Miami Files – Changes 2

20. Januar

Ich bin ein paar Tage nicht zum Schreiben gekommen. Ich habe auch immer noch viel um die Ohren, aber Zeit für einen Tagebucheintrag muss jetzt sein.
Bevor ich ins Detail gehe: Die Störung unserer Verhandlungen mit Mr. Jimanez war kein Zufall. Adlene lässt uns von seinen Geistern beobachten und stört systematisch unsere Anstrengungen. Aber davon gleich mehr.

Inzwischen haben alle angefangen, sich um ihren Teil des Rituals zu kümmern, und gerade passend (irgendwie mag ich nicht so recht glauben, dass das ein Zufall war) ist Edward ein Flyer in die Hände gefallen: von einer Parfümerie namens „Bottled Lost Dreams“, die wir wegen der Gerüche für das Ritual aufsuchen wollten.
Schon beim Lesen der Anschrift, einer Straße in einem reinen Wohnviertel, wurde uns klar, dass das „Bottled Lost Dreams“ keine normale Parfümerie sein würde. Und tatsächlich fanden wir an der Adresse ein ganz normales Wohnhaus, auch wenn es mit seinem etwas wild aussehenden Garten und seinem etwas abgewohnten Eindruck etwas aus der ansonsten spießigen Umgebung herausstach und tatsächlich einen leicht hexenartigen Eindruck machte. Tatsächlich kannten Edward und Alex die Namen der Besitzerinnen flüchtig: drei afroamerikanische Schwestern, vielleicht in den späten Sechzigern oder frühen bis mittleren Siebzigern, die zu den minor practitionern Miamis gehören.
Schon beim Betreten des Grundstücks bemerkte Alex auf der Straße einen Geist, den er anhand seines Halsbandes als einen von Adlenes Sklaven erkannte. Davon sagte er aber zu dem Zeitpunkt noch nichts, weil wir da gerade ins Haus gebeten wurden. Auch der Garten hatte bereits einen kleinen Threshold, den übernatürliche Gestalten ohne Einladung nicht überqueren konnten; der Threshold des Hauses selbst hingegen war richtig stark: Offenbar wohnten die Frauen schon lange hier und hatten eine starke Bindung zu ihrem Heim.

Nicht nur kannten Alex und Edward die Namen der drei Schwestern, die Damen kannten auch unsere. „Welche Ehre, von den schönen Männern besucht zu werden!“ verkündete eine von ihnen, was mir ehrlich gesagt ein bisschen peinlich war. Aber gut, wir sind ja tatsächlich seit einigen Jahren in Miami zugange, und es wäre albern zu glauben, dass unsere Aktivitäten völlig unbemerkt an den örtlichen Praktizierern vorbeigegangen sind.
Jedenfalls bekamen wir Kekse und Tee angeboten – oder Kaffee, was wir gerne annahmen, vor allem, weil es schon so verführerisch nach Kaffee duftete. Als ich diesen Gedanken aussprach, lächelten die alten Damen, aber von Roberto fing ich mir einen seltsamen Blick ein, den ich nicht so richtig deuten konnte. Überhaupt roch es jenseits des Kaffees ganz genau so, wie ich es mir in einem solchen Haus vorgestellt hatte: nach alten Büchern, nach leicht verstaubten Möbeln und einem Hauch von Potpourri.
(Später erfuhr ich allerdings, dass in diesem Moment tatsächlich jeder von uns etwas anderes gerochen hatte, und zwar offenbar genau das, was unseren Erwartungen entsprach.)

Als im Wohnzimmer der Kaffee vor uns stand, begann Edward, unser Anliegen zu schildern. Er war noch nicht sehr weit gekommen, als es draußen am Gartentor klingelte. Alex sah aus dem Fenster, nickte grimmig und fragte die Schwestern dann, ob ihnen der Name Joseph bzw. Jonathan Adlene bekannt wäre. Als sie das bejahten, gab er zu, dass wir ein gewisses Problem mit Adlene hätten und dass dieses Problem offenbar gerade vor ihrem Gartentor angekommen sei. Die Damen waren alles andere als begeistert und erklärten, wir sollten das Problem gefälligst loswerden.
Während Edward also weiter mit den Schwestern verhandelte, gingen wir anderen in den Garten. Dort standen vier Personen vor der Tür – keine Geister, denn wir konnten sie auch sehen. Aber die Leute waren besessen, wie Alex uns wissen ließ und wie wir anhand ihrer starren Blicke und reglosen Haltung auch selbst erkennen konnten. Und Alex sah auch noch weitere Geister, die sich in der Umgebung aufhielten und offenbar auf Leute warteten, von denen sie Besitz ergreifen konnten. Ein Mann hatte einen Hund dabei, der sein Herrchen misstrauisch anschaute und bellte. Dieser Mann musste es auch sein, der geklingelt hatte, denn gerade streckte er wieder die Hand aus und drückte jetzt anhaltend auf den Klingelknopf.
Ich ging hin und zog den Arm des Besessenen von der Klingel, was etwas schwierig war, weil ich dem Mann ja nicht wehtun wollte, und es half auch nicht viel, weil er daraufhin einfach mit der anderen Hand weiterklingelte.
Roberto packte den Mann und zog ihn in den Garten, und weil der Geist den Threshold nicht überwinden konnte, kam dessen Wirt drinnen einigermaßen desorientiert wieder zu sich. Wir erklärten das mit ‚kurzzeitiger Verwirrtheit‘, und der Mann, der seine Nachbarn draußen stehen sah, vermutete selbst ein Gasleck oder etwas in der Art.
Uns war klar, dass er einfach wieder besessen werden würde, wenn er den Garten verließe, und schon klingelte eine andere Nachbarin Sturm. Es waren zu viele, um sie alle einzeln davon abzuhalten, also ging Alex hinein und schaltete kurzerhand die Klingel ab. Die Stille war himmlisch.

