Miami Files – La Isla Soñada

4. August

Heute Nacht hatte ich im Traum mal wieder Besuch von George. Aber diesmal kam er nicht nur, um zu plaudern, sondern er hatte ein Anliegen. 

Im Traum saßen wir am Meer, mit gutem Blick auf ein Spielzeugboot, das vor der Küste auf dem Wasser lag, und George erzählte, dass Johannes Bonifer verschwunden sei, der Bürgermeister der Heinzelfeen, die wir damals während des Supermondes kennengelernt haben. George interessiere sich für die Trauminsel, die irgendwo vor der Küste liege, aber es sei nicht so leicht für ihn, dort hinzukommen, deswegen habe Bonny angeboten, sich das einmal aus der wachen Welt heraus anzuschauen. Er sei losgefahren, aber nicht wiedergekommen, und jetzt sei das doch schon eine ganze Weile her. Ob ich mich nicht der Sache annehmen könne?

Mierda. Was ist da jetzt schon wieder los? Gleich mal die Jungs anrufen, wann wir uns treffen können.

Totilas und Roberto sind bis unter die Nasenspitze eingespannt und können nicht, aber Edward und Alex haben Zeit. Treffen nachher. 

Haha. Als hätte ich es mir nicht denken können. Alex und Edward sind auch schon auf genau diese Trauminsel gestoßen (worden) – oder zumindest sieht uns das schwer danach aus.

Bei Edward war es erst ein Anruf von und dann das Treffen mit einer gewissen Detective Sophie Bonnechance, die wohl – zusammen mit einem Detective Murgatroyd jetzt neu im SID ist. (Klar, die brauchten ja Verstärkung; irgendwann konnten Lt. Townsend, Suki Sasamoto und Salvador Herero die übernatürliche Polizeiarbeit nicht mehr alleine stemmen.)

Jedenfalls sagte Det. Bonnechance wohl, sie habe als Teil ihrer Einarbeitung alte Akten gewälzt, und dabei sei sie auf einen Fall gestoßen, wo seit 50 Jahren immer mal wieder Schiffe verschwinden, und in letzter Zeit eben auch wieder neue. Das Muster der Koordinaten, auf denen die Schiffe verschwinden, gleiche einem ∞ – es gebe einige Abweichungen von dem Muster, aber nicht so viele, und die seien alle jüngeren Datums. Lt. Booth habe einen Vermerk an die Akte gemacht, der nichts weiter besage als „Bloß nicht!!“, aber was solle das heißen? Ob Edward etwas darüber wisse? Wusste er nicht, aber er hat den Auftrag angenommen, sich das als externer Polizeiberater einmal anzusehen.

Ach ja, gerade vor ein paar Tagen habe ich Edwards Detektivbüro ja schon einmal erwähnt – aber habe ich eigentlich auch schon erwähnt, wie er sich dieses Büro letztendlich eingerichtet hat? Ich glaube nicht.

Ich weiß nicht genau, wie ich mir die Arbeitsstätte von „Parsen Investigations. Rituale & Recherchen“ vorgestellt hätte, aber das, was dabei herausgekommen ist, passt tatsächlich zu Edward wie die Faust aufs Auge. Er hat im Garten neben seinem Haus einen dieser Bürocontainer aufgestellt, wie man sie auch öfter mal auf Baustellen findet. Darin ein Schreibtisch mit einem alten schnurgebundenen Telefon, einem Hängeregister für seine Akten, natürlich ein Schreibtisch mit Bürosessel und Besucherstuhl, aber kein PC, nicht mal eine Schreibmaschine. Seine Berichte und dergleichen schreibt er per Hand, und Dallas Hinkle, die vor einer Weile ein freiberufliches Schreibbüro eröffnet hat, tippt sie ihm ins Reine und erledigt auch seine gesamte Buchhaltung.

