[RPG-Blog-O-Quest] Mai 2019: „Regelwerke“

Es ist Zeit für die inzwischen 44. Ausgabe der RPG-Blog-O-Quest, einer Blogaktion, die im Oktober 2015 von Greifenklaue und Würfelheld ins Leben gerufen wurde. Hierbei werden dem deutschsprachigen Rollenspielvolk jeden Monat fünf Fragen zu ganz unterschiedlichen RPG-Themen gestellt – anfangs nur von den beiden Gründervätern selbst, dann regelmäßig auch von anderen Bloggern aus der Szene. Diesen Monat wird die Queste erstmals nicht von einem Rollenspieler mit eigenem Blog ausgerichtet: Die Fragen zum Thema „Regelwerke“ erscheinen diesmal als Gastbeitrag auf Greifenklaues Blog und werden von dessen Podcastpartner Christophorus gestellt.

DIE FRAGEN

1. Umfassend komplex, aufs Nötigste reduziert oder kreativ verpackt: Wie sollte für dich das optimale Regelwerk aussehen?
2. Welche Regelwerke haben dich bisher am meisten überrascht, und weshalb? (Positiv wie negativ)?
3. Verwendet ihr Hausregeln, um Regelwerke nach euren Vorstellungen umzuformen?
4. Lest ihr lieber das fremdsprachige Original, oder kauft ihr (auch) die lokalisierte Fassung?
5. Hattest du schon einmal die Idee, ein eigenes Rollenspiel-Regelwerk (und ggf. damit verbunden, ein eigenes System) auf die Beine zu stellen? Wenn ja: Was ist daraus geworden?

TIMBERS ANTWORTEN

1. Umfassend komplex, aufs Nötigste reduziert oder kreativ verpackt: Wie sollte für dich das optimale Regelwerk aussehen?
Hm, gar nicht so einfach. Beides eigentlich, oder zumindest ein bisschen von beidem. Grundsätzlich mag ich reduzierte Regelwerke eigentlich ziemlich gerne und würde sogar sagen, ich bevorzuge sie in den meisten Fällen, aber manchmal wünsche ich mir dann doch noch etwas umfassendere Informationen.

2. Welche Regelwerke haben dich bisher am meisten überrascht, und weshalb? (Positiv wie negativ)?
Positiv erinnere ich mich vor allem an Deadlands Classic, weil es mich damals, als ich es kennenlernte – das ist inzwischen über 20 Jahre her und es war ganz neu auf dem Markt – so völlig packte und die Regeln einfach so perfekt zu dem abgebildeten Western-Setting passten. Heute bin ich mir der Schwächen des Systems durchaus bewusst (es ist ziemlich deutlich ein Kind der 90er), aber wenn ich mich richtig entsinne, gab es, als ich das Regelwerk damals las, nicht einen einzigen Punkt, der mir daran nicht gefallen hätte. Ich mochte die Regeln, ich mochte den Stil, in dem die Texte darin geschrieben waren, ich mochte den Detailgrad der Fluff-Ausarbeitungen, ich mochte das Artwork. Und als ich irgendwann um die Zeit herum mal gefragt wurde: „Wenn du ein RPG-Charakter wärst, mit welchem Regelwerk wärst du erstellt worden?“, da lautete meine Antwort ebenfalls „Deadlands“. (Und nein, es war nicht das einzige System, das ich kannte, sondern ich war auch vertraut mit dem Warhammer Fantasy RPG, Chill, Shadowrun, Star Wars D6, Zenobia, Cyberpunk 2020, Cyberworld und noch ein paar anderen.)
Itras By war eine positive Überraschung für mich, weil ich eigentlich einfach nur ein norwegisches Rollenspiel hatte haben wollen und mir das Setting nach der Kurzbeschreibung, die ich gelesen hatte, ziemlich interessant vorkam. Ich hatte nicht erwartet, dass es mir so gut gefallen würde und dass wir in der Folge das Konzept der Entscheidungskarten in ganz vielen regelleichten, dramalastigen Spielrunden verwenden würden, nicht nur für Itras By selbst.