Im Flur besprachen wir uns kurz unter acht Augen (Edward sprach ja noch immer mit den Damen): Dass die Geister jetzt hier waren, bewies, dass Adlene uns gezielt beobachtet. Den Agenten Jimanez hatte er mit seiner Aktion bereits für uns verbrannt, das durfte bei den drei Schwestern möglichst nicht passieren.
Vielleicht wäre es am besten, wir würden die Geister glauben lassen, unser Vorhaben hier wäre fehlgeschlagen, dann würden sie hoffentlich auch verschwinden, wenn wir gingen.

Indessen hatte Edward verhandelt. Kurz gesagt: Die Damen langweilten sich. Und sie hatten ihre Träume verloren. Sie hatten ihre Träume nicht gelebt, als sie jung waren, aber sie würden gerne wieder wissen, wie es war. Deswegen wünschten sie sich Gesellschaft, oder genauer gesagt einen Gesellschafter oder eine Gesellschafterin. Da sie früher alle Künstlerinnen waren – eine Tänzerin, eine Malerin, eine Bildhauerin – wollten sie auch gerne ein Publikum bzw. ein Modell. Mindestens jemand, der sie besuchen würde, aber idealerweise jemanden, der bereit war, bei ihnen zu wohnen.
Der Gedanke wollte mir nicht so richtig gefallen, Römer und Patrioten. Irgendwie kamen mir dabei all die Geschichten in den Sinn, bei denen Menschen ein vermeintlich harmloses Abkommen mit Feen oder Hexen schließen und dann für hundert Jahre und einen Tag gebunden sind oder etwas in der Art. Wir würden sehr vorsichtig sein müssen, wen wir den Damen zur Gesellschaft fanden und wie wir den Handel formulierten. Aber wir versprachen, uns nach einer geeigneten Person umzusehen, und sobald wir jemanden gefunden hätten, wollten die Schwestern anfangen, uns die gewünschten Düfte zu brauen. Alles, was irgendwie zu Miami passt: vom Duft des Meeres über Damenparfum und Sonnencreme bis hin zum Geruch von Abgasen und dergleichen.

Um Adlenes Geister von den Schwestern abzulenken, ließen wir uns beim Gehen wie geplant mit erhobenem Gehstock und lautem Gezeter der Marke ‚… und kommt ja nie wieder!!“ von deren Gelände vertreiben. Beim Wegfahren drehten wir eine Schleife, um die Geister zu beobachten, und tatsächlich trieben die Besessenen sich noch etwas vor dem Haus der Schwestern herum und spielten noch eine Weile ihr Klingelspielchen, aber dann verzogen sie sich. ¡Que suerte!

Die Ereignisse bei den alten Damen brachten uns natürlich zum Nachdenken. Das Auftauchen der Geister dort bewies, dass Adlene zumindest irgendetwas weiß und uns deswegen beobachten lässt. Also riefen wir bei den anderen an, um zu fragen, ob die ebenfalls Probleme gehabt hatten.
Angel und Ximena waren für die magische Drohne ins Nevernever aufgebrochen und noch nicht wieder zurück, die erreichten wir also nicht. Dee und Cicerón Linares klangen am Telefon so, als hätten sie weniger Probleme mit Adlenes Geistern als miteinander. Aber eine beunruhigende Sache hatten sie tatsächlich zu berichten: Sie haben ja die Aufgabe, die Magie des Rituals in geordnete Bahnen zu kanalisieren und haben deswegen damit begonnen, an strategisch wichtigen Punkten Wards und Zeichen anzubringen. Ein wichtiger Teil dieses Netzes sind die Gullydeckel, bei denen sie die magischen Symbole einfach auf der Unterseite anbringen, wo sie keiner sieht, wo sie aber trotzdem genau den gewählten Straßen entlang den Weg bereiten. Und zahlreiche dieser markierten Gullydeckel waren einfach verschwunden, gestohlen worden. Da sind die beiden offenbar beobachtet worden, und dieser Jemand hat Gegenmaßnahmen ergriffen. Wieder Adlene? Eigentlich ist das nicht sein Stil, der bedient sich ja vor allem seiner Geister. Warden Declan? Der ist ja eigentlich in den Sümpfen verschollen… Stefania Steinbach vielleicht? Wir haben erst einmal keine Möglichkeit, dem auf den Grund zu gehen, aber wir dürfen das nicht aus den Augen verlieren. Und Dee und Linares müssen die Wards alle neu anbringen.

