Miami Files – Cold Days 4

Heimdall – der tatsächlich ziemlich genauso aussah wie Idris Elba in dieser Rolle; vermutlich hat er die Filme auch gesehen – wirkte nicht feindselig, deswegen schälte ich mich in normalem Tempo aus meinem Sessel hoch und hieß den Asen ganz offiziell in der neuen Sommerdomäne von Miami willkommen.
„Du wolltest mich sprechen?“
„Das wollte, das will, ich“, antwortete ich, „auch wenn eine ganze Menge passiert ist seither.“
„Es war also deine Hochzeit, auf der Loki ermordet wurde.“
„Ja, das war meine Hochzeit. Aber ich hatte keine Hand in dem, was geschehen ist.“
„Das weiß ich.“ Ein scharfer Blick ging zu Alex. „Aber es war Elegguas Plan.“
„Loki zu töten? Nein“, erwiderte Alex sehr entschieden.
„Es war Elegguas Plan, die Götter nach Miami zu holen“, präzisierte Heimdall.
Alex wiegte den Kopf. „Ob Plan oder kein direkter Plan, dazu will ich mich lieber nicht äußern“, sagte er vorsichtig.

Bevor ihm diese Aussage negativ ausgelegt werden konnte, schaltete ich mich wieder in das Gespräch ein. „Plan? Vielleicht. Vielleicht nicht. Aber Eleggua hat auf jeden Fall seinen Vorteil daraus gezogen, dass da dieser Druck auf die Barriere zwischen den Welten herrschte, dass dieser Druck ein Ventil brauchte und uns keine bessere Lösung einfiel, als Elegguas Vorschlag, ein Stückweit die Magie nach Miami hereinzulassen, in die Tat umzusetzen.“
Ein Nicken von Heimdall. „Ich schätze aber, Eleggua ist nicht von den Außenseitern unterwandert?“
Alex machte ein erschrockenes Gesicht. „Ich hoffe mal nicht!“
Der Ase machte eine beruhigende Handbewegung. „Das würde ich spüren. Und auch an dir würde ich es sehen, wenn du korrumpiert wärst.“
„Gut, dass du es an mir sehen kannst“, erwiderte Alex, „denn ich weiß nicht, ob ich das selbst merken würde.“
Heimdall lächelte dünn. „Eher nicht. Das ist ja das Problem.“

Dann runzelte er die Stirn. „Wir wissen alle, dass Eleggua nicht hinter dem Mord an Loki steckt. Also warum tut Odin das alles? Ich verstehe es nicht.“
Vielleicht war es ein Risiko, der nordischen Gottheit das anzuvertrauen, aber ich glaubte zu spüren, dass Heimdall in dieser Sache aufrichtig war und sogar zu einem gewissen Grad auf unserer Seite stand. Daher antwortete ich: „Wir glauben, dass die Trauer um Loki und um seinen Raben nur ein Vorwand sind, um Ragnarök auslösen zu können.“
Heimdall nickte. „Odin und Loki mögen zwar Brüder sein, aber einander so wirklich gewogen waren sie sich nie.“

Und dann kam mir urplötzlich ein sehr erschreckender Gedanke. „Aber mal eine ganz blöde Frage: Würdest du es an Odin merken, wenn er von den Outsidern unterwandert wäre?“
Heimdall stutzte und antwortete dann langsam und nachdenklich: „Vermutlich nicht, tatsächlich. Odin ist sehr gut darin, Dinge zu verbergen.“

Oh, mierda.

Denn als wir so darüber nachdachten, fiel uns ein, dass tatsächlich Pennywise höchstselbst Odins Raben getötet hat, mit einem dieser Dolche, und somit hat Pennywise nachgewiesenermaßen einen Weg in Odins Kopf, denn der hatte ja einen Teil seines Gedächtnisses in Munin ausgelagert, während der andere Teil noch bei ihm selbst ist, und somit ist da ganz eindeutig eine magische Verbindung.

Oh, mierda.

„Können wir Odin davon überzeugen, dass er beeinflusst ist?“, fragte Totilas, wie immer sofort um praktische Lösungen bemüht.
Möglich wäre es, war Heimdall vorsichtig optimistisch – aber das müsse dann auf jeden Fall jemand sein, dem Odin vertraue, anderenfalls gebe es in seinem derzeitigen Zustand keinerlei Chance; das würde auch so schon schwer genug.

