[Karneval der Rollenspielblogs] Juli 2020: Sprechende Namen bei Itras By

Der Karneval jetzt im Juli kommt von Niniane und mit ihrem Blog Stories and Characters und widmet sich dem Thema „Sprache„. Das ist nicht nur ein Bereich, an dem ich von Berufs wegen und einfach aufgrund meiner persönlichen Neigungen allergrößtes Interesse habe und an dem ich deswegen unbedingt teilnehmen möchte, sondern ich könnte mir vorstellen, dass dies auch der erste Umzug werden könnte, für den ich mehr als einen Beitrag verfassen werde. Die eine oder andere Idee habe ich bereits. Aber da will ich nichts versprechen – der Monat könnte schneller um sein, als mir lieb ist. Wir werden sehen. Aber jetzt ist hier zumindest schon einmal ein Posting zum Thema.

Es geht um die sprechenden Namen bei Itras By. Nun finde ich sprechende Namen ja immer interessant (zum Beispiel habe ich im Studium ein Referat über die sprechenden Namen bei Tolkien verfasst), aber zu gerade zu denen bei Itras By habe ich einen besonderen Bezug, weil ich dieses Rollenspiel ja selbst übersetzt habe.

Das surrealistisch angehauchte Setting von Itras By ist voll von sprechenden Eigennamen. Während manche davon problemlos stehenbleiben konnten und in dieser Form sogar besser passen, als wenn ich sie übersetzt hätte, haben andere in übersetzter Form eine stärkere Wirkung. Mit diesem Beitrag will ich einen kleinen Einblick darüber geben, wie einige der deutschen Eigennamen in Itras By zustande gekommen sind.

Dieses Posting ist den Hühnern gewidmet. Mädels, ihr seid die Besten!

Itras By selbst

Wortwörtlich bedeutet dieser Name nichts weiter als “Itras Stadt”, wobei Itra der Name der Göttin ist, von der die Spielwelt, deren Zentrum und hauptsächlicher Spielort die Stadt ja ist, erschaffen wurde. In demselben Stadium der Übersetzung, in dem ich auch an die Eindeutschung der Stadtteilnamen ging, hatte ich kurz mit dem Gedanken gespielt, einen Namen zu wählen, der mehr wie ein “echter” deutscher Städtename klingt, und im Kopf mit einigen Möglichkeiten jongliert, aber alle Ideen, die ich hatte, ob es nun “Itrastadt” war oder gar so etwas wie “Itrahausen”, fand ich bestenfalls unpassend und schlimmstenfalls richtig schrecklich, also blieb es beim Original. Gelegentlich erscheint im Text allerdings der Begriff “Itras Stadt”, wenn nicht der Eigenname, sondern eher eine Beschreibung gemeint ist.

Die Stadtteile

Im frühen Stadium der Übersetzung und für die ersten Abenteuer, die ich im Setting leitete, beließ ich die Stadtteilnamen im norwegischen Original. Irgendwann allerdings kam mir der Gedanke, dass ich sie vielleicht doch lieber übersetzen sollte, weil es sprechende Namen sind, ich wollte aber auch unbedingt, dass sie sich wie echte, glaubwürdige Stadtteilnamen anhören sollten. Also gab es ein Brainstorming in der “Hühnerrunde”, unserer nur aus Frauen bestehenden Rollenspielgruppe – bei derartigen Fragen ist eine Schwarmintelligenz einfach nicht zu schlagen.

Kirkehaugen war einfach. Wortwörtlich übersetzt heißt der Begriff “Kirchenhügel”, da wurde mein erster und einziger Vorschlag “Kapellenberg”, den ich in die Gruppe warf, von den Hühnern sofort und ohne weitere Vorschläge als schön und passend befunden.

Sortvika ging auch relativ schnell. Wortwörtlich heißt das “Schwarzbucht”, und für die Übersetzung hatte ich mit den Begriffen „Finsterbucht“, „Düsterbucht“ und „Finsterförde“ gespielt. Mit diesen Ideen war ich allerdings nicht so richtig glücklich, weil keiner der Namen sich in meinen Ohren wie ein echter Stadteil anhörte. Eines der Hühner kam aber davon ausgehend sehr schnell auf “Schwarzenförde”, und das gefiel mir ausgezeichnet und war gekauft.