Und auch Ilyana Elder und Ximenas Partner Bjarki hatten in den Sümpfen tatsächlich eine unangenehme Begegnung: Sie hatten nach längerer Suche gerade ein Exemplar der Florida Rainbow Snake ausfindig gemacht und wollten ihren Fund soeben einsammeln, als einige seltsame Gestalten auftauchten und die Schlange einfroren. Das Tier starb, und Bjarki, der sich gerade in Schlangengestalt befand, wäre beinahe ebenfalls erfroren, wie Ilyana erzählte. Auf unser Nachhaken führte Ilyana noch aus, dass die ‚komischen Gestalten‘ kleine Kerle mit Eismagie gewesen seien. Frostgnome? Ja, so könnte man sie wohl nennen.

Mierda. Ich wusste doch, dass die uns noch Ärger machen würden. Der Vorteil daran, dass wir die kleinen Mistkerle kennen, ist, dass wir wissen, wo wir sie finden, und dass wir relativ problemlos mit ihnen reden können, weil wir eigentlich bisher kein Problem mit ihnen haben. Also die anderen, genauer gesagt. Ich habe zwar in der Theorie eigentlich auch kein Problem mit ihnen, aber ich bin eben doch sehr vom Sommer geprägt, und auch wenn ich, anders als beim letzten Mal, meine Gefühle ihnen gegenüber inzwischen analysiert habe und daher einigermaßen weiß, was von meinem Sommermantel kommt und was von mir selbst, war es dennoch besser, wenn ich nicht mitging. Edward lehnte ebenfalls ab, der mag die Frostgnome genausowenig.

Nachdem die anderen aufgebrochen waren, googelten Edward und ich noch ein bisschen nach weiteren Möglichkeiten für die Geruchskomponente – oder besser ich googelte, weil das mit Edward und Technik ja inzwischen so eine Sache ist. Die Suche förderte nicht nur eine Marke von Lufterfrischern und Duftkerzen zutage (vielleicht eine Alternative, falls wir keine passende Gesellschaft für die alten Damen finden?), sondern auch einen Human Interest-Bericht von vor wenigen Tagen über ein junges Mädchen, das regelmäßig an Schönheitswettbewerben für Kinder teilnimmt und auch selbst ein Kinderparfüm namens „Miami“ kreiert hat. Der Bericht war aus Anlass eines Schönheitswettbewerbs veröffentlicht worden, der gerade heute stattfand, also fuhren wir kurzerhand hin.

Karten waren schnell gekauft, und ins Gespräch mit dem jungen Mädchen – Maureen heißt sie – kamen wir auch… oder besser mit deren Mutter, denn es wäre mehr als seltsam gewesen, wenn zwei erwachsene Männer eine Neunjährige angesprochen hätten. Der Anfang war ein bisschen holprig, denn zunächst hielt die Mutter uns für den Stylisten und den Garderobier. Dann, nachdem ich mich vorgestellt und sie mich als ‚ah, der Schriftsteller‘ identifiziert hatte, schlug sie ihrer Tochter vor, ich könne doch Werbeträger für das Parfüm werden. Die Kleine, die überhaupt sehr erwachsen und fähig wirkte, rollte mit den Augen und schickte ihre Mutter ein Stückchen weg, weil sie selbst mit uns verhandeln wollte.
Ich erklärte also, warum wir gekommen waren – als Grund dafür, dass ich eine Flasche von ihrem Parfüm haben wollte, erzählte ich, dass meine eigene Tochter ungefähr im selben Alter sei wie sie und dass ich das Parfüm als Geburtstagsgeschenk für sie wolle. Wenig verwunderlich war das Mädchen etwas misstrauisch, also zog ich mein Portemonnaie heraus und zeigte ihr das Foto von Alejandra, das ich darin trage.
Das stimmte die Kleine etwas milder. „Okay, wenn Sie ein Betrüger sind, dann sind Sie wenigstens ein gut vorbereiteter Betrüger.“
„Wenn ich ein Betrüger wäre, würde ich mich hoffentlich gut vorbereiten“, erwiderte ich, „aber ich verspreche, ich bin keiner.“
Als das aus dem Weg war, fingen wir an zu verhandeln. Neben dem Versprechen, ihr das Parfüm nicht zu stehlen und zu vermarkten, wollte Maureen gerne eine geführte Tour bei einem renommierten Pharma- oder Chemieunternehmen, weil sie eben großes Interesse an und auch ein sehr früh ausgebildetes Talent für Chemie hat. Ich sagte, ich sehe zu, was ich machen kann, und wenn es mir gelingt, eine solche Führung zu arrangieren, dann will sie eine Flasche von dem Parfüm zu dem Treffen mitbringen.

Als wir zurückkamen, waren auch die anderen wieder da. Sie hatten die Frostgnome in der bekannten Lagerhalle angetroffen und nach einigem Verhandeln und Bezahlen mit Eiscreme herausgefunden, dass Fürstin Tanit ihnen den Auftrag gegeben hatte, die Suche zu sabotieren. Eine kurze Anfrage bei Ilyana und Bjarki ergab allerdings, dass die beiden ihres Wissens nach eigentlich kein Problem mit Winter im Allgemeinen oder Tanit im Speziellen haben. Die Jungs beschlossen also, direkt nachzufragen, und zwar bei Hurricane, weil an Lady Tanit selbst ja nur so schlecht heranzukommen ist.
Hurricane war extrem reserviert. Er bestätigte, dass die Gnome auf Tanits Befehl gehandelt hätten, wollte aber über ein „Wir vertreten unsere Interessen. Es gibt Sommer, es gibt Winter“ nicht sagen, warum, und auch Robertos Nachfragen ergab lediglich ein pikiertes „Tu nicht so, als ob du das nicht weißt“, bevor Hurricane davonstolzierte.