Alex wiederum hat gestern am späten Nachmittag einen Mann aus dem Wasser gezogen, der in einer Rettungsweste völlig entkräftet in die Nähe von Alex‘ Hausboot getrieben war. Es war jemand, den Alex kannte (Überraschung – Alex kennt immerhin alle in dieser Stadt), und zwar ein gewisser Noah, der zu James Vanguards Lykanthropenrudel gehört und der erzählte, dass er bei einem von Vanguards Jobs über Bord gegangen sei. Vanguard habe den Auftrag angenommen, den Personenschutz für einen Milliardär namens Caspian Porter zu stellen, während der irgendwo vor der Küste das Schiff des legendären Piratenkapitäns de la Vega heben wollte, weil dieses Schiff, El Corazón Quemado, einen riesigen Goldschatz beherbergen soll. Die Corazón Quemado solle nahe einer gewissen Trauminsel liegen, habe Porter recherchiert, und die wiederum sei „im Auge des Sturms“ zu finden.

Klar. Der Name Caspian Porter sagt uns natürlich was. Wer kennt den Mann nicht? Einer der reichsten Männer der Welt, auch so ein self-made Tech-Milliardär wie Musk und Bezos und wie sie alle heißen.

Jedenfalls, erzählte Noah Alex weiter, seien Vanguard und ein paar seiner Leute mit Porter auf dessen Yacht hinausgefahren (offenbar heißt der Kahn Slave Two, weil Porter wohl ein riesengroßer Fan von Star Wars ist. Originell.) und in den bösesten Sturm aller Zeiten geraten. Noah sei über Bord gegangen, weil er sich nicht angeseilt hatte, weil er sich von James Vanguard nichts hatte befehlen lassen wollen, und er habe nur überlebt, weil er eine Rettungsweste getragen habe und Vollmond war. 

Alex kümmerte sich um den entkräfteten Lykanthropen und verständigte Xynthia Wong, Vanguards Stellvertreterin, bevor er Noah nach Hause brachte.

Das Erste, was wir machten, nachdem wir uns gegenseitig unsere Geschichten erzählt und festgestellt hatten, dass wir offenbar gerade aus drei unterschiedlichen Richtungen alle auf dieselbe Sache angesetzt worden sind, war, dass wir im Restaurant ‚zum Hirsch‘ mit Liesel redeten, der Heinzel-Fee, die wir ja von damals auch schon kennen. Sie begrüßte uns sehr herzlich und setzte uns gleich wieder ihren berühmten Karpfen vor, ehe sie erzählte, dass Johannes Bonifer seit dem letzten Vollmond fort sei, also jetzt seit ziemlich genau vier Wochen. Sie wusste von Georges Anliegen und erzählte, Bonny habe mit ein paar Leuten ein Boot umgebaut, damit es mit heinzelmännischer Technomagie (Magotechnik? Es klang jedenfalls alles ziemlich nach Steampunk, was sie da so erzählte) diese Trauminsel würde finden können. 

Als Edward nach einer magischen Verbindung fragte, wollte Liesel uns zur Sicherheit nichts von Bonny persönlich geben. Dann etwas vom Umbau des Bootes vielleicht? Ja, da sei eine Gardine übrig geblieben, fiel der jungen Frau schließlich ein, die würde gehen. Außerdem hatte sie noch eine Sternenkarte, auf der sie uns die Richtung weisen konnte, in die Bonifer und seine Leute losgedampft seien, und von der Alex ein Foto machte.

Wieder zurück bei Edward studierten wir die Akten, die Det. Bonnechance ihm überlassen hatte.

Wie die Polizistin schon gesagt hatte, verschwinden seit ca. 50 Jahren Schiffe in einem ungefähren ∞-Muster, fast so, als hätten wir hier unser eigenes Bermuda-Dreieck. Aber offenbar wurde die Sache all die Jahre nicht an die große Glocke gehängt und vom SID nicht weiter verfolgt, vermutlich eben wegen Lt. Books „Bloß nicht!!“-Vermerk. Aber jedenfalls waren es immer so ein bis zwei Schiffe pro Jahr – in jüngster Zeit auch außerhalb des Musters, aber das waren dann wohl eher Fälle, in denen die Fomori Schiffe aufgebracht und versenkt haben.