Okay, wir Jungs also schon mal nicht, auch nicht Bjarki als Lokis Sohn, aber wer sonst? Odins Gemahlin Freya vielleicht? Der würde er vertrauen, aber deren Aufenthalt ist in Walhalla; ob wir dort so einfach hinkämen? (Und warum habe ich jetzt Rene Russo und das Asgard aus den Marvel-Filmen vor dem Auge? Das ist schon wirklich beeindruckend, wie durchgängig deren Cinematic Universe sich in die Popkultur gebrannt hat.)
Heimdall brachte auch noch Bragi ins Spiel, aber da wüssten wir nicht einmal, wo wir ansetzen sollten, den zu finden. Ebenfalls in Walhalla?
„Baldur wäre gut“, sagte der Ase dann, „der war Odins Lieblingssohn. Aber der ist tot.“

Das ließ uns aufhorchen.
„Dann ist er also in Helheim? Oh, gut: Zu Haley – ähm, Hel – haben wir einen Draht. Und Ha – Hel – betreibt ja momentan ohnehin einen durchaus schwunghaften Tourismus.“
Auf die Anspielung mit dem Tourismus ging Heimdall nicht ein – entweder er wusste bereits davon, oder er überging sein Unwissen gekonnt.
„Oh? Ihr habt Kontakt zu Hel? Dann könnt ihr ja vielleicht mit ihr sprechen, damit sie auf ihren Bruder Fenris einwirkt, die Sonne nicht zu fressen. Aber das mit Baldur…“ – ein skeptisches Stirnrunzeln von Heimdall – „da müsste euer Draht zu Hel schon besser sein als der aller Asen zusammen.“

Auf unsere Nachfrage erklärte er uns die Zusammenhänge. Wie der gute, reine Baldur, der von allen geliebt wurde, durch eine List Lokis getötet wurde. Wie er nach Helheim kam, nicht nach Walhalla, weil er ja nicht im Kampf gestorben war. Wie Odin und Freya durch ihren Boten Hermodr Hel anflehten, Baldur aus dem Totenreich freizulassen und Hel sich grundsätzlich darauf einließ, aber zur Bedingung stellte, dass nicht nur jedes Lebewesen, nicht nur alle Toten, sondern auch jedes Ding, jeder Stein, um Baldur weinen solle. Wie das dann auch alle taten – mit der Ausnahme einer einzigen Riesin, von der es heißt, das sei auch wieder Loki in Verkleidung gewesen, und wie Hel sich deswegen weigerte, Baldur freizugeben.

Okay. Dann müssen wir tatsächlich schauen, ob wir Haley nicht doch irgendwie umstimmen können. Es muss ja auch nicht für ständig sein, aber zeitweiliger Besuch bei seinem Vater vielleicht? Puh. Dann werden wir Haley zwar wieder einen Gefallen schulden, aber was muss, das muss, oder so.

Bevor Heimdall sich verabschiedete, sprach ich ihn noch auf das Zelt von dem Benefizmarkt an, das Loki mir samt den Fotos aus der Ausstellung hinterlassen hatte. Ob das seiner Meinung nach reiner Zufall war, oder ob es etwas bedeuten könnte?
„Ob es etwas bedeutet, kann ich nicht sagen. Möglich. Nicht zwingend. Aber vielleicht kannst du es ja untersuchen? Mit einem Ritual beispielsweise?“
„Stimmt“, nickte ich. „Ich selbst kann das nicht, aber Edward.“
Heimdall schnaubte amüsiert. „Na wenn du das jetzt nicht kannst, hier, an diesem Ort, wer dann?“
Ich stutzte. „Oh. Stimmt.“

Und, betonte Heimdall, die Sache sei eilig – eiliger, als wir gedacht hatten. Denn bisher waren wir ja davon ausgegangen, dass erst drei Winter ohne Sommer kommen müssten, bevor Ragnarök über die Welt hereinbrechen könnte… aber erstens habe Odin gute Kontakte zum Winterhof, und zweitens sei ja nirgends festgelegt, wo die drei Winter stattfinden sollten. Und wie wir ja selbst gesehen hätten, stünden die Einherjer bereits kurz vor dem Aufbruch.