Erst bei unserer Nachbesprechung wurde uns mit einem Mal klar, warum Hurricane so gekränkt reagiert hatte: Bei unserer Ritualgruppe ist kein einziger Vertreter des Winters, oder auch nur jemand mit Affinität zum Winter, dabei!
Oh. Das haben wir schlicht nicht bedacht. Mierda.
Ich selbst bin zwar nicht in meiner Funktion als Sommerritter in der Gruppe, sondern als Privatperson und normaler Mensch, und ganz im Gegenteil sollen während des Rituals ja sämtliche Feen-Einflüsse so gut wie möglich unterdrückt und aus dem Ritual herausgehalten werden, aber ich gehöre halt nun einmal trotzdem zu Sommer. Für Lady Tanit und Hurricane muss das so aussehen, als grenzten wir Winter aus, während wir Sommer mit einbeziehen.
Wir überlegten lange herum, ob es jemanden gibt, den wir von Winterseite noch ins Boot holen könnten, aber es fiel uns schlicht niemand ein. Hurricane selbst ist ein Fae, und wir wollen nur Menschen dabei haben, eben wegen der Unterdrückung der feeischen Einflüsse. Mein Gegenpart für Winter, Yahaira Montero, ist vor allem im Nevernever unterwegs und kaum in Miami zu finden. Kirsten Lassiter vom Magierrat ist auf Eismagie spezialisiert und versteht sich gut mit den Winter-Sidhe, aber ihre Aussage, sie würde jetzt in Miami wohnen, bezog sich nicht auf heute, sondern die hatte sie, von dem Foto in der Ausstellung beeinflusst, als ihr 15-jähriges Ich gemacht. Catalina Snow, die Richterin des Winters, lebt auch nicht hier.
Tanit die Sache zu erklären und um ihr Verständnis zu bitten, geht aber auch nicht, denn dann würde es Pan erfahren, und den wollen wir möglichst vor vollendete Tatsachen stellen. Es más fácil pedir perdón que permiso, oder so. Also beschlossen wir schweren Herzens, dass es niemanden gibt, den wir von Winterseite hinzuziehen können, es sei denn, wir schaffen es doch noch irgendwie, Yahaira rechtzeitig zu erreichen. Versuchen wollen wir es jedenfalls. Wenn sie schon nicht mitmachen will, kann sie uns vielleicht wenigstens einen Ratschlag geben.

Im Gegenzug erzählte ich von meiner jungen chemiebegabten Bekannten und deren Parfüm und musste – natürlich – erst einmal ein paar blöde Sprüche von wegen Praktikum in einer Meth-Küche oder Führung durch Edwards magisches Alchimie-Labor ertragen. Aber auch den durchaus ernstgemeinten Vorschlag, die Kleine könne doch die Gesellschafterin der drei „Lost Dreams“-Schwestern werden („die machen auch Chemie und auch Düfte!“), wehrte ich ab. Die Kleine ist neun Jahre alt, por decirlo en voz alta, die hat Besseres zu tun, als in regelmäßigen, aufgezwungenen Abständen mit drei alten Damen herumzuhängen. Nein, für ihren Schnuppertag wird mir schon etwas einfallen.

22. Januar

Mir ist etwas eingefallen. Meine frühere Kommilitonin Letitia arbeitet doch bei einem hier angesiedelten Pharmakonzern. Ich habe sie angerufen und ihr die Sache geschildert, und sie stimmte mir zu, dass eine solche Aktion gute Öffentlichkeitsarbeit für den Konzern wäre. Sie will versuchen, etwas zu arrangieren.

Nachmittags. Letitia hat eben angerufen. Die Sache läuft. Freitag nachmittag nach Maureens Schulschluss.

26. Januar

Heute war der Termin. Medienwirksames Treffen samt Pressepräsenz, bei dem die volle Human Interest- und Wunderkind-Story hautnah eingefangen wurde – natürlich lag der überwiegende Großteil des Fokus auf Maureen, aber Sheila hat es sich nicht nehmen lassen, nebenbei auch die ‚arrangiert wurde dieses Treffen von Bestseller-Autor Ricardo Alcazár, dessen neues Buch kurz vor der Fertigstellung steht‘-Karte zu spielen. Seufz. Aber das gehört halt dazu, und sie wäre keine gute Agentin, wenn sie an sowas nicht denken würde. Zum Glück beschränkte der Trubel sich größtenteils auf den Anfang und das Ende, während bei der eigentlichen Tour die Presse zwar dabei war und filmte, Maureen aber größtenteils in Ruhe ließ. Natürlich wurde sie interviewt, aber durch die Schönheitswettbewerbe hat sie ja schon Erfahrung und schlug sich tapfer. An mich hatten die Reporter auch ein, zwei Fragen, aber das war Routine.
Maureen hat auch tatsächlich angeboten bekommen, dass sie in ein paar Jahren ihr Praktikum bei dem Konzern machen und mindestens am ‚Girls‘ Day‘, wenn nicht öfter, auch gerne immer schnuppern kommen darf. Der Kontakt ist also hergestellt, was mich freut – und nicht nur deswegen, weil Maureen mir am Ende des Besuchs wie versprochen eine Flasche ihres „Miami“-Parfums überreichte.

