel gerne einmal ausprobieren wollten. Und wie der Zufall (oder vermutlich eher deren Interesse) es so wollte, gehörten fast alle Mitspieler in der Itras By-Runde dann bei dem Surrealisten-LIRP, das am Sonntag Abend stattfand, entweder zur Spielleitung oder zu den Mitspielern. Eigentlich wären es sogar alle gewesen, aber die arme Narrenspiel fiel krankheitsbedingt aus, und so sprang kurzfristig Namezahl für sie ein, der aber nicht am LIRP teilnahm.

Da einer der Mitspieler das Einführungsabenteuer „Nummer 13“ bereits kannte (und weil ich es letztens auch mal wieder online geleitet hatte und es nicht schon wieder auspacken musste), hatte ich, wie ich das bei meinen selbst-ausgedachten Itras By-Abenteuern meistens mache, die Spieler vorher gefragt, was für eine Art von Szenario sie gerne haben wollten. Dabei herausgekommen war der Wunsch nach einem Nachrichtenteam, das die Tönenden Wochenschauen erstellt, die im Lichtspielhaus immer vor dem eigentlichen Spielfilm gezeigt werden, und das dann in ein investigatives Abenteuer verwickelt werden sollte.
Als Charaktere hatten wir den charismatischen Moderator/Sprecher der Nachrichtenfilme, den Kameramann auf der Suche nach der perfekten Einstellung, die schüchterne Redaktionsassistentin, den nüchternen Redakteur sowie einen studierten Astro-Meteorologen.

Soweit so gut. Als die Charaktere zu Beginn der Session gerade den fertigen Nachrichtenfilm durchgehen, der ab morgen in die Kinos kommen soll, stellen sie fest, dass ein Teil der Filmaufnahmen definitiv nicht das ist, was sie gedreht haben. Stattdessen ist dort zu sehen, wie jemand in der Egoperspektive eine Statue zerstört und „Nieder mit Nindra“ (Nindra ist die autoritäre Herrscherin über die Stadt) an eine Mauer malt. Natürlich beginnt die Gruppe nachzuforschen und stellt fest, dass mit einer Flasche Entwicklerflüssigkeit etwas nicht stimmt. Als sie mit dieser Flüssigkeit weiteren Film entwickeln, stellen sie fest, dass dort ebenfalls andere Dinge zu sehen sind als erwartet: offenbar Erinnerungen einer Person aus deren Egoperspektive, unter anderem auch an einen Mann im mittleren Alter. Und natürlich fragen die Spieler, ob der Mann ihnen bekannt vorkommt.

Eigentlich hatte ich mir ja folgenden groben Plot ausgedacht: Ein verrückter Professor hat eine Maschine erfunden, die er in der Schönheitskosmetik einsetzen will. Sie ist dazu gedacht, die Haut zu straffen und Fältchen zu entfernen, indem sie den Patienten unangenehme Gedanken und Erinnerungen absaugt. Diese kondensieren aus der Maschine heraus zu einer Flüssigkeit, die entweder verdampfen würde oder aufgefangen werden kann.
Der Professor hat eine Tochter um die neunzehn oder zwanzig, die gerade als Praktikantin für die Wochenschau arbeitet. Sie hat sich mit einem jungen Mann eingelassen, der dem Widerstand gegen Nindra angehört, und um der guten Sache zu dienen (und um ihren Liebsten zu beeindrucken) hat sie die Statue gesprengt und die Mauer beschmiert und die Erinnerung dann mit Papas Maschine gelöscht und bei der Arbeit auf den Wochenschaufilm gebannt.
Die Charaktere hätten jetzt also weiter nachforschen und auf das Mädchen kommen können, und alles andere hätte ich dann aus der Situation kommen lassen: Sie hätten sich der Resistance anschließen können oder das Mädchen bei Nindra verpfeifen oder was auch immer. Da hätte sich schon irgendwas ergeben.