Das ∞ wirkt jedenfalls, als würde sich die Insel vielleicht bewegen – und wenn dem so ist, dann befindet sie sich vermutlich im Nevernever.

So oder so, von Land aus kommen wir nicht weiter, wir müssen da raus.

Alex hat uns ein Boot besorgt. Ein Kumpel von ihm hat einen kleinen Kutter, den er uns für die Fahrt zur Verfügung gestellt hat. Das Boot heißt Shakti, und neben dem Namen gibt es darauf noch jede Menge weiterer Hinweise, dass sein Besitzer oder zumindest dessen Vorfahren aus Indien stammen: eine kleine Ganesha-Statue, Girlanden aus Ringelblumen – offenbar Glücksbringer oder etwas in der Art – und ein signiertes Shah Rukh Khan-Filmplakat an prominenter Stelle im Führerhaus.

Alex‘ Kumpel – Sunil heißt er – gab ihm noch einige Tips zum Umgang mit der Shakti und wiederholte mehrmals, wie wichtig ihm das Filmposter sei, bevor er uns auf dem Kutter alleine ließ und abzog und wir ablegen konnten.

Jetzt sind wir schon etwa eine ganze Weile gefahren, aber bisher ist von einer Insel noch nichts zu sehen. Von einem Sturm, wie Noah ihn erwähnt hat, auch noch nicht.

Oha. Aber jetzt vielleicht. Vor ein paar Minuten sind kleine Wölkchen am Horizont aufgetaucht, und jetzt zieht sich erschreckend schnell der Himmel vor uns zusammen und wird tiefschwarz. Tagebuch weg… das könnte unschön werden.

Später. Keine Ahnung, wie spät genau, meine Uhr tut hier nicht.

Hier, das ist diese Trauminsel – wir haben sie gefunden. Aber der Reihe nach.

Ich hatte kaum mein Tagebuch weggepackt und war zu den anderen gekommen, um zu helfen, da brach der Sturm los. In Minutenschnelle wurde die Shakti heftig hin- und hergeschleudert, und Alex hatte alle Mühe, sie durch die turmhohen Wellen zu steuern. Es gelang ihm, aber mehr als einmal krachte die Tür ins Führerhaus auf, so dass Wasser hereinbrach und das Shah Rukh Khan-Poster an der Wand durchnässte. Aber das war uns in dem Moment herzlich egal.

Während der Sturm tobte, bemerkte ich mit einem Mal draußen an Deck eine Gestalt, die sich krampfhaft an der Ankerwinde festklammerte. Ich machte die anderen darauf aufmerksam, band mir ein Seil um (Rettungswesten hatten wir alle schon zu Anfang des Sturms angezogen) und wagte mich hinaus an Deck, während Edward mich sicherte. Kaum war ich aus der Tür, war ich auch schon bis auf die Haut durchnässt, und beinahe wäre ich über Bord gegangen, wenn Edward nicht mein Seil festgehalten hätte. 

Die Gestalt war kein Mensch. Oben herum menschlich, aber mit einem Fischschwanz – ein klassischer Meermann also, dem ich jetzt zurief und gestikulierte, er solle ins Führerhaus und in Sicherheit kommen. Hektisch flappte er an mir vorbei und ins Innere, und ich hatte das Gefühl, dass er sich drinnen auffällig fern von mir hielt. Deswegen war es auch Edward, der mit ihm redete:
„Ich bin Edward“, fing er an, „und wie heißt du?“
„Sag ich nich!“
„Okay, Sagichnich, was machst du hier?“
„Das Schiff gehört mir!“

Ja, nein. Alex machte ihm klar, dass die Shakti seinem Kumpel gehört, oder wenn überhaupt, dass der Meermann höchstens den Teil unter Wasser für sich beanspruchen könne, und Sunil der Teil über Wasser zusteht.