Storenga – wortwörtlich „große Wiese“ – war da schon ein bisschen kniffliger. Ich hatte zunächst an „Wiesenau“ gedacht, weil das in mehreren Städten in Deutschland ein echter Stadtteil ist. Im Hühner-Brainstorming wurde dieser Vorschlag allerdings hinterfragt und erst gutgeheißen, als ich bestätigen könnte, dass es im Setting in dem Stadtteil ein Fließgewässer gibt – offenbar ist es ein zentraler Bestandteil einer “Au”, dass Wasser hindurchfließen muss, was ich so bis dahin gar nicht wusste. Als Alternativen schlugen die Hühner noch “Gartenstadt” und “Grüner Wöhrd” vor, aber ersteres war mir ein bisschen zu prosaisch, obwohl (oder weil?) auch das ein in einigen deutschen Städten real existierender Stadtteil ist, und letzteres hatte den Nachteil, aus zwei Worten zu bestehen, während ich eigentlich am liebsten nur einwörtrige Namen verwenden wollte. Als mir dann noch einfiel, dass ich neben “Wiesenau” ja auch an “Aufeld” gedacht hatte, und diesen Namen in die Diskussion warf, fand er allgemeinen Anklang und gefiel den Hühnern besser als “Wiesenau”, also wurde es das.

Der Stadtteil Myntekollen, “Münzhügel”, brauchte am meisten Hirnschmalz. Die erste Idee, die ich in die Runde warf, war „Dukatenbuckel“ oder etwas in der Art, aber das kam bei den Hühnern nicht so gut an, und so nannten sie als Gegenvorschläge zunächst “Talerhügel” oder “Talerbuck”. Aber mit “-buck” konnte nun ich wiederum nichts anfangen, und die Endung „-hügel“ wollte ich eigentlich ganz gerne vermeiden, weil ich nicht wüsste, dass das in echten Städten ein gängiger Stadteilname wäre, während ich beim “Dukatenbuckel” an den realweltlichen “Aubuckel” der Stadt Mannheim hatte denken müssen. “Buckel” allerdings klang den Hühnern zu süddeutsch, während dem Setting (zumindest in meiner Vorstellung, und offenbar auch in derjenigen der Hühner) durch seine norwegische Herkunft ja doch irgendwie ein gewisses nordisches Flair anhaftet. Der nächste Vorschlag war “Talerbühl”, und das gefiel mir richtig gut. Ich war mir zwar nicht so sicher, ob ein Bühl denn überhaupt ein Hügel ist, und auch das vorschlagende Huhn konnte sich nur noch dunkel daran erinnern, dass in der deutschen Tolkien-Übersetzung der Hobbit “unterm Bühl” wohnt, aber eine kurze Recherche bestätigte das sehr schnell, also war “Talerbühl” perfekt. Da konnte der noch nachgeschobene Vorschlag “Münzbühl” bei weitem nicht mithalten.

Das Filmstudio

In der norwegischen Originalversion und in der englischen Übersetzung von Itras By heißt das Filmstudio des Settings “Babelsberg”. Für die deutsche Ausgabe war mir dieser Name allerdings zu dicht am real existierenden, modernen Studio Babelsberg in Berlin – ich wollte etwas, das zwar daran erinnerte, aber trotzdem ein bisschen entfernt vom echten Leben war. Zunächst dachte ich an “Barrandov”, das legendäre tschechische Filmstudio, in dem die ganzen Märchenfilme der 1970er und 1980er gedreht wurden. Aber eines der Hühner kam auf die Idee, “Boberow” zu nehmen, den alten sorbischen Namen für Babelsberg, und das war absolut ideal.