Gerade will ich dem Spieler des Astro-Meteorologen sagen: ‚Du kennst diesen Mann von der Universität, es ist ein Professor für Enzephalokosmetologie‘, da sagt jemand: „Ich ziehe meine Zufallskarte!“ Diese Zufallskarten sind Karten, die das surrealistische Gepräge des Settings unterstreichen sollen und die jeder Spieler einmal während der Session auf Wunsch ziehen darf. (Ein bisschen mehr Info zum System und zum Setting findet sich übrigens hier). Und dummer- (oder lustiger- oder interessanter- oder schicksalshafter-) weise war die gezogene Zufallskarte ausgerechnet diejenige, die in diesem Moment den größtmöglichen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Geschichte hatte. Die meisten Zufallskarten haben eher kleine Auswirkungen wie „der Rest der Szene wird als Stummfilm ausgespielt“ oder „auf irgendeine Weise hat die Macht der Liebe Einfluss auf die Szene“, aber diese Karte lautete: „Ein Gerücht macht die Runde.“ Mit anderen Worten, angefangen vom kartenziehenden Spieler geht die Stille Post reihum, und bei jeder Station wird das weitergegebene Gerücht aufgebauscht und ‚größer‘. Sobald alle einmal an der Reihe waren, spricht der Kartenzieher das Endergebnis laut aus, und dieses Endergebnis wird als Fakt in die Geschichte aufgenommen.

Wie gesagt: Eigentlich hatte ich den Mann auf dem Film direkt zuvor noch als Wissenschaftler identifizieren wollen. Aber das hatte ich ja noch nicht, und das konnte ich dann auch nicht mehr, denn das Gerücht ging folgendermaßen:

  • Der Mann auf dem Bild ist der Sohn des Polizeichefs
  • Der Mann auf dem Bild ist der Polizeichef selbst
  • Der Mann auf dem Bild ist hat sich nur täuschend echt als Polizeichef maskiert
  • … und er plant ein Attentat auf Nindra
  • … und das Attentat ist schon heute abend!

Und bääääm. Soviel zu meinem Plot.

Im weiteren Verlauf der Geschichte, die sich jetzt natürlich um das Attentat auf Nindra drehte und nicht mehr um die jugendlichen Resistancekämpfer, stellte sich noch eine zweite Zufallskarte als sehr prägend für das Abenteuer heraus. Flashman zog nämlich die Karte, die seinen Charakter ein Gespräch mit seinem eigenen Schatten haben ließ, und er wählte Odonel, um den Schatten zu verkörpern. Odonel gab dem Dialog seinen ganz eigenen Twist und machte mit ein paar wenigen Worten („wir hätten die Praktikantin umbringen sollen, wie wir auch alle anderen umgebracht haben“) den Kameramann kurzerhand zum psychopathischen Serienmörder, was dessen Spieler mit Begeisterung aufgriff.

Dem armen Eukaryot war es bei der Session definitiv zu viel Surrealismus, was auch der Grund war, warum er, anders als die anderen, keine eigene Zufallskarte ziehen wollte, um nicht noch mehr Chaos in die Sache zu bringen. Mir selbst ging es auch schon ein bisschen an die Grenze, auch wenn ich bei der Session durchaus großen Spaß hatte. Dass Flashman und Odonel bei der Session so abdrehten, lag daran, dass sie wegen der Vorbereitung auf das LIRP schon voll im Surrealistenmodus waren und sich deswegen entsprechend mitreißen ließen, sagten sie hinterher. Und ich hatte die Sitzung damit begonnen, dass ich das Nachrichtenteam ein paar Dinge beschreiben ließ, die sie in dieser Woche so gefilmt hatten. Da waren schon einige sehr schräge Ideen zusammengekommen, die ich eigentlich sehr cool fand, die aber in ihrer Abgedrehtheit vermutlich schon den Ton für die spätere Sitzung bereiteten. Da wäre es besser gewesen, von fünf gefilmten Dingen lieber drei eher normale und vielleicht nur ein oder zwei surrealistisch angehauchte Elemente zu haben.

Was ich aus der Sache lerne: Vor Spielbeginn den gewünschten Weirdness-Level ein bisschen genauer abstecken, damit es während der Sitzung selbst nicht zu allzu großen Diskrepanzen bei den Vorstellungen kommt.