Der Sturm gefiel unserem neuen Bekannten nicht. Der sei ganz unnatürlich, kssss. Aber hier drin sei es so trocken. Ich holte ihm einen Eimer, damit er wenigstens seinen Fischschwanz feucht halten konnte, und das nahm er dann auch dankbar, wenn auch weiterhin etwas misstrauisch, an.

Irgendwann hatten wir es durch die wilden Wellen geschafft und erreichten das Auge des Sturms. Hier schien die Sonne, der Himmel war leuchtend blau, und in einiger Entfernung war eine Insel zu sehen. Als wir näher kamen, konnten wir sehen, dass die Insel von Bäumen bewachsen war und dass Vögel darüber hinweg flogen, und am Strand lagen zwei Schiffe: eine Yacht, auf der wir den Namen Slave Two lesen konnten, und ein Boot, das wohl das von Johannes Bonifer und seinen Leuten gewesen sein musste. Dieses Boot war auch tatsächlich bereits ein Stück weit im Ufersand versunken, während die Slave Two noch ganz normal im flachen Wasser ankerte.

Wir ließen den Anker unseres Kutters neben Caspian Porters Yacht ins Wasser und verließen die Shakti – Sagichnich allerdings blieb im Wasser, weil er erstens dem Land nicht traute und zweitens auf das Schiff aufpassen wollte (es – oder wenigstens dessen untere Hälfte – gehöre ja ihm, betonte er).

Während wir an den Strand wateten, drang wir vom Land her leise Musik an unsere Ohren: Es war leise und nicht hundertprozentig zu hören, aber es klang wie die Melodie von Seaside von Diane Warren, Rita Ora, Sofia Reyes & Reik. (Oder zumindest hört es sich für mich so an. Edward sagt, für ihn sei es der Bacardi-Song, und Alex meint, es sei so undefinierbare, in einiger Entfernung spielende Strandmusik.)

Obwohl es hellichter Tag war und die Sonne schien, stand ein Vollmond am Himmel, und uns durchzog ein Gefühl herrlicher Entspannung – relaxter Strandurlaub in Reinkultur. Und der Strand sah so einladend aus, dass ich die Schuhe auszog und dem Gefühl des Sandes zwischen meinen Zehen nachspürte.

Vom Ufer aus konnten wir etliche Leute sehen: James Vanguard und sein Rudel, Johannes Bonifer und seine Heinzelfeen, außerdem zahlreiche andere Personen, in Kleidung ganz unterschiedlicher Epochen, darunter auch Piratenkleidung des 18. Jahrhunderts.

Es kam jemand auf uns zu: eine schöne junge Frau mit bleicher, wirklich kalkweißer Haut und Haaren, dazu ebenso weiße Kleider und volle rote Lippen. 

Sie begrüßte uns herzlich als neue Gäste auf der Insel und stellte sich als Legea vor, woraufhin wir ihr natürlich ebenfalls unsere Namen nannten. Dann erklärte sie, sie freue sich sehr, neue Freunde kennenzulernen, und hielt uns auch gleich Begrüßungsgetränke hin. Alex hatte ein Mischgetränk mit Bier, Edward einen süßen Cocktail mit Schirmchen darin, und meiner war säuerlich-fruchtig, aber nicht zu süß, und mir war, als könne ich die Zitrone, mit der die Süße abgemildert wurde, regelrecht riechen. Außerdem war der Drink flambiert: Kleine gebliche Flämmchen tanzten auf seiner Oberfläche, aber als ich davon trank, war das nicht heiß und verbrennend, sondern sehr angenehm und ein bisschen kitzelnd am Gaumen.