28. Januar

Habe ich eigentlich schon festgehalten, wie Totilas für das Ritual die Gegenstände beschaffen will, die Miamis Seele verkörpern? Er hat einen stadtweiten Aufruf gestartet, Römer und Patrioten, und zwar natürlich mit jeder Menge pro-Raith PR. Seit er Geralds Platz eingenommen hat, kann Totilas ja nichts mehr ohne pro-Raith-PR tun, kommt es mir manchmal vor.
Die Leute springen reihenweise darauf an – Totilas bekommt schon seit Tagen, ach was, Wochen, zahlreiche und begeisterte Reaktionen auf seine Kampagne, und Dutzende, wenn nicht Hunderte, spenden diejenigen Dinge, die für sie Miami verkörpern. Da ist es eher eine Frage des Aussortierens, welche von den Gegenständen für unser Vorhaben geeignet sind und welche nicht.

Und ein ganz anderes Thema: Edward wird verfolgt. Er hatte schon seit einer Weile den Verdacht, aber inzwischen ist er sich sicher. Er hatte erst an Internal Affairs gedacht, aber es ist immer dieselbe Frau, die er in seiner Umgebung sieht, und das spricht dagegen. Denn wenn es eine offizielle Operation von Internal Affairs bzw. eine professionelle Beschattungsaktion wäre, dann würden die Beamten sich abwechseln. Entweder sie wollen gesehen werden, oder die Frau beobachtet Edward alleine.

29. Januar

Edward hat bei der Arbeit ein bisschen recherchiert und herausgefunden, wer die Frau ist: tatsächlich eine junge Kollegin aus Internal Affairs namens Sarah Princeton, erzählte er. Nachdem er sie heute also wieder bemerkte, wartete er einen passenden Moment ab und sprach sie kurzerhand an.
Ms. Princeton war erst misstrauisch, dann aber doch bereit, mit ihm zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass sie Edward auf eigene Faust beschattete, nicht im Auftrag von Internal Affairs, weil sie sich selbst ein Bild von ihm machen wollte. Sie sagte ihm, dass bei Internal Affairs aktiv gegen ihn ermittelt werde – nicht, dass Edward das nicht schon gewusst oder zumindest vermutet hätte – und dass etliche Leute nur einen Vorwand suchten, um das Miami SID komplett schließen zu können. Aber Sergeant Book habe vor Jahren einmal ihrem Vater das Leben gerettet, und irgendetwas sei bei der Sache seltsam gewesen, also könne das SID eigentlich nicht völlig schlecht und unnütz sein. Aber für sie stelle sich die Frage, ob Edward korrupt sei – immerhin sei der Verbrecherboss Totilas Raith ein ständiger Kontakt.
Edward antwortete offen, dass er sich selbst nicht mehr ganz sicher sei, inwieweit er noch zu den Guten gehöre – manchmal müsse er, um die Stadt zu beschützen, Dinge tun, die eindeutig nicht in die Kategorie „gut“ fallen. Ms. Princeton hörte sich das aufmerksam an und erwiderte dann, aber immerhin habe er ihr nicht gedroht, wie er das ohne Weiteres hätte tun können, und dann trennten die beiden sich gütlich. Eigentlich ist das für Edward gar nicht so schlecht gelaufen, wenn ich mir das so überlege.

1. Februar

Dallas Hinkle hat eben angerufen. Bei Alex ist irgendwas los. Später mehr.

Abends. Tio. Leute gibt’s. Alex will ja einen Schlüssel für die Stadt anfertigen und sammelt zu diesem Zweck Unterschriften von Miamis Bürgern auf einer großen Metallplatte, die er dann zu dem besagten Schlüssel umarbeiten will, wenn ich das richtig verstanden habe. Dazu hat er sich an unterschiedlichen Tagen an unterschiedlichen Orten aufgestellt und eben Bürger unterschreiben lassen.

Als wir – Roberto, Edward und ich; Totilas war wieder mal mit Sortieren beschäftigt – ankamen, war Alex gerade in eine hitzige Diskussion mit einem Mann mittleren Alters verwickelt. Ich beteilige mich ja nur ungern an der Perpetuierung von billigen Klischees, aber der Mann war tatsächlich ein fleischgewordenes Beispiel für den herablassenden, männlich-chauvinistischen MAGA-Typus der klischeeträchtigsten Sorte. Späte Fünfziger oder frühe Sechziger, weiß mit rötlicher Gesichtshaut, kräftige Gestalt mit ‚hallo hier komme ich‘-Gebaren und entsprechend dröhnender Stimme. Ein echter Jefe de la Manada, wie Máma sagen würde, und das meint sie nicht im Guten.