Freitag Abend: Blind-Date-RPG mit Engel

Am Freitag Abend gab es eine sehr gelungene Aktion, und zwar das „Blind Date RPG“. Das funktionierte folgendermaßen: Einige Spielleiter bereiteten ein One-Shot-Abenteuer und Charaktere dafür vor, verrieten aber vorher nicht, was es sein würde. Erst direkt vor Beginn der Spielrunden wurden die Namen aller Mitspieler, die sich für die Aktion gemeldet hatten, in einen Topf geworfen und den Spielleitern willkürlich zugelost. Das konnte natürlich bedeuten, dass man gegebenenfalls aus seiner Komfortzone ausbrechen musste – es war durchaus möglich, dass der gamistisch veranlagte Taktierer plötzlich würfellosen Indie-Scheiß (TM) spielen musste oder der narrative Indiespieler detailliertesten Crunch. Aber für mich war gerade das der Reiz der Aktion: Dafür war es ja nur ein One-Shot, und ich wollte mir noch nie nachsagen lassen, ich hätte „es“ (ob „es“ jetzt DSA 4.1 war oder Vampire: The Maskerade) nicht wenigstens mal versucht.

Einige wenige Teilnehmer wollten nur leiten, viele ausschließlich spielen, während zahlreiche Leute gesagt hatten, sie würden sowohl leiten als auch spielen, je nachdem, was gebraucht würde. Das bedeutete, dass jeder mitmachen konnte und die Anzahl der SLs genau auf die ideale Gruppengröße von 4-5 Personen abgestimmt werden konnte. Da sich tatsächlich fast alle Con-Teilnehmer für das Blind Date gemeldet hatten, kamen 10 Runden zustande, und ich wurde in die Gruppe hineingelost, für die Beo „Engel“ leitete.

Das passte mir ausgezeichnet in den Kram, da ich Engel ohnehin schon immer mal ausprobieren wollte. Und Beo war eine ausgezeichnete Spielleiterin: Bei ihrem Abenteuer um die beunruhigenden Vorgänge in der kleinen Stadt nahe eines Klosters, bei dem sich am Ende der Ab des Klosters als korrumpiert herausstellte und der fremde Engel, von dem wir anfangs denken mussten, er sei der Traumsaat anheimgefallen, in Wahrheit nur Gerechtigkeit wollte, hatte ich mit meiner Raphaeliten-Heilerin sehr viel Spaß. Und dass wir nicht die Regelversion mit Würfeln spielten, sondern ausschließlich die Engel-Karten verwendeten und unsere Aktionen darüber interpretierten, fand ich alte Indie-Nase auch sehr fein, so sah ich die auch gleich mal in Aktion.

Dass wir einen Spieler in der Gruppe hatten, der Engel in- und auswendig kannte und auf der Con außerhalb des Blind-Date-Events selbst zwei Engel-Runden leitete, war Segen und Fluch zugleich. Einerseits kannte er das Setting natürlich blind und konnte so in seiner Rolle als Michaelit, der ohnehin davon ausging, dass er der Anführer war (was unser Gabrielit nicht so sah, weswegen die beiden sich in-game zum Teil herrlich anzickten), uns anderen ein paar Setting-Hinweise geben, ohne auf die Spielerebene wechseln zu müssen, aber andererseits war er eben so tief im Setting, dass es teilweise etwas übermächtig rüberkam, vor allem, als er kurzzeitig auch der SL gegenüber die Deutungshoheit über das Setting an sich reißen wollte (oder so kam es mir zumindest vor; ich will ihm da nichts unterstellen). Glücklicherweise aber blieb Beo freundlich, aber bestimmt und machte ihm klar, dass dieses Abenteuer in ihrer Version des Settings spielte, und dann war es auch schon gut.

Mir persönlich hat der Abend sehr viel Spaß gemacht, aber ich bin ja wie gesagt auch eine alte Indie-Nase, ich musste also gar nicht aus meiner Komfortzone heraus. Eine andere Mitspielerin erklärte hinterher offen, es habe ihr zwar durchaus Spaß gemacht, mal in Engel hineinzuschnuppern, und sie habe sich ja auch freiwillig auf das Experiment eingelassen, aber ihr Fall sei es so gar nicht, und sie bleibe in Zukunft lieber bei traditionelleren Systemen wie beispielsweise Splittermond. Das halte ich aber auch für völlig legitim und eigentlich für ein schönes Fazit aus dem Blind Date: Ausprobieren, sich zumindest für den einen Abend darauf einlassen, und wenn es nichts für einen ist, dann weiß man das eben für die Zukunft. Alles in allem jedenfalls war das eine Aktion, an der ich mich jederzeit wieder gerne beteiligen werde – selbst wenn ich dann einen Abend lang Rolemaster oder etwas ähnlich Crunchiges spielen müssen sollte.