Legea plauderte eine Weile mit uns und lud uns ein, uns umzusehen und uns zu entspannen. Und tatsächlich fühlte sich alles hier wunderbar entschleunigt an. Am Abend würden immer Geschichten am Lagerfeuer erzählt, erzählte unsere Gastgeberin dann noch, und sie würde sich freuen, wenn die neuen Freunde heute abend vielleicht auch eine erzählen würden. Na klar, da brauchte sie bei mir sicherlich nicht zweimal anzuklopfen. „Sehr gerne!“

Während ich mit Johannes Bonifer reden ging, der sich freute, mich zu sehen, sich aber auch ziemlich zurückhaltend-respektvoll benahm (vermutlich wegen meiner Position als Ritter des Sommerhofes und weil er denkt, er sei ’nur‘ ein Wyldfae), sprach Edward mit einem von Vanguards Leuten, einem gewissen Roddy, der offenbar so ein bisschen der ‚Clown‘ des Rudels ist. Er erzählte Edward von der Fahrt der Slave Two durch den Sturm und davon, wie Noah über Bord ging, und dass Vanguard sich sicherlich freuen werde zu hören, dass es Noah gut geht. Außerdem deutete er an, dass Vanguard Edward wohl durchaus mit Respekt bedenkt. Und Roddy erzählte, dass seine Bestie hier auf der Insel trotz Vollmond erstaunlich – und erfreulich – friedlich sei und vielleicht höchstens einmal eine Kokosnuss zerreißen wolle.

Friedlich war das richtige Wort. Die Leute ließen es sich gut gehen: spielten Volleyball, kochten, aßen, unterhielten sich. Caspian Porter, der Milliardär, war der einzige Mensch weit und breit, der aus dem Muster fiel – er saß unter einer Palme, zog ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und brummelte immer wieder Dinge wie: „Langweilig! Laaaaangweilig! Was machen wir hier eigentlich?“

Alex ging zu ihm und zog ihn kurzerhand mit sich, frei nach dem Motto, ob es nicht an Bord seines Schiffes irgendetwas gebe, das sich hier auf der Insel verwenden ließe. Porter sah erst etwas genervt aus wegen der Störung, aber dann sprang er auf den Vorschlag an und erklärte, das sei eine ausgezeichnete Idee, er habe Waffen an Bord. (Das hörte ich natürlich nicht mit eigenen Ohren, das erzählte Alex vorhin).

Zurück von der Yacht kam Porter jedenfalls mit einem mandalorianischen Boba Fett-Helm auf dem Kopf und einem AK-12 und einer Star Wars-Blasterpistole in der Hand. Laut rief er: „Kniet nieder vor mir, ich bin der König der Insel!“ und gab einen Blasterschuss in die Luft ab. Oha – dann funktionierte hier auf der Trauminsel die Attrappe also tatsächlich.

Da sich niemand so recht um das Gehabe des Milliardärs kümmerte, marschierte der zu Vanguard und machte den an, aber der, erstaunlich tiefenentspannt, schaute Porter mit einem „Häh?“ nur verständnislos an. Jedenfalls kniete Vanguard nicht vor Porter nieder, und der Milliardär hatte nichts Besseres zu tun, als mit dem verdammten Star Wars-Blaster auf ihn zu schießen, und der Security-Berater kippte um wie ein Stein.

Während Edward zu dem anderen Lykanthropen eilte (der von dem geträumten Blasterschuss nicht verletzt, sondern nur umgeworfen worden war und sich schon wieder aufrichtete), konfrontierte ich Porter mit einem „Hey, mach mal langsam!“, aber der dachte gar nicht daran, sondern kam auch mir mit seinem „Knie nieder, ich bin der König!“ Daran dachte ich nun allerdings auch nicht im Geringsten, sondern konterte mit „Nein, warum sollte ich?“

Diesmal feuerte Porter auf mich, und ja, der imaginäre Laserstrahl tat tatsächlich ganz schön weh. Verletzt wurde ich auch nicht davon, wie ich einen Moment später sehr erleichtert feststellte, aber auch mich riss der Schuss mit einem schmerzhaften Schlag an der Schulter von den Füßen.