Die Zerrfratzen

Im Setting von Itras By gibt es eine Gruppe von Personen, die permanent verzogene Gesichter haben, weil sie gerade eine Grimasse schnitten, als der Wind sich drehte (was eine norwegische Redensart zu sein scheint). Im norwegischen Original heißt so jemand “vrengetryne”, von “å vrenge” = “verzerren, verziehen, nach außen kehren” und “tryne” = “Fresse, Schnauze”. In der englischen Version wurde das Wort sehr poetisch mit “grimasque” übersetzt, wie ich später sah, aber “Grimaske” oder auch “Grimasque” hätte auf Deutsch nicht so gut funktioniert, wie ich fand. Deswegen beließ ich es beim sprachlich näheren “Zerrfratze”.

Die Stochatisten

Eine weitere im Buch erwähnte Gruppe wird im Original „Marimorinderne“ genannt – und ich hatte nicht den blassesten Schimmer, aus welchem norwegischen Begriff oder Begriffen sich dieses Wort herleitete*. Aber in dem entsprechenden Abschnitt waren diese Marimorinderne und das, was sie tun, natürlich beschrieben: Es handelt sich um eine Gruppierung von verschrobenen Typen, die wildfremde Leute anrufen und ihnen mit dem Ziel, eine umfassende Statistik über die Stadtbewohner zu erstellen, scheinbar willkürliche Fragen stellen. Für die von ihm selbst übersetzte englische Version hatte der Autor „the Gallups“ aus der Gemeinschaft gemacht, nach dem bekannten amerikanischen Meinungsforschungsinstitut, aber der Gedanke, für die deutsche Ausgabe eine Verballhornung eines deutschen Meinungsforschungsinstituts zu verwenden, sagte mir irgendwie nicht zu, also gab ich die Frage wieder einmal an die Hühner weiter. Es dauerte keine Minute, bis von einem Huhn der Vorschlag kam, die Organisation doch „Stochatisten“ zu nennen, und von der Idee war ich restlos begeistert. Wie im Original existiert das Wort im Deutschen nicht, aber es ist nah genug an „Stochastiker“ bzw. „Stochastik“ dran, dass man sofort weiß, was damit ausgesagt werden soll – mit anderen Worten: Es war geradezu ideal.

Victor Oppheimer

Der Charakter Victor Oppheimer ist ein Mann mit dem Kopf eines Moschusochsen. Im Original ist sein Spitzname “Muldredyr”, und während “dyr” = “Tier” bedeutet, muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich auch hier wieder völlig ahnungslos war, was genau es mit dem Wortteil “muldre” auf sich hatte*. Im Wörterbuch konnte ich nichts Passendes finden, und auch, als ich wusste, dass der Autor selbst für die englische Version Victors Spitznamen mit “Boulderbeast” übersetzt hatte, half mir das nicht groß weiter. Ich stand völlig auf dem Schlauch und übergab das Problem ohne jeden Vorschlag meinerseits samt einer Erklärung und einer Charakterbeschreibung an die Schwarmintelligenz der Hühner. Von denen kamen zahlreiche Vorschläge wie “Querkopf”, “Felskopf”, “Klopskopf” (das fand ich schonmal um ein Vielfaches besser als alles, was mir bis dahin so eingefallen war), außerdem auch einige (vor allem in Süddeutschland) real existierende Nachnamen wie “Stierschädel”, “Ochsenkopf” und “Breitschädel”, aber die vermochten mich alle nicht so richtig zu packen. Dann jedoch schlug ein Huhn neben “Zottelvieh” und “Zottelbacke” auch “Zottelkopf” vor, und letzteres war perfekt.

* Irgendwann später kam ich dazu, Ole Peder Giæver, einen der Autoren von Itras By, nach den beiden Begriffen zu fragen, und es stellte sich heraus, dass es nicht an meiner mangelhaften Beherrschung des Norwegischen lag, sondern dass er in beiden Fällen die Namen aufgrund seiner eigenen Assoziationen und nach lautmalerischen Gesichtspunkten gewählt hatte. Da war ich dann doch ein bisschen beruhigt. Und noch mehr beruhigt war ich davon, dass ihm meine beiden Lösungen gut gefielen.

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Indie-RPGs, Karneval der Rollenspiel-Blogs, Rollenspiel-Sonstiges

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