Samstag Mittag: King is Dead und Dulse

Es ist zwar kein ungeschriebenes Gesetz oder sowas, aber auf vergangenen Tanelorn-Treffen hat es sich doch des öfteren ergeben, dass wir am Samstag Mittag irgendeinen spielleiterlosen Indie-Scheiß (TM) ausprobierten. So auch diesmal auf der DZ-Con.

Bei King is Dead geht es darum, dass ein Musikstar (es muss nicht unbedingt Elvis sein; bei uns war der Star an Johnny Cash angelehnt, auch wenn der Name nie fiel) gestorben ist bzw. im Sterben liegt.
Es gibt genau 3 Szenen: In der ersten sitzen die Mitglieder von Kings engstem Zirkel herum und warten auf die Nachricht, dass er gestorben ist (er liegt mit einer Überdosis im Krankenhaus, und es ist schon klar, dass er nicht durchkommen wird, die Frage ist nur, wie lange es dauert) und unterhalten sich.
Die zweite Szene ist eine Rückblende auf eine rauschende Party ein paar Wochen vor dem Sterbetag, und die dritte Szene ist ein paar Tage nach dem Sterben, wenn die Charaktere Kings Besitztümer unter sich aufteilen.
Die Charaktere sind so angelegt, dass es zu Reibereien kommen muss (so halten sich mehrere für Kings besten Freund, für Kings ältesten Freund etc.), und in jeder Szene gibt es zufällig gezogene Charaktermotivationskarten, wie der Charakter in der jeweiligen Szene eben drauf ist. (Beispiele wären „Überführe die Heuchler“, „Bereue deine Fehler“ etc.). Spielen soll man das Ganze eigentlich sogar eher als LIRP, aber die Mühe haben wir uns nicht gemacht, sondern sind faul sitzen geblieben.
Das Spiel funktionierte eigentlich ganz gut, aber so richtig mitreißen wollte das Ganze uns nicht. Vielleicht lag das auch daran, dass wir (das glaube ich zumindest) die Motivationskarten der ersten und der zweiten Szene vertauschten, was dem dramatischen Verlauf ein bisschen entgegenlief und irgendwie für ein Gefühl des Antiklimax sorgte, weil die Motivationen in der zweiten Szene wohl eigentlich schärfer und konfliktträchtiger gewesen wären und es diese Konflikte deswegen schon in der ersten Szene gab, während die zweite dann friedlicher angelegt war, als sie das wohl ursprünglich hätte sein sollen.

Bei Dulse gibt es genau 4 Charaktere, die standardmäßig zwar leicht renaissanceartig angehaucht sind, aber in ganz unterschiedlichen Zeiten und Settings angesiedelt sein können (unsere waren auch wieder eine Rockband, weil wir durch King is Dead schon so in der Stimmung dafür waren). Die 4 Charaktere haben alle eine Beziehung zu Dulse und miteinander. Wie diese Beziehung aussieht, wird reihum aus einer Liste mit Begriffen gewählt (Adore, Loathe, Desire, Deceive, Support, Frustrate, Envy und Fear). Dabei muss die Beziehung zwischen den drei anderen und Dulse jeweils identisch sein, also wenn Arras Dulse verehrt, dann verehrt Dulse auch Arras. Die Beziehung zwischen den anderen Charakteren darf nicht gegenseitig sein, also wenn Arras Baston täuscht, dann darf Baston Arras nicht auch täuschen, sondern da muss ein anderes Verb auf der R-Map stehen.
Es gibt genau 5 Szenen, „The Secret“, „The Wedding“, „The Birth“, „The Betrayal“ und „The Killing“, die in beliebiger Reihenfolge gespielt werden können. Für jede Szene gibt es eine Frage, die beantwortet werden muss, und in jeder Szene werden Karten verteilt. Am Ende zählt man nach, wieviele schwarze (Ehre) und wieviele rote (Liebe) Karten man hat, und daraus bestimmt sich dann ein Epilog/Endergebnis für den Charakter, das entweder von Ehre (Überhang schwarz) oder Liebe (Überhang rot) getrieben ist.
Dieses Kartensammeln und Auswerten der Farben und der daraus resultierende Epilog hat ein bisschen was von Fiasko mit seinem würfelbasierten ähnlichen Mechanismus. Aber ganz ehrlich? Fiasko wirkt deutlich stimmiger für mich, und vor allem vielseitiger und ausgewogener.
Vor allem fand ich die zwingend gegenseitigen Beziehungen zwischen Dulse und den jeweils anderen ein bisschen anstrengend, um nicht zu sagen: langweilig. Das hat uns doch etwas eingeengt. Ich hätte es besser gefunden, wenn die Beziehungen zwischen Dulse und den anderen auch in beide Richtungen unterschiedlich hätten sein können. Vielleicht müsste man das aber einfach noch mal spielen, um zu sehen, ob sich das immer so einengend anfühlt, oder ob es in anderen Runden etwas besser läuft.