Ich war gerade dabei, mich wieder aufzurappeln und Porter zur Rede zu stellen, da sah ich, wie eine Frau, die klassische Piratenkleidung trug und einen Säbel in der Hand hielt, auf den Milliardär zumarschierte. „He! Was lässt dich glauben, dass du hier irgendwas zu sagen hättest und einfach so die Ruhe stören kannst?“

Porter schoss auf sie, aber sie hielt geistesgegenwärtig den Säbel hin, und der Blasterstrahl wurde harmlos ins Nichts gelenkt. „Scheiß-Jedi!“, knurrte Porter, packte sein Sturmgewehr und feuerte. Aber auch die Kugeln konnte die Piratin mit ihrem Säbel parieren, bis Porter frustriert aufgab – oder besser, bis sein Gewehr leergeschossen war und er grummelnd abzog.

Inzwischen war ich wieder auf den Beinen und ging zu der Piratin hinüber, um sie zu ihren Fechtkünsten zu beglückwünschen. Das Kompliment nahm sie mit einem bescheidenen „Ja, das ging ganz gut“ entgegen und stellte sich dann als Capitán Estrella de la Vega vor.

Währenddessen unterhielt Edward sich mit Vanguard – Edward sagte danach, Vanguard habe sich gefreut zu hören, dass es Noah gut geht, und er habe auch nochmal bestätigt, dass die Lykanthropen einen Auftrag für Porter angenommen haben und seit ein paar Tagen hier sind. Außerdem habe Vanguard dasselbe gesagt wie dieser Roddy, dass es nämlich so schön entspannt hier sei, dass er höchstens mal seinen Nachtisch zerreißen wolle, sonst nichts.

Ansonsten verging der Rest des Tages tatsächlich sehr friedlich und entspannt. Bonny und seine Leute hatten – aus welchen Materialien auch immer – einen Ofen gebaut, wo sie Pizza backen wollten, und Edward ging ihnen erstaunlich interessiert und engagiert zur Hand. Aber spannenderweise hatte Bonny ihn auch mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Ich half ebenfalls ein bisschen mit, und dann war es auch schon Abend, und alles traf sich zu Pizza, Drinks und Geschichten am Lagerfeuer. 

Da mir schon die ganze Zeit die Idee im Kopf herumspukt, auch mal etwas zu schreiben, das nichts mit der Eric Albarn-Reihe zu tun hat, und ich mit dem Gedanken an eine Kurzgeschichtensammlung spiele, wobei das Gerüst für die eine oder andere Kurzgeschichte schon steht, erzählte ich eben genau eine davon. Das klappte auch richtig gut: Alles* hing an meinen Lippen, und die Geschichte hatte einen richtig schönen runden Bogen, und beim Erzählen selbst konnte ich schon das eine oder andere ausfeilen, das in meinem Kopf noch nicht so definiert gewesen war. Ein voller Erfolg also.

Auch unsere Gastgeberin Legea zeigte sich begeistert, und mit einem Mal war sie nicht mehr so kalkweiß, sondern hatte an Farbe gewonnen. Sie wollte gerne noch weitere Geschichten hören, aber nicht mehr heute, denn es wurde ja langsam spät – ein andermal vielleicht? Darauf ließ ich mich gerne ein, denn ein paar Tage werden wir ja wohl hier sein.

*Na gut, fast alles. Caspian Porter hatte ununterbrochen und derart nervtötend genörgelt, dass er irgendwann von Vanguard an einem Baum festgebunden wurde wie der misstönende Barde in den Asterix-Comics. Kommentar Porter: „Sie sind entlassen!“

Morgens.

Gestern abend saß ich noch eine ganze Weile am Feuer und schrieb das alles auf, aber auch als ich damit fertig war, wurde ich gar nicht richtig müde. Also überlegte ich, ob mir der Name „Legea“ etwas sagte, oder besser, woher ich den Namen kannte. Er klingt irgendwie griechisch, aber meines Wissens nach nicht Teil des olympischen Pantheons. Dann fiel es mir ein: Pantheon zwar nicht, aber ich meine, der Name sei mir mal als der einer Sirene untergekommen. Sieh einer an. Spannend.