Oh, mierda.

Dann jedenfalls verabschiedete Heimdall sich, und wir dankten ihm für die Informationen und die Hilfe und verabredeten, in Kontakt zu bleiben.

Sobald von dem Asen nichts mehr zu sehen war, besprachen wir unsere Prioritäten.
Erstens: Mit Haley reden.
Zweitens: Lokis Zelt und die Fotus untersuchen.
Drittens: Neue Wards. Einmal komplett frische hier bei Casita in unserer neuen Sommerdomäne, aber tatsächlich auch bei Pans jetzt nur noch griechischer Residenz. Denn durch die Änderung der Verhältnisse haben die bestehenden Wards, die ja auf die alten Verhältnisse ausgerichtet waren, einen Großteil ihrer Kraft verloren, wenn sie nicht gar komplett zusammengebrochen sind. Darauf wollten wir Dee ansetzen, sobald wir uns wieder mit den anderen Guardians trafen.
Viertens: Einen neuen Sommerherzog finden. Denn dass ich das auf Dauer nicht bleiben kann und will, das steht mal fest.

Bevor wir aber die Domäne verließen, hielt ich für die kleine Gruppe an Sommer-Getreuen, die uns aus Pans Palast gefolgt waren, erst noch eine kleine Ansprache. Es war spontan, und den genauen Wortlaut bekomme ich nicht mehr zusammen, aber ich sagte etwas von wegen, dass ich dankbar für ihre Treue zu Sommer war und stolz darauf, wie sie sich den widrigen Umständen und den sich überstürzenden Ereignissen gestellt hätten, und dass ich sicher sei, dass wir es schaffen würden. Zu Beginn meiner Rede dachte ich kurz, ich dringe nicht zu ihnen durch, zu niedergeschlagen wirkten alle, aber dann gelang es mir, glaube ich, doch, sie zu motivieren und zu stärken.

Anwesend waren natürlich Sir Anders und Sir Aidan, die nach dem Debakel mit Lady Fire einzigen verbliebenen Sidhe-Ritter. Kurz machte ich mir Sorgen um Sir Fingal, der sich ja noch in den letzten Zügen seiner Bußqueste befindet, aber dann regte sich mein neues Wissen als geschäftsführender Herzog, und mir wurde bewusst, dass Sir Fingal bei seiner Rückkehr zur Residenz des Sommers gezogen wird, ganz egal, wo diese sich befindet, er also nicht unversehens bei Pans jetzt-nicht-mehr-Sommerpalast aufschlagen, sondern zu Casita finden wird. Ich muss ihn also nicht zwingend von den Änderungen benachrichtigen, auch wenn ich es vielleicht trotzdem tun werde. Ich muss sehen, wie schwer oder wie leicht es ist, ihn ausfindig zu machen, denn viel Energie kann ich nicht dafür aufwenden. Dafür gibt es wahrlich genug anderes und Drängenderes zu tun.

Aber jedenfalls hatten sich außer den beiden Rittern auch einige Brownies, kleine geflügelte Feen, Pixies und Blumenfeen eingefunden – darunter zu meiner freudigen Überraschung auch Christabella, der ich vor Jahren, ganz zu Beginn der Sache mit Richard Raiths herausgelöstem Geist, mal die Flügel gerichtet hatte. Außerdem war eine hochgeborene Sidhe dabei, Lady Rhodorea, die keine Ritterin, sondern, ein besseres Wort fällt mir nicht ein, eine vornehme Blumenlady ist.
Dazu kamen Saltanda und ihre Tochter Lily, und eben Sindri, die meinte, sie könne ja dann die neutrale Botin zu Pans Hof machen, falls nötig.
Ich ernannte Sir Anders zu meinem Stellvertreter in meiner Abwesenheit – und schob, als ich merkte, dass Lady Rhodorea ein etwas angesäuertes Gesicht machte, schnell noch ein „in allen militärischen Dingen“ hinterher und ernannte Lady Rhodorea zu meiner Stellvertreterin in zivilen Dingen, was die Blumen-Sidhe besänftigte.