Dieser unangenehme Typ jedenfalls hatte sich gerade ohne Aufforderung oder Erlaubnis auf Alex‘ Metallplatte verewigt, und zwar mit einem Schweißbrenner, wohlgemerkt, damit die Unterschrift auch ja permanent wäre. Weder Dallas noch Alex hatten ihn daran hindern können, und jetzt stand er da noch herum und war offenbar immer noch auf Ärger aus.

Statt uns – zumindest nach außen hin – aufzuregen, zuckten wir mit den Schultern und sagten, na gut, wenn er gerne ein Bürger Miamis sein wolle, bittesehr. Das sei er nicht, fuhr der Mann auf, er sei ein stolzer Bürger Chicagos! Warum er dann unterschrieben habe? Ein John T. Galway (es wunderte mich fast, dass da kein Zusatz mehr kam; ich hätte so fest mit einem ‚der Dritte‘ gerechnet, aber okay, das war vermutlich der Schriftsteller in mir) könne doch wohl unterschreiben, worauf er wolle, das sei sein gutes Recht! Immerhin sei er Millionär und Geschäftsmann!
Okay, konterten wir, dann habe er sich jetzt wohl gerade zum Bürger Miamis erklärt. Auf ein gutes Leben hier. Waaaaas? Nein! Und damit zog der Typ empört ab.

Es war ja vergleichsweise harmlos, weil Alex gesagt hat, er kann die Unterschrift vermutlich wieder von der Platte entfernen, aber nervig war es doch. Und ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob das Zufall war, oder ob den Kerl jemand aufgestachelt hat. Ich meine, Schweißbrenner? Ernsthaft jetzt? Wer geht mit einem Schweißbrenner in der Stadt spazieren in der Hoffnung, dass er seine Unterschrift irgendwo verewigen kann? Nein. Honi soit qui mal y pense.

Aber diese Sache war nicht mal alles, was heute passiert ist. Es ging gerade so verrückt weiter.

Nachdem dieser Galway verschwunden war, fuhren wir zum Marbella, wo wir uns wie geplant mit Totilas treffen wollten. Schon mit etwas Abstand konnten wir sehen, dass da irgendeine Aufregung herrschte, und als wir näherkamen, erkannten wir auch, was da los war: Ein großer Alligator – ein Weibchen, wenn ich nach der schmalen Schnauze und der vergleichsweise kurzen Länge von unter drei Metern gehen durfte – bewegte sich zielstrebig und erschreckend schnell auf den Eingang des Hotels zu. Dort kam gerade Totilas heraus, gefolgt von einem aufgeregt gestikulierenden und auf Totilas einredenden jungen Mann der Marke Hinterwäldler aus den Everglades, und jetzt wurde auch sehr schnell klar, was es mit dem Alligator Run auf sich hatte, denn unser White Court-Kumpel hatte ein Alligatorbaby im Arm, das ihm ganz augenscheinlich der junge Glades-Billy für seine Sammlung hatte bringen wollen.
Die wütende Alligatormutter musste schleunigst hier weg, bevor sie irgendwelche Umstehenden anfiel – und dank Totilas‘ übermenschlicher Geschwindigkeit und Alex‘ Auto gelang das glücklicherweise auch ohne größere Zwischenfälle. Oder zumindest wurde niemand verletzt – offene Münder, aus dem Weg springende Passanten, entsetzt-erstaunte Ausrufe und t klickende Handykameras gab es zuhauf. Es muss aber auch ein Bild für die Götter gewesen sein, wie ein ausgewachsenes Alligatorweibchen da einem Van mit offener Tür hinterher stürmte, aus dem ein Jungtier gehalten wurde, so dass seine Mutter es sehen konnte.

Auch dieser Vorfall ging also soweit glimpflich ab, auch wenn ich mich wirklich frage, was den jungen Mann geritten hat, ein lebendiges Alligatorbaby spenden zu wollen. Okay, vielleicht verkörpert es Miami, aber trotzdem. Ein bisschen gesunden Menschenverstand müsste der Junge doch eigentlich gehabt haben…

Wie dem auch sei. Es wurde niemand verletzt, auf den Fotos ist hoffentlich niemand von uns konkret zu sehen, also alles grün. Aber, Tio, was für ein Tag.

2. Februar

Und gleich noch so ein Tag für ein von Herzen kommendes „¿Que Demonios?“ Das heute hat die Seltsamkeitsskala gerade nochmal ein Stück nach oben erweitert. Andererseits… es war eine Fotoausstellung. Ich hätte es wissen können. Na immerhin stehe ich diesmal nicht mit einem geerbten Zelt da. Aber der Reihe nach.