Irgendwann legte ich mich einfach auf den Rücken ins weiche Gras, die Hände hinter dem Kopf, und schaute in den klaren Himmel mit den Myriaden von Sternen und dem leuchtenden Vollmond, und merkte erst da so richtig, wie der ganze Stress fehlte, der sich in der letzten Zeit so aufgebaut hatte. Keine Sorgen um das Wohlergehen Miamis. Keine Kopfschmerzen am Rande des Bewusstseins an diesem einen Punkt, wo es wehtut, hinzudenken. Keine Bauchschmerzen wegen Jak und der Outsider oder der dämonischen Denarii. Nichts von dem Stress, den das Sommerrittertum doch immer mal mit sich bringt: keine Sorgen um Pan, um die Einherjer. Und auch, so schön und erfreulich er auch sein kann, nichts von dem Stress, der mit dem Elternsein einhergeht – als Eltern rein mundaner Kinder ohnehin schon, aber um so mehr noch als Eltern magisch begabten Nachwuchses. Monicas Feuermagie, Jandras neue Affinität zum Schwert der Morrigan und den Raben, meine Spannungen mit Enrique deswegen… 

Nichts davon, und deswegen konnte ich regelrecht spüren, wie die kreativen Funken, die in letzter Zeit doch etwas abgeebbt waren, ohne dass ich das so richtig gemerkt hatte – oder besser, um die ich mich in letzter Zeit vor lauter anderen Dingen aktiv hatte bemühen müssen – hier regelrecht zu sprühen begannen. Während ich so da lag und in den Himmel schaute, kamen mir tausend Ideen für einen neuen Eric Albarn-Roman, und ehe ich es mir versah, hatte ich den Plot zumindest in groben Zügen im Kopf. Siren’s Call wird er heißen. (Aber das Projekt ’non-Eric-Albarn‘ gebe ich trotzdem nicht auf. Da kamen mir auch schon Ideen.)

Vielleicht bin ich dann doch irgendwann eingeschlafen, oder vielleicht döste ich nur, aber irgendwann wurde ich dann wieder voll wach, und weil es ansonsten noch überall ruhig war, habe ich das hier aufgeschrieben. Aber jetzt fangen die Leute langsam an sich zu regen, bestimmt macht bald irgendwer irgendwas zum Frühstück. Nachher mehr, Römer und Patrioten.

8. August 

Haha. Aus dem ’nachher‘ wurden zwei Tage. Aber ich komme erst jetzt wieder in Ruhe zum Schreiben. Sorry.

Nach dem Frühstück – Obst und Süßigkeiten, von denen ich mir genausowenig wie bei den Drinks und dem Essen gestern abend größer überlegte, wo sie wohl herkamen– tauchte irgendwann Edward bei mir auf, den ich kurz zuvor noch mit Vanguard hatte reden sehen. „Hier ist irgendein Einfluss“, sagte er ohne größere Umschweife, „diese Musik die ganze Zeit, und ich bin zu entspannt. Es ist Vollmond, aber ich bin viel zu relaxt, um irgendwas zerreißen zu wollen, und Vanguard geht es genauso, hat er eben gesagt. Ich sag dir, hier ist irgendwas los.“

Alex hatten die Heinzelfeen mit Beschlag belegt, und er war vertieft darin, eine Hütte mit ihnen zu bauen. Deswegen machten Edward und ich uns alleine auf zur Mitte der Insel, um einen passenden Ort zu suchen, wo wir herausfinden konnten – naja, wo Edward herausfinden konnte – was genau hier passierte.

Wir fanden eine etwas abgelegene Lichtung, wo Edward einen Kreis ziehen wollte, um sich ganz auf sein Ritual konzentrieren zu können und alle anderen Einflüsse draußen zu halten. Aber er spürte sofort, dass hier eine extrem starke Macht wirkte, die er nicht würde verdrängen können, nicht einmal für kurze Zeit. Deswegen änderte er seinen Ansatz und wirkte das Ritual stattdessen dahingehend, dass es den Einfluss, der hier auf allem lag, lieber visualisierte – das war ganz einfach. Gleich darauf wogte eine türkisfarbene Welle über die Insel, in demselben Takt wie die Musik, die hier unterschwellig überall zu hören ist.