In dem Zusammenhang machte Totilas erst eine blöde Bemerkung, dass ich jetzt der neue Herzog sei, und als ich ihn verbesserte, das sei nur geschäftsführend, noch eine und dann noch eine.
Und das ist bei mir ein ganz wunder Punkt, verdammt. Wenn ich der Herzog bleiben würde, dann würde ich irgendwann meine Menschlichkeit verlieren und zu einem Feenwesen werden, und ¡padre en el cielo, ayudame!, das darf nicht passieren.
Jedenfalls wollte Totilas einfach nicht aufhören zu trollen, egal, wie oft ich ihn korrigierte und wie zunehmend scharf mein „NEIN!“ wurde – er machte mich wirklich ernsthaft wütend damit.

Dann spürte ich plötzlich eine Wärme im Kopfbereich, und mein Gesichtsfeld wurde leicht gelb-orangefarben, und mir wurde bewusst, dass da eben vor Wut Flammen in meinen Augen aufgeflackert waren. Ich blinzelte, und die Flammen erloschen wieder – und Totilas grinste triumphierend.
„Siehst du, genau das habe ich gemeint. Genau das musst du verstehen. Du bist jetzt der Herzog, du hast die Kräfte des Herzogs, und du musst üben, damit du weißt, was du genau kannst, damit es dich nicht unvermittelt überkommt.“

Sabihondo. Das hätte er auch erreichen können, ohne dass er mich so auf die Palme bringt. Vernünftig und berechtigt war der Rat natürlich trotzdem – auch wenn ich mir einbilden möchte, dass ich auch von selbst so schlau gewesen wäre, dass neue Kräfte ausgelotet werden müssen.

Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch Lily zu mir. Sie ist zwar erst drei Jahre alt, aber wegen ihres Feenerbes wirkt sie bereits wie sechs, und sie ist nicht umsonst die Tochter einer Nymphe und eines ehemaligen Male Models – wenn sie in der Menschenwelt aufwachsen würde, wäre sie die perfekte Kandidatin für Kleinmädchen-Schönheitswettbewerbe.
Lily also kam zu mir, sah mich mit unschuldigem Aufschlag ihrer großen, wunderschönen Augen an und fragte: „Onkel Cardo, kannst du nochmal machen, dass deine Augen so leuchten?“
Ich lächelte sie an und antwortete: „Weißt du, das ist ganz neu, und das passiert gerade nur, wenn ich mich richtig doll ärgere. Und ich will mich nicht richtig doll ärgern. Aber ich werde es üben, und wenn ich es an- und abschalten kann, wie ich will, dann zeige ich es dir nochmal, okay?“
Mit einem enttäuschten „mmmhm“ zog die Kleine ab – und ging schnurstracks zu ihrem Vater.
„Papa, mach mal, dass Onkel Cardo sich ganz doll ärgert, damit seine Augen wieder leuchten!“
Roberto schüttelte den Kopf. „Nein, das mache ich nicht, das Talent dafür hat Totilas.“

Es war klar, was passieren musste.
„Onkel Totilas, kannst du machen, dass Onkel Cardo sich ganz doll ärgert, damit seine Augen leuchten?“
Aber auch von unserem White Court-Kumpel wurde die Kleine enttäuscht. „Ich kann schon, aber ich will nicht.“
Daraufhin ließ Lily den Kopf hängen und erklärte, sie sei voll lahm, weil alle das könnten, nur sie nicht. Totilas erwiderte, das stimme doch gar nicht, dass ‚alle‘ das könnten – er zum Beispiel könne das auch nicht.
„Dann sind wir beide lahm“, sagte Lily, noch immer niedergeschlagen.
„Ich weigere mich, das zu akzeptieren“, gab Totilas würdevoll zurück, „ich bin nicht lahm, und du bist es auch nicht. Jeder hat etwas, das er kann.“
Lily nickte. „Ich kann tanzen!“
„Na siehst du.“

Ich verfolgte diesen Austausch amüsiert und auch ein bisschen gerührt, und ich verkniff mir jegliche Bemerkung von wegen, dass Alejandra auch immer etwas neidisch darauf gewesen sei, dass Monica Feuer machen konnte, während sie selbst nichts dergleichen hatte. Einmal, weil ich Lily nicht wieder enttäuschen wollte, wo Totilas sie gerade so schön beruhigt hatte, aber vor allem, weil ich immer noch nicht ganz sicher bin, was das mit Alejandra und dem Schwert der Morrigan und den Raben jetzt genau ist.