Ich habe ja im November schon erwähnt, dass Roberto für das Ritual ein Miniaturmodell von Miami bauen will, in das er vielleicht auch die Leylinien der Stadt einzeichnen will. Um sich für diese Aufgabe inspirieren zu lassen bzw. darauf einzustimmen und Anregungen zu sammeln, hatte er schon vor einer Weile vorgeschlagen, dass wir die Fotoausstellung über Miami und seine Architektur ansehen sollten, die heute im Frost Art Museum eröffnet wurde.
Karten für die Eröffnung zu bekommen, war glücklicherweise kein großes Problem, auch wenn ich offen gestanden beim Gedanken an noch eine Fotoausstellung ein gewisses Unbehagen verspürte: So lange ist der Irma Relief Carnival noch nicht her. Wie bei uns so oft üblich, machten wir uns mit blöden Sprüchen Luft, und natürlich gingen wir hin. Anfangs war auch alles ganz normal – keinerlei Hinweise auf irgendwelche Beeinflussung durch Betrachten irgendwelcher Bilder, herzlichen Dank. Aber an einem Foto stimmte trotzdem etwas nicht. Es zeigte erkennbar den Strand von Miami, aber auf dem Bild waren Deiche zu sehen, außerdem Gebäude von ungewöhnlicher Bauweise. Ganz unbekannt waren sie mir aber nicht, auch wenn ich die palmgedeckten länglichen Häuser mit den offenen Seiten eigentlich in den Everglades-Kontext verortet hätte und nicht an den Strand von Miami: das waren Chickee-Hütten der Seminolen.

Wenn ja jemand Photoshop eingesetzt hatte, hatte er es sehr geschickt eingesetzt – aber die anderen Bilder der Ausstellung waren alle realistische Darstellungen Miamis, und das hier war das einzige mit erfundenem Motiv, auch wenn auf Anhieb keine Hinweise auf ein Bildbearbeitungsprogramm darauf zu sehen waren. Auf dem Schild unter der Fotografie war ein Name angegeben, also kauften wir uns einen Katalog der Ausstellung und schlugen dort die Informationen über die Künstlerin nach. Marijke Achthoven, hieß es da, sei in Miami geboren und ansässig und seit 20 Jahren als Fotografin mit Spezialisierung auf lokale Motive tätig. Ihr Ausstellungsfoto war im Katalog auch gezeigt – es war nur nicht das, was wirklich in der Ausstellung hing. Auch im Katalog zeigte das Bild den Strand von Miami, aber hier war nichts von Deichen und Chickee-Hütten zu sehen, sondern die ganz normale Skyline der Stadt, wie man sie erwarten würde.

Auf Nachfrage erfuhren wir, dass Ms. Achthoven bei der Vernissage anwesend sei, also ging Roberto sie suchen. Eine Weile später kam er mit der Künstlerin im Schlepptau zu uns zurück, und schon auf den ersten Blick war ersichtlich, dass sie verwundert und verwirrt wirkte. Sie fragte sich, warum alles so anders sei, warum hier auf einmal alle Englisch sprächen, und ob das Absicht sei und sie von irgendwoher mit einer versteckten Kamera gefilmt werde.

Okay, ich bin Schriftsteller. Eine blühende Fantasie gehört zum Berufsbild. Aber die Jungs dachten gleich genau dasselbe wie ich: Die Fotografin musste aus einem Parallel-Universum stammen.
Einige vorsichtige Fragen und Disclaimer im Stil von ‚ja, ich weiß, es klingt verrückt, aber bitte schließen Sie den Gedanken nicht gleich komplett aus“ später hatten wir Folgendes herausgefunden: In Ms. Achthovens Version der Erde hatten die Holländer Miami kolonisiert, nicht die Spanier, und die Holländer hatten das Gebiet nie mit den Engländern getauscht. Holländisch und Seminolisch waren die Amtssprachen in Ms. Achthovens Florida, und es gab auch keine USA, sondern lediglich miteinander verbündete Einzelstaaten, vielleicht so wie die Europäische Union in unserer Welt – und keiner dieser amerikanischen Einzelstaaten war in irgendeiner Weise angelsächsisch geprägt.
Überhaupt gab es in ihrer Realität kein britisches Empire, nicht einmal in der Vergangenheit, sondern England war genau das: ein Teil der britischen Inseln, wo Schottland, Irland und Wales sich alle ihre Unabhängigkeit bewahrt hatten. Deswegen hatte sie in der Schule zwar Englisch gelernt, weil es einfach wie Französisch, Spanisch oder Deutsch eine Sprache war, die nützlich sein konnte, aber die alles überschattende Weltsprache war es nicht.

Es dauerte natürlich eine Weile, bis die Künstlerin bereit war, zumindest vorsichtig anzunehmen, dass das Ganze vielleicht doch kein ausgeklügelter Scherz war, aber spätestens, als als wir vor das Gebäude gingen, wo sie prompt wegen der schlechten Luft zu husten anfing (ich: „Lassen Sie mich raten. In Ihrer Welt gibt es seit 1915 keine Verbrennungsmotoren mehr?“ Ms. Achthoven: „Seit 1929, aber ja, genau!“), fing sie dann doch langsam an, uns zu glauben. Von uns fahren lassen wollte sie sich nicht, aber sie wollte gerne zum Strand und sich selbst ein Bild von der Stadt machen, wie sie hier aussah. Also kamen wir auf die Idee, Telefonnummern auszutauschen – was aber umgehend die Frage aufwarf, ob der anderen Realität überhaupt Handys existierten oder die mobile Kommunikation dort irgendwie anders (oder gar nicht?) funktionierte. Ergebnis: Ja, Handys existieren dort, grundsätzlich jedenfalls. Aber Ms. Achthovens war ein ‚deVries‘, und von Samsung und Apple hatte sie noch nie gehört (von Nokia und Ericsson interessanterweise schon). Also gab Roberto ihr sein Handy, damit sie uns erreichen konnte, denn ihr deVries hatte, wen wundert’s, keinen Empfang.