Samstag Abend: Dread Heist

Mit Dread hatte ich bis zu dieser DZ-Con noch gar keine Erfahrung. Ich wusste, dass das Spiel existiert und dass sein Resolutionsmechanismus darin besteht, Steine aus einem Jenga-Turm zu ziehen. Bleibt der Turm stehen, hat der Charakter mit seiner Aktion Erfolg. Fällt der Turm, ist der Charakter tot – oder zumindest aus dem Spiel. (Übrigens auch, wenn der Turm gar nicht beim Ziehen fällt, sondern weil ein Spieler versehentlich an den Tisch stößt oder ähnliches: Auch dann ist der Charakter des umwerfenden Spielers weg.) Hinterher wird der Turm wieder aufgebaut, und das Spiel geht mit einem bereits „vorgespannten“ Turm (also einem, in dem pro ausgeschiedenem Charakter bereits 3 Steine gezogen werden) weiter.

Weil ich das Konzept sehr spannend fand, nutzte ich sehr gerne die Gelegenheit, das System auf der Con bei einem alten Dread-Hasen (demselben ScarSacul, bei dem ich am Donnerstag schon Ten Candles gespielt hatte) einmal auszuprobieren. Umso mehr, als diese Runde „Dread: Heist“ betitelt war und sich um einen fehlgeschlagenen Bankraub drehen sollte, bei dem die Bankräuber sich mit Geiseln in einer Wohnung irgendwo außerhalb verschanzen würden: Das Genre in all seinen Formen, von heiter bis düster, mag ich sehr, und dieses Setup klang schon nach jeder Menge Drama und Konfliktpotential und ganz großem Kino. Zumindest hoffte ich das.

In Vorbereitung auf die Runde hatten wir ScarSacul vorab unsere groben Charakterkonzepte geschickt (ich wollte eine Angestellte der überfallenen Bankfiliale spielen, die längst nicht so unschuldig war, wie es auf den ersten Blick aussah, sondern es war sie gewesen, die den Bankräubern – bzw. deren Chef, sie selbst kannten sie nicht persönlich – mit Insider-Infos versorgt hatte), und als alle Charaktere soweit standen (4 Bankräuber sollten 3 Geiseln gegenüberstehen), schickte Scar uns jeweils ein Set mit aufgeladenen und den Konflikt antreibenden Fragen.

Für meinen Charakter wollte der SL zum Beispiel wissen, welchen spitzen Gegenstand die Bankräuber bei der Geiselnahme nicht bei ihr entdeckt hätten, warum ihr nur ihr eigenes Wohl wichtig sei und wovor mein Charakter die größte Angst habe. Außerdem sollten wir alle ein Musikstück nennen, das zum Charakter passte – das wurde dann abgespielt, wenn der Charakter aus dem Spiel kam.