Was die negativen Überraschungen betrifft, so gab es bestimmt auch die eine oder andere. Spontan fällt mir Orkworld ein, weil das gerade vor kurzem erst akut war. Ich weiß, dass ich dieses Regelwerk damals (das war 2011, als ich gefühlt auch sämtliche Rollenspielläden Norwegens nach Itras By absuchte und wir dann das Orkworld-Regelwerk aus diesem Urlaub mitbrachten) super-gerne gelesen habe, weil das Setting so liebevoll ausgearbeitet war und das Buch sich so toll las. Als ich vor ein paar Wochen im Zuge des Projekts ABC über Orkworld schrieb, kam mir die Idee, das Spiel doch auf der Drachenzwinge-Con beim Blind Date-RPG zu leiten, und in diesem Zuge las ich das Buch noch einmal durch. Dabei wirkten die Regeln schnell und elegant, auch die Kampfregeln — bis ich anfing, mir, wie ich das bei Systemen, die ich leiten will, gerne mache, einen Spickzettel mit Spot Rules zu schreiben. Da wurde ich dann völlig kirre, weil, so einfach sie auf den ersten Blick wirkten, die Kampfregeln plötzlich doch sehr komplex zu sein schienen. (Mehrfarbige Würfel, um den reinen Angriffs- bzw. Verteidigungswert und den Waffen- bzw. Rüstungswert voneinander unterscheiden zu können, und mit der reinen Fertigkeit kann man Würfel aus der reinen Fertigkeit nicht abwehren, aber mit den Rüstungswürfeln schon, außer, man greift eine überlegene Rüstung – Holz/Stein gegen Bronze, Bronze gegen Eisen, Eisen gegen Stahl – an oder verteidigt gegenüber einer unterlegenen Waffe, dann eben doch nicht…) Es kann sein, dass es wunderbar intuitiv gewesen wäre, wenn wir am Tisch wirklich dazu gekommen wären, es auszuprobieren, aber einen solchen Kampf hatten wir am Ende gar nicht, und nur vom Lesen her verwirrte mich das erstmal ziemlich. Naja, vielleicht ist dann beim nächsten Spiel Zeit für die positive Überraschung, weil die Kampfregeln eben doch gut funktionieren, wer weiß.
Bei Coriolis war ich letztens auch ein bisschen enttäuscht, weil die auf dem Papier coolen Regeln sich im Spiel doch auch nicht so flüssig anfühlten, wie ich das gedacht hatte. Entweder wir haben die „Beten“-Mechanik nicht so richtig verstanden, oder da hakt irgendwie das Design. Und das kleine Indie-RPG One Last Job, das ich eigentlich total cool fand, als ich es bei einem anderen Spielleiter kennenlernte, verwirrte mich völlig, als ich es selbst zu leiten versuchte. Ständig war ich am Nachblättern, wie das denn nun genau funktionierte. Dafür, dass das Regelwerk nur wenige Seiten hat, ist es in meinen Augen echt ganz schön unübersichtlich.

3. Verwendet ihr Hausregeln, um Regelwerke nach euren Vorstellungen umzuformen?
Das passiert in meinen Runden vergleichsweise selten, ist aber schon vorgekommen. Der mir präsenteste Fall von Hausregeln war es, als 1997 in unserer frisch gegründeten Deadlands Classic-Runde mein als normales Cowgirl gestarteter Charakter von einem Werwolf gebissen wurde und sämtliche Würfe dagegen vergeigte. Der SL fragte mich daraufhin, ob ich Lust hätte und mir zutrauen würde, sie als Werwolf weiterzuspielen, und das hatte ich absolut! Es gab aber damals nur das Grundregelwerk, also mussten wir uns selbst Hausregeln für den Werwolf ausdenken. Als dann ein oder zwei Jahre später ein Ergänzungsband herauskam, in dem es endlich auch von Verlagsseite her möglich wurde, Werwölfe und Vampire und dergleichen zu spielen, waren uns unsere eigenen Werwolfs-Hausregeln schon derart in Fleisch und Blut übergegangen und bereits derart fest für das Cowgirl etabliert, dass wir den Charakter nie auf die neuen offiziellen Regeln umstellten.

Ein anderes Beispiel wäre vielleicht unser Hack von Fate Core für unsere Supernatural-Kampagne – aber da Fate ja ganz offiziell ein Baukasten ist, in dem man an ganz unterschiedlichen Stellschrauben drehen kann, sind das eigentlich gar keine Hausregeln, sondern einfach nur die Umsetzung des Fate-Prinzips.

Erst letztens ist mir hingegen aufgefallen, dass ich Itras By seit Tag 1 mit einer Hausregel spiele… nicht schlecht für ein Spiel, das über „wenn es interessant wird, ob etwas klappen könnte oder nicht, zieh‘ eine Entscheidungskarte“ und „wenn dir danach ist, zieh‘ deine Zufallskarte für den Abend“ eigentlich so gut wie keine Regelmechaniken besitzt. Anfang des Jahres kam ja endlich die deutsche Übersetzung heraus, an der ich seit 2012 gesessen hatte, und bei der Endkorrektur des fertigen Layouts fiel mir nach 7 Jahren dann endlich mal auf, dass die SL niemanden zum Ziehen einer Entscheidungskarte zwingen darf. Die SL und der Rest der Gruppe dürfen es laut Regelwerk vorschlagen („Ich finde, das wäre doch jetzt ein guter Moment für eine Entscheidungskarte“ oder „Das schreit doch jetzt geradezu nach einer Entscheidungskarte“ oder halt sowas in der Art), aber es liegt immer am Spieler oder der Spielerin, ob er oder sie den Vorschlag annehmen will oder nicht, und es ist ihm oder ihr völlig freigestellt, die Aufforderung abzulehnen. Ich verfolge allerdings  tatsächlich beim Leiten von Itras By – ganz unabsichtlich; es war nie eine bewusste Entscheidung gegen die Regeln im Buch, sondern es hat sich einfach irgendwie ergeben – die traditionellere Herangehensweise, dass ich als SL in entsprechenden Situationen bestimme: „Dann zieh doch mal eine Entscheidungskarte.“

Was bei uns schon öfter vorgekommen ist als die Modifizierung eines Regelwerks mit Hausregeln ist das Bespielen eines Settings mit einem anderen System. So spiele ich zum Beispiel Shadowrun inzwischen mit Fate (und zwar mit Azzurayelos‘ ganz ausgezeichnetem ShadowCore), und wir sind am Überlegen, ob wir vielleicht in unserer Coriolis-Kampagne von den Original-Coriolis-Regeln auf ein anderes System umsteigen sollen.