Jedenfalls verließen wir dann die neue Sommerdomäne und kehrten zurück in die mundane Welt.
Ähnlich wie aus Pans Palast war auch vom hiesigen Strand aus die Skyline von Miami leicht verschwommen sichtbar, und als wir dann hinüberwechselten, waren wir auch immer noch am Strand, aber eben ein gutes Stück abseits vom früheren Eingang.
Aus der Entfernung konnten wir eine ganze Reihe von Einherjern sehen, die wie Rettungsschwimmer gekleidet waren und wohl weiterhin gegen die Fomori Wache hielten, aber auch den Zugang zu Pans Palast schützten.
Wir legten es nicht auf Konflikt an, sondern verließen den Strand in die andere Richtung.

Wir riefen die anderen zu einem Treffen in der Casa Guardián zusammen – es sagten auch alle zu, bis auf Fébé, Ilyana und Cicerón, die mit irgendetwas ganz schrecklich beschäftigt waren, denn von ihnen kam nur ein: „Geht gerade nicht, Stress! Nachher mehr!“, bevor der Kontakt wieder abbrach.
Als nächstes versuchten wir einen Anruf bei Haley. Der Empfang war etwas schwierig, weil sie sich gerade in Helheim befand, aber es gelang uns, für heute am späten Abend (Mitternacht, um genau zu sein), ein Treffen an Bjarkis Haus auszumachen. (Bei ihm im Gartenhäuschen befindet sich ja das Portal nach Helheim, das Haleys Touristen immer benutzen.)

Und jetzt warten wir. Aber wenigstens hat mir das die Zeit gegeben, bis hierher alles aufzuschreiben.

Sobald die anderen da waren, erzählten wir ihnen ausführlich alles, was passiert war.
Dee sagte sofort, sie wolle sich um die Wards kümmern, sowohl bei Casita als auch bei Pan. Denn sie selbst hat mit dem obersten Satyr ja so direkt keinen Zwist – obwohl es vielleicht ein Problem geben könnte, weil sie Alex‘ Schwester ist und Alex ja Eleggua dient, den Odin als seinen Hauptfeind auserkoren hat. Aber Dee meinte, das würde sie schon hinbekommen: Im Zweifelsfall würde sie einfach ein wenig die Wahrheit beugen und Pan erzählen, was Alex damals mit ihrem Barbie-Haus gemacht habe.
Daraufhin holte Alex wortlos ein Notizbuch heraus und schrieb etwas auf. Ich war neugierig und schaute ihm über die Schulter. Da stand „Tage seit Erwähnung des Barbie-Hauses“, und Alex hatte soeben eine sehr große Zahl durchgestrichen und „0“ hingeschrieben.

Bezüglich Baldur meinte Bjarki, wegen der Sache mit den Tränen könne es vielleicht schwierig werden, Hel dazu zu bringen, ihn freizugeben; sie könne ziemlich nachtragend sein.
Verdammt, aber es hilft ja alles nichts, versuchen müssen wir es.
Bjarki will allerdings nicht mitkommen, sondern bot an, Dee bei den Wards zu helfen – es war ziemlich offensichtlich, dass er seiner Schwester lieber nicht begegnen wollte. Außerdem erwähnte er ausdrücklich, dass wir Hel nicht in sein Haus lassen sollten, Privatsphäre und all das.

Bevor die beiden sich aufmachen konnten, rief Cicerón bei Edward an: Der Stress waren falsche Einherjer gewesen, die die Santo Shango angegriffen hatten. Die drei hatten den Angriff abwehren und die falschen Einherjer besiegen können, in der Beziehung war also alles in Ordnung, aber sie wollten bescheid sagen, weil sie den Eindruck hatten, dass da jemand gezielt Zwietracht säen wollte.

Inwiefern waren die Einherjer denn falsch gewesen, wollten wir natürlich sofort wissen.
„Ungefähr so wie diese Typen auf der Hochzeit, diese freiwilligen Outsider-Fans“, erwiderte Ciceron, „irgendwie falsch eben.“

Oha. Also entweder waren das echte Einherjer, die sich den Outsidern geöffnet hatten, oder es waren von Outsidern beeinflusste Menschen, die so taten, als wären sie Einherjer. Vermutlich eher Ersteres. Im Moment machte es aber keinen echten Unterschied, außer vielleicht in der Kampfkraft, aber es war einfach noch ein Problem auf der Liste. Die drei hätten jedenfalls gut zu tun, die anderen Santerios zu beruhigen und von einem Gegenschlag abzuhalten, sagten sie. Sie sagten aber auch, dass sie das hinbekämen.
Gut, dann mussten wir uns um diese Baustelle im Moment nämlich nicht auch noch kümmern.