Obwohl ich Dread noch nicht kannte, hatte ich doch so ungefähr im Kopf, dass es meistens eigentlich eher im Sitzen um den Tisch gespielt wird. Unsere Runde jedoch wurde eher als LIRP gespielt – das passte aber auch ganz ausgezeichnet zu dem Closed Room-Szenario, wie wir es spielten. An fing das Ganze allerdings im Speisesaal des Gutshofs, der für den Prolog kurzfristig als Bankfiliale herhalten musste. Ausstaffiert in charaktergerechter Kleidung (als Bankangestellte hatte ich es leicht: weiße Bluse, Pumps und Kostüm, dazu einen Kugelschreiber, der als Platzhalter für den Kugelschreiber mit integriertem Brieföffner dienen sollte, den ich meinem Charakter als nicht entdeckten spitzen Gegenstand zugedacht hatte) verbrachten wir einige Minuten mit „normalem Bankgeschäft“ (sprich warten auf die Bankräuber, die sich draußen auf dem Hof noch koordinieren mussten), dann stürmten die Räuber, ebenfalls ungefähr passend kostümiert und mit Masken auf den Gesichtern, in die „Filiale“, und der Überfall begann.

Nach dem kurzen Prolog in der „Filiale“ fand der Rest des Abenteuers in einer der Ferienwohnungen auf dem Gutsgelände statt. In-Game war das die Wohnung, in der die Bankräuber sich mit ihren Geiseln verschanzten, nachdem der Überfall gehörig schief gegangen war – die Räuber hatten nur einen Bruchteil der Geldsumme, die sie erwartet hatten, einsacken können, und die Polizei war ihnen dicht auf den Fersen. Was war schief gegangen? Ein Verräter in den eigenen Reihen etwa?

Wie erwartet, kam es zu Konflikten zwischen den Bankräubern. Natürlich war ein Undercover-Polizist in deren Reihen, und er kannte auch noch eine der Geiseln, weil er mit der Tochter des alten Mannes verheiratet war und er nicht wollte, dass sein Schwiegervater ihn unter der Maske erkannte und preisgab. Außerdem war einer der vermeintlichen Bankangestellten in Wahrheit ebenfalls ein Polizist, der den Undercover-Bankräuber erkennen konnte und umgekehrt. Noch dazu hatte die Tochter des großen Anführers (beides NSCs, die nur am Telefon auftraten, um das LIRP-Konzept nicht zu durchbrechen, wie es passiert wäre, wenn der SL plötzlich unterschiedliche NSCs im Raum in Persona dargestellt hätte) ein Verhältnis mit so ziemlich allen Bankräubern und hatte die im Vorfeld lustig gegeneinander aufgehetzt, so dass alle den Plan hatten, mit ihr und dem Geld in den Sonnenuntergang zu reiten. Mit anderen Worten: Die Katastrophe war vorprogrammiert.

Den ersten Bankräuber raffte es schon nach ziemlich kurzer Zeit dahin (ich glaube, weil er aus dem Fenster nach den das Gebäude umstellenden Polizeikräften sehen wollte und dabei entdeckt und erschossen wurde), und dann ging es nach und nach mit dem Drama weiter. Der alte Rentner, der neben den beiden Bankangestellten (bzw. der echten Bankangestellten und dem verdeckten Polizisten) die dritte Geisel abgegeben hatte, opferte sich heldenhaft, als es kurz vor Ende meinem Charakter an den Kragen gehen sollte, und die verbliebenen drei Bankräuber rieben sich in einer hochdramatischen Eskalation der Ereignisse so ziemlich gegeneinander auf, bis am Ende – naja, kurz vor dem Ende – nur noch der Bankangestellten-Polizist und mein eigener Charakter am Leben waren. Ich hatte die ganze Session über den Ball sehr flach gehalten und die unwissende Geisel gespielt, auch wenn ich nicht so panisch tat, wie man das vielleicht erwartet hätte, sondern tatsächlich überraschend ruhig blieb, was Absicht war und meine Mitspieler möglichst auf die Idee bringen sollte, dass mit Caryn Dowd, meinem Charakter, vielleicht nicht ganz alles stimmte. Denn Caryn hatte ja eigentlich dem Chef der Bande alle Insider-Informationen für den Überfall gegeben, aber dass ich die undichte Stelle in der Bank gewesen war, wussten die Räuber-Charaktere alle nicht – sie wussten nur, dass es einen Informanten innerhalb der Bank gegeben hatte. Da der Bankraub aber so grandios schiefgegangen war und kaum Geld erbracht hatte, wollte Caryn eigentlich niemanden wissen lassen, dass die Infos von ihr gekommen waren. Wenn sie überleben würde, dachte sie, könnte sie hinterher in ihr Bankangestelltenleben zurückkehren, als sei nichts gewesen, und irgendein anderes Mittel versuchen, um an Reichtum zu kommen… oder irgendwie sowas. Zumindest war das ursprünglich der Plan gewesen. Allerdings fühlten mein Charakter und einer der Bankräuber – sehr charismatisch, nur leider ein ziemlich durchgeknallter Psychopath (und erschreckend gut gespielt!) – sich unverkennbar zueinander hingezogen, und so wäre ich beinahe mit ihm in den Sonnenuntergang geritten. Weiter unter dem Deckmantel der unschuldigen Geisel, die sich von ihm einschüchtern ließ, flüsterte ich ihm irgendwann zu, dass mein vermeintlicher Bankkollege ein Polizist sei… wenn er das gehört bzw. verstanden hätte, dann wäre die Situation vielleicht völlig anders ausgegangen. So aber eskalierte die Situation im Raum gerade an anderer Stelle, und meine geflüsterte Warnung ging unter, weil er sich auf die anderen konzentrierte… und eine weitere Gelegenheit, die Warnung noch einmal anzubringen, bekam ich nicht. Denn dann brachten die Räuber sich gegenseitig um, der Undercover-Polizist erstach den Psychopathen-Bankräuber, und dann waren es nur noch wir beide Bankangestellten.