4. Lest ihr lieber das fremdsprachige Original, oder kauft ihr (auch) die lokalisierte Fassung?
Wenn ich die Sprache verstehe, dann lese ich lieber das Original, einfach weil nicht alle Rollenspiele auch immer übersetzt werden oder wenn, es teilweise eine ganze Weile dauert, bis die Übersetzung veröffentlicht wird.  Von den Rollenspielen in unseren Regalen ist die überwiegende Mehrheit auf Englisch, ein Teil auf Deutsch, und ich besitze auch jeweils ein Rollenspiel auf Norwegisch, Dänisch und Französisch. Aber wenn ich die Originalsprache nicht verstehe, dann natürlich die Übersetzung – entweder ins Deutsche oder teilweise sogar auch die englischen Versionen anderssprachiger Spiele. Manche Spiele haben wir auch auf Deutsch und auf Englisch – als wir mit unserer Nachwuchsrunde Hellfrost und später Star Wars Edge of the Empire spielten, besorgten wir beispielsweise jeweils auch eine deutsche Übersetzung für die Kids, obwohl wir das Original schon im Schrank stehen hatten. Und Itras By besitze ich sogar in vier Versionen: das norweigsche Original, das ich mir 2011 aus Norwegen mitbrachte, die vom Autor selbst übersetzte englische Version, die 2012 herauskam, die funkelnagelneue deutsche Version jetzt endlich auch im Druck und nicht mehr nur in einem Word-Dokument, sowie zur Vervollständigung der Sammlung auch die französische Ausgabe des letzten oder vorletzten Jahres. Das ist aber insofern lustig und tatsächlich gar nicht so überflüssig, wie es sich anhören mag, weil sich alle Versionen von ihrem Inhalt her ein bisschen voneinander unterscheiden.

5. Hattest du schon einmal die Idee, ein eigenes Rollenspiel-Regelwerk (und ggf. damit verbunden, ein eigenes System) auf die Beine zu stellen? Wenn ja: Was ist daraus geworden?
Die kurze Antwort: nein.
Die lange Antwort: Meine allerersten Gehversuche als Spielleiterin machte ich noch zu Schulzeiten Ende der 1980er mit einem Abenteuer, das inhaltlich ganz lose auf einem Motiv aus Anne McCaffreys „Drachenreiter von Pern“-Saga basierte und vom verwendeten Würfelsystem her, weil ich es nicht besser wusste, aus den um diverse Werte und Fertigkeiten aufgebohrten Regeln der Abenteuerspielbücher von Ian Livingstone und Steve Jackson bestand. Rückblickend fürchterlich primitiv und sicherlich alles andere als gut, aber für ein paar Sitzungen hatten wir großen Spaß damit – nur hatte ich seither nie wieder Ambitionen, mich an einen eigenen Heartbreaker zu setzen. Ich bin nicht kreativ genug, um mir etwas auszudenken, das nicht genauso oder ganz ähnlich schon existiert, nicht firm genug im Regel-Balancing, um ein rundes und stimmiges Konzept abzuliefern, und es fehlt mir vor allem an Zeit (ich komme ja mit meinen Diaries schon nicht hinterher). Und da draußen gibt es doch so viele tolle Rollenspiele, die alles gerne gespielt werden würden. Da halte ich mich lieber an die.

Die Regeln der RPG-Blog-O-Quest

  • An jedem Monatsersten stellt entweder Greifenklaue, Würfelheld oder ein von ihnen beauftragter Blog dem deutschsprachigen Rollenspielvolk fünf Fragen/Lückentexte zu einem frei gewählten RPG-Thema. Die Veranstalter bitten darum, diese Fragen auf Blogs, in Podcasts, Vlogs oder in Foren zu beantworten (bzw. die Lückentexte auszufüllen).
  • Jeder Monat widmet sich einem Hauptthema, um das sich die Fragen drehen.
  • Über die Zusendung der Links, per Mail, Kommentar, usw. freuen die Organisatoren sich.
  • Jeder, der sich die Zeit nimmt, die fünf Fragen zu beantworten, ist herzlich willkommen.
  • Die verschiedenen “RPG-Blog-O-Quest” Logos dürfen in den Beiträgen benutzt werden.

Eine Auflistung aller RPG-Blog-O-Quests, an denen ich bisher teilgenommen habe, findet sich hier.

Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “[RPG-Blog-O-Quest] Mai 2019: „Regelwerke“

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