Bis zum Treffen mit Haley waren noch einige Stunden Zeit, also trennten wir uns erst einmal und gingen alle nach Hause. Natürlich bemerkte Lidia, dass etwas anders war bei mir, und natürlich erzählte ich ihr alles (nur fürs Protokoll, das hätte ich natürlich auch, wenn sie von sich aus nichts gemerkt hätte). Die Entwicklung beunruhigte Lidia ziemlich, was ebenfalls nur natürlich war, und obgleich ich sie zu beruhigen versuchte, dass das ja nur vorübergehend sei und ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um baldmöglichst den alten Zustand wiederherzustellen, blieb sie besorgt. Und auch das war, ist, nur allzu verständlich. Ich bin ja selbst auch besorgt deswegen.

Aber jetzt muss ich auch bald los, ich wollte nur das hier gerade noch niederschreiben. Und, wieder nur für’s Protokoll: Ich habe mich nicht mit meinem Tagebuch zurückgezogen, solange Lidia noch wach war, die ist aber vorhin gerade ins Bett, und da blieb mir noch ein bisschen Zeit vor dem Aufbruch.

20. November

Fast Mittag. Ich habe ganz schön lange geschlafen, aber ich kam ja auch erst in den frühen Morgenstunden ins Bett.

Pünktlich um Mitternacht kam Haley aus dem Portal in der Gartenhütte.
„Ich mache mir Sorgen wegen Ragnarök“, kam sie gleich zur Sache, „ich habe keinen Bock auf Ragnarök!“
„Das ist gut“, erwiderte ich, „das geht uns genauso, weil –“, aber dann unterbrach ich mich. „Sollen wir uns vielleicht irgendwo setzen?“
Daraufhin schlug Haley gleich Bjarkis Haus vor, aber das konnte ich zum Glück abbiegen, auch, weil Haley selbst auch noch einfiel, dass ihr Bruder ja auch zu ihr etwas von ‚Privatsphäre‘ gesagt hatte.

Also gingen wir ins Dora’s, da war um diese Zeit nichts mehr los – und als Miteigentümer könnten wir ohnehin um jede Uhrzeit dort aufkreuzen, selbst wenn schon geschlossen wäre.
Wie dem auch sei, wir berichteten Haley, was los sei, dass eben Odin unter den Einfluss von Outsidern gelangt sei und offenbar schon sehr bald Ragnarök lostreten wolle.
Haley runzelte die Stirn. „Aber Ragnarök soll doch eigentlich gegen die Riesen gehen? Hmmm… Naja, vielleicht könnte man Ragnarök auch gegen die Orishas austragen, die sind ja auch mächtig.“ Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. „Ein Einfluss durch die Outsider würde viel erklären – aber seid ihr sicher?“
„Wir können nichts beweisen“, sagte Totilas.
Aber das konnte ich so nicht unwidersprochen stehen lassen, oder zumindest nicht unergänzt.
„Naja… Es ist ein Fakt, dass Pennywise den Raben mit einem der Dolche getötet hat. Es ist ein Fakt, dass Pennywise jetzt also Odins halbes Gedächtnis in sich trägt und die andere Hälfte des Gedächtnisses sich noch in Odin befindet. Die Verbindung zwischen den beiden ist ein Fakt.“