Das hätten wir dann auch beinahe beide überlebt… wenn nicht, ja wenn ich nicht nach draußen gerufen hätte: „Es ist vorbei, nicht schießen, wir kommen mit erhobenen Händen heraus!“ — und dann nicht beim Ziehen des letzten Steines aus dem Jenga-Turm gepatzt hätte. Ich hatte den ganzen Abend über sehr gut gezogen, in einigen ziemlich haarigen und heiklen Situationen bei einem extrem wackeligen Turm, und war eigentlich sehr stolz auf mein ruhiges Händchen gewesen. Auch diesmal hatte ich den Stein eigentlich schon sicher in der Hand, und der Turm stand noch — und dann ließ ich den eigentlich sicher gezogenen Stein doch noch fallen. (Mein Vater ז״ל sagte immer, ich hätte „Spinnwebfinger“ — diesmal traf das dann wohl ganz besonders zu.)
Innerhalb der Geschichte bedeutete das: Als Caryn mit erhobenen Händen aus dem Haus trat, zuckte einem der das Haus umstellenden Polizisten trotz der „Nicht schießen!“-Rufe eben doch der Abzugsfinger, und die arme Caryn wurde, als es eigentlich schon vorbei war, doch noch erschossen. Das fand ich als Spielerin aber nicht schlimm, sondern im Gegenteil ein sehr passendes Ende für den Charakter und für diese Runde. Der einzige Überlebende war also der Polizist, der sich als Bankangestellter getarnt hatte, aber sein Spieler ließ schon durchblicken, dass es dem Charakter im Nachhinein damit vielleicht gar nicht so gut gehen würde, sondern er in Selbstvorwürfen und Depressionen verfallen könnte. Aber auch das fände ich für so eine düstere Gangstergeschichte durchaus passend und angebracht.

Jedenfalls war das Spiel sehr intensiv und extrem spannend, und es wurde tatsächlich das ganz, ganz große Kino, das ich mir erhofft hatte. Die Spannung wurde auch tatsächlich gar nicht so sehr durch den wackeligen Jenga-Turm erzeugt, sondern mehr durch die Interaktion der Charaktere. Das Szenario als Beinahe-LIRP zu spielen, klappte auch ganz wunderbar. Ich habe mir sagen lassen, dass eine der vorigen Dread-Runden sich beispielsweise darum drehte, dass Soldaten im Vietnam-Krieg durch den Dschungel zogen – das ließ sich bestimmt nicht als LIRP darstellen, sondern dürfte eher traditionell erzählend um den Tisch herum stattgefunden haben, und ob das für mich auch so genial gut funktioniert hätte, bezweifele ich ein wenig. Aber so, für dieses Heist-Setting, passte die halbe LIRP-Form einfach perfekt.