Irgendwann kam die Fotografin wieder zurück, jetzt restlos überzeugt von unserer Parallelwelt-Theorie, und jetzt konnten wir sie auch fragen, wie genau sie hierher gekommen war, bzw. ob sie sich an irgendetwas erinnern konnte, das der Auslöser für den Wechsel gewesen sein könnte. Sie hatte in dem Moment nicht ihr eigenes Bild betrachtet, erzählte sie, sondern eines mit Raumfahrt-Thema. Denn auch in ihrer Realität befindet sich in Florida eines der Tore zum Weltraum, wenn auch natürlich nicht unter dem Namen „Kennedy Space Center“ oder auch nur „Cape Canaveral“, sondern „Kaap van de Stromingen“. Sie war allerdings verwundert, dass das Foto ein ihr völlig unbekanntes Motiv zeigte – laut Beschreibung hätte es eigentlich ein Bild von dem Raumfahrtzentrum sein sollen, aber stattdessen zeigte es ein Portrait von drei Männern in Raumanzügen mit einer ihr völlig unbekannten Flagge und einem Aufnäher mit den Buchstaben „NASA“, was ihr gar nichts sagte. Als sie das Foto genauer betrachten wollte, verspürte sie auf einmal eine Art Drehen im Kopf, als würde ihr schwindelig, also schloss sie die Augen, um durchzuatmen, und als sie sie wieder öffnete, war sie bei uns gelandet. Das fiel ihr im ersten Moment gar nicht auf, aber dann hörte sie auf einmal nur noch Englisch um sich her, und auch die Kleidung der Museumsbesucher wirkte vom generellen Schnitt her irgendwie anders. Und als sie dann versuchte herauszufinden, was los war, wurde sie auch schon von Roberto angesprochen.

Das eröffnete die interessante Frage, ob ‚unsere‘ Marijke Achthoven jetzt gleichzeitig mit der anderen hier in unserer Welt existierte, oder ob es im Moment des Transfers einen Austausch gegeben hatte und sich ‚unsere‘ Marijke Achthoven jetzt in einer Realität wiederfand, in der Niederländisch und Seminolisch die Landessprachen waren und es die Vereinigten Staaten nie gegeben hatte. Ein kurzer Anruf bei der hiesigen Ms. Achthoven und ein „Oh, Entschuldigung, falsch verbunden“, als die Künstlerin sich mit Namen meldete, beantwortete die Frage zwar, aber so wirklich hilfreich war das leider trotzdem nicht. Es half uns zumindest nicht dabei, Marijke wieder zurück nach Hause zu bringen. Aber vielleicht, wenn wir uns dieses Weltraum-Bild auch einmal ansehen würden? Tatsächlich, wo laut Beschreibung eigentlich ein Foto von Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins auf dem Cape Canaveral-Gelände hätte hängen sollen, war statt dessen eine Luftaufnahme des Gebäudekomplexes zu sehen.

Totilas fing an, das Bild genauer zu untersuchen – und als er seinen Blick länger auf eine Stelle des Bildes richtete, sah es für einen Moment so aus, als würde er einfrieren, und dann war tatsächlich auch er mit einem Mal verschwunden. Entsprechend waren wir anderen extrem vorsichtig und achteten darauf, unsere Augen beim Begutachten des Bildes ständig in Bewegung zu halten.
Zu unserem Erschrecken sah es so aus, als würde ‚unser‘ Motiv des Fotos langsam durch das fremde Bild hindurch erscheinen, wie zwei übereinander gelegte Ebenen bei einem Bildbearbeitungsprogramm oder wie ein altes Negativ, das zweimal belichtet wurde. Und die drei Astronauten wurden immer deutlicher und die Luftaufnahme immer schwächer, wir hatten also nicht mehr viel Zeit!
Eiligst schickten wir also auch Marijke hindurch und beauftragten sie, sie solle unbedingt Totilas finden und ausrichten, er müsse schnellstmöglich zurückkommen, wenn er nicht für immer drüben festhängen wollte.
Es folgten einige Minuten bangen Wartens, während derer wir versuchten, das ‚doppelt belichtete‘ Bild so gut wie möglich von den anderen Besuchern abzuschirmen, dann tauchte Totilas zu unserer großen Erleichterung wieder auf.

Jetzt, wo ich das Ganze niedergeschrieben habe, kommt es mir irgendwie unwirklich vor. Eigentlich sollte es mich nicht wundern: Ich war in den paar Jahren an den unterschiedlichsten Orten des Nevernever, ich war in einer Welt aus gestaltgewordenen Träumen, und ich war in der Nachwelt des nordischen Götterglaubens – aber trotzdem. Parallelwelten, echt jetzt?

Vielleicht würde ich ja sogar anfangen, an meinen Sinnen zu zweifeln (wobei ich das nicht glaube, dazu war das Erlebnis zu überzeugend), aber es gibt einen Beweis, dass wir uns das alles nicht nur eingebildet haben: Robertos Handy ist weg, und dafür hat er immer noch Marijkes deVries.

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