Als Haley zustimmend nickte, fuhr ich fort: „Und deswegen sollte jemand Odin davon überzeugen, dass er beeinflusst ist, damit er diesen Einfluss vielleicht abwerfen kann. Aber das muss von jemandem kommen, dem Odin vertraut, und deswegen dachten wir an Baldur. Und vielleicht kannst du Fenris überzeugen, nicht die Sonne zu fressen?“
Haley schnaubte mit einem Anflug von Belustigung. „Naja, das ist nicht so einfach: Fenris hat selbst nicht so viel Entscheidungsgewalt darüber, ob er die Sonne frisst oder nicht – die Macht der Mythologie ist so groß, die zwingt ihn möglichweise gegen seinen Willen.“
„Okay… aber Baldur? Wärst du bereit, Baldur freizugeben? Denn er ist ja nun einmal der, der von Odin am meisten gemocht wird.“
Diesmal war Haleys Schnauben zu gleichen Teilen genervt, von widerwillig aufrichtiger Zuneigung und genau aus diesem Grund über sich selbst belustigt: „Jeder mag Baldur, egal ob er will oder nicht. Der ist einfach nett!“
„Würdest du ihn denn dann freigeben? Und wäre es auch nur zeitweilig?“
„Das ist nicht so einfach“, erwiderte Haley. „Es ist ja nicht nur mein Wille, es geht ja auch um Baldurs Willen.“
„Öh, meinst du denn, er wird nicht mit seinem Vater reden wollen?“
„Jaaaa… also… weißt du…“

Was sie mit diesem uncharakteristischen Zögern sagen wollte, war, dass Baldur gar nicht mehr in Helheim ist.
„Der war so nett und so überzeugend und wollte so gerne die Welt sehen, und andere Unterwelten haben ihn auch interessiert – er sagte was von Nirwana und Xibalba –, da habe ich ihn gehen lassen.“
Und als dann die anderen Asen ankamen und Baldur zurückhaben wollten, habe sie nicht gewollt, dass alle davon erfuhren, also musste die Ausrede mit den Tränen her, und Loki habe ihr in Gestalt der Riesin geholfen, damit das Ganze als seine Bosheit abgetan werden konnte und die Sache nicht aufflog.
Aber sie habe schon sehr lange nichts mehr von Baldur gehört; das letzte Lebenszeichen sei eine Postkarte aus Paris gewesen, um 1920 herum.

„Nach Xibalba haben wir Kontakte“, sagte ich nachdenklich, als sie geendet hatte, „falls er noch dort sein sollte, könnten wir ihn dort vielleicht finden.“
„Ich bezweifle, dass er noch in Xibalba ist“, gab Haley zurück, „aber warum lokalisiert ihr ihn nicht mit einem Ritual? So wie du gerade drauf bist, sollte das doch kein Problem sein!“
Sie schaute mich durchdringend an. „Was ist da eigentlich passiert? Dir kommt die Sommermagie ja zu den Ohren heraus!“
Also erzählte ich auch ihr alles, woraufhin Haley mir noch einen Blick zuwarf und meinte: „Aber ein Mensch bist du noch, das spüre ich.“
Puh. Und das dachte ich nicht nur, das entfuhr mir auch, und zwar sehr von Herzen.

Bevor Haley ging, sprach ich auch sie auf Lokis Fotos an. Sie hielt es durchaus nicht für ausgeschlossen, dass ihr Vater diese Fotos als eine Art Rückversicherung oder Notfallplan für den Fall, dass irgendetwas schiefgehen würde, hinterlassen haben könnte. Sie wusste nicht, welcher Art diese Rückversicherung genau sein könnte, und falls es eine sei, dann wohl kaum für genau diesen Fall speziell, aber ganz grundsätzlich ein Notfallplan für irgendwas vielleicht.

Gut. Also. Nächster Plan: Baldur finden und tatsächlich die Fotos mal genauer anschauen.
Ich übernahm die Rechnung, und Haley verabschiedete sich, nachdem auch wir die Abmachung getroffen hatten, in Kontakt zu bleiben.

Um Mitternacht hatten wir uns getroffen; das Gespräch hatte eine gute Stunde gedauert, dazu die Fahrt – bis ich nach Hause kam, war es nach 02:00 Uhr.
Eigentlich wollte ich ganz leise ins Bett, um Lidia nicht aufzuwecken, aber die wurde natürlich doch wach. Also redeten wir noch, und kuschelten, und, nun ja. Ob jetzt die neue, aufgestaute Sommerenergie einen Anteil daran hatte oder es schlicht und ergreifend an der Tatsache lag, dass ich eine wunderschöne, liebevolle, aufregende Ehefrau habe… Es blieb nicht beim Kuscheln. Was eben auch der Grund ist, warum es heute morgen so spät wurde.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Fate, Miami Files, Pen & Paper

Kommentar hinterlassen:

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..