Immer, wenn der Turm fiel, wenn also ein Charakter starb, wurde das Spiel kurz unterbrochen und das Lied abgespielt, das der jeweilige Spieler für den Charakter ausgesucht hatte. Für diese Spielpausen waren wir alle durchaus dankbar, weil die Runde während des Spiels eben doch ziemlich intensiv wurde. Vor allem der Spieler des Psychopathen-Bankräubers achtete darauf, in den Spielpausen immer seine Maske abzuziehen (wie oben schon kurz erwähnt, trugen alle Bankräuber die ja als In-Game-Accessoire), weil er so wieder die Distanz zwischen sich selbst und seinem Charakter schaffen wollte. Ich spielte zwar „nur“ eine Geisel, aber ich kann mir schon vorstellen, dass einem das als Spieler wichtig werden kann, gerade, wenn man einen so fiesen Typen spielt wie diesen (und vor allem, wenn man ihn so überzeugend spielt).

Alles in allem war es eine richtig tolle Runde und definitiv eines meiner, wenn nicht sogar das, Highlights der DZ-Con 2017.

Sonntag Abend: LIRP – Paris Rêvant

Am Sonntag abend wurde ein ziemlich groß angelegtes LIRP veranstaltet – zumindest kam es mir so vor, als sei dieses LIRP mit 20 Mitspielern das teilnehmerstärkste, bei dem ich bisher so dabei war. (Kurzes Nachrechnen sagt: Ja, auch bei den Superschurken, den Märchenwahlen und dem Zeppelin waren wir 15 Spieler. Dann habe ich mich ja nicht geirrt.) Das ausführliche Diary, das Niniane, Lyn, Patti und ich dazu verfasst haben, gibt es hier.

13 Kommentare

Eingeordnet unter DZ-Con, Indie-RPGs, LIRP, Pen & Paper, Rollenspiel-Sonstiges

13 Antworten zu “Drachenzwinge-Con 2017

  1. Wau, ein toller, ausführlicher Bericht, hat mir viel. Spaß gemacht!

    Ich kenne aber den Begriff „LIRP“ nicht, was ist das? :)

    Gefällt 1 Person

    • Vielen Dank! :)

      LIRP steht für „Live Indoor Role Playing“ und grenzt sich – in meinem Verständnis – vom weiter gefassten LARP („Live Action Role Playing“) dadurch ab, dass bei einem LIRP die gesamte Handlung räumlich begrenzt in einem oder wenigen Zimmern stattfindet. Außerdem sind die Charaktere und vor allem ihre Beziehungen untereinander festgelegt. und die Charaktere haben klar gesteckte Ziele und Motivationen, wobei diese Ziele und Motivationen einander mit Absicht teilweise diametral gegenüberstehen und somit Konflikt und Drama bereits in die Grundsituation eingearbeitet sind.

      Bei LARPs hingegen, wie ich sie kenne, baut man sich eher einen traditionellen Rollenspielcharakter und spielt auf größerem Gelände (Burg, Zeltplatz, Wald, Alphütte und das umgebende Gelände) einen weiter gefassten, traditionelleren Plot (Räuber überfallen die Burg, die Prinzessin wird entführt, die große Schlacht zwischen Chaos und Ordnung, der Schamane ist auf einer Queste, um seinen Geist zu reinigen), wo die Charaktere zwar natürlich Ziele und Vorstellungen haben, diese aber nicht so explizit definiert sind wie beim LIRP.

      Kurz gesagt: So wie ich es verstehe, ist LIRP enger gefasst und fokussierter. Es gibt ja auch den Begriff „Nordic LARP“; vielleicht ist das so ein bisschen äquivalent.

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  2. Ich hätte zwar nicht bei der Blind RPG Aktion mitgemacht, zumindest nicht als Spieler, interessant ist sie dennoch.

    Gefällt 1 Person

    • Das ist völlig legitim – auch bei uns auf der Con machten zwar sehr viele, aber nicht alle Teilnehmer mit, weil sie sich mit dem Konzept nicht so recht anfreunden konnten.
      Aber ich bin neugierig: Was wäre bei dir der Grund gewesen, wenn ich fragen darf? Weil du befürchtet hättest, an ein System oder Mitspieler zu geraten, das bzw. mit denen du nicht würdest spielen wollen?

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