Wobei ich ehrlich bin und sagen muss, dass ich währenddessen gar nicht viel davon mitbekam, was Edward da machte. Eigentlich wollte ich aufpassen, dass niemand kam und uns störte, aber ich hatte schon wieder so viele Ideen, dass ich mich komplett ablenken ließ und vor mich hin träumte.

Wieder in die Gegenwart kam ich zurück, als plötzlich Legea neben mir auftauchte. Sie war mitten durch Edwards Kreis gegangen und hatte den Visualisierungseffekt damit unterbrochen, aber das machte nichts, weil er ja schon gesehen hatte, was er hatte sehen wollen. 

Aber wie gesagt, das hatte ich gar nicht so richtig mitbekommen, sondern erst Legeas Stimme direkt neben mir ließ mich aufschrecken. „Ricardo“, sagte sie freundlich, „wie geht es dir? Ich wollte nur noch einmal sagen, wie sehr mir die Geschichte gefallen hat, die du gestern abend erzählt hast.“

Ich bedankte mich, dann unterhielten wir uns sehr angeregt und freundschaftlich, und schließlich fragte ich sie, ob sie tatsächlich eine Sirene sei. Sie erstarrte, und einen Moment lang war ich sicher, jetzt würde sie wütend werden, weil ich es ihr auf den Kopf zugesagt hatte, aber dann war der Moment vorüber, und sie lächelte mich an und gab es zu. Das war ja auch wirklich faszinierend, und ich hatte tausend Fragen an sie, auch und gerade, weil ich ja gestern abend schon beschlossen habe, dass mein nächstes Buch Sirenen zum Thema haben wird, und durch das Gespräch kamen mir noch zig weitere Ideen und nahm die Geschichte festere Formen an. Das erzählte ich auch Legea, und sie freute sich sehr darüber, dass sie quasi meine Muse für den neuen Roman sei.

Dann fragte sie mich, ob ich nicht ihr Ritter werden wolle, aber das lehnte ich ab. Ich bin schon Pans Ritter, und das werde ich sicherlich nicht einfach so aufgeben, und zwei Ritterämter gleichzeitig, das geht nicht.

„Magst du mich?“, wollte Legea dann wissen, woraufhin ich antwortete: „Ja, ich mag dich, aber nicht so.“ Ich hielt meine Hand mit dem Ehering hoch, so dass sie ihn sehen konnte: „Ich bin verheiratet.“ „Wie verheiratet?“ „Sehr verheiratet“, erwiderte ich, „frisch verheiratet nämlich, und ich liebe meine Frau. Und deswegen muss und will ich auch wieder nach Hause.“
Legea machte ein enttäuschtes Gesicht. „Aber doch nicht sofort?“
„Nein, nicht sofort.“
„Ein paar Tage kannst du doch noch bleiben, oder?“
„Naja, ein paar Tage geht sicherlich noch.“
„Ach, das ist schön. Erzählst du dann heute abend wieder eine Geschichte?“

Das sagte ich ihr gerne zu, und daraufhin kam es mir vor, als habe ihr blasses Gesicht noch etwas mehr Farbe angenommen, ehe sie sich fürs Erste verabschiedete.

Natürlich musste ich sofort hinüber zum Ritualkreis und Edward berichten, was ich da gerade in Erfahrung gebracht hatte.

„Ich hab raus, was mit ihr los ist“, informierte ich enthusiastisch, „sie ist eine Sirene. Das ist total spannend! Wir haben uns unterhalten und sie hat mir so viel erzählt und mich so sehr inspiriert, mein nächster Roman ist schon halb fertig im Kopf. Siren’s Call wird er heißen!“
„Nur dumm, dass er nie erscheinen wird!“, knurrte Edward, und jetzt fiel mir endlich auf, wie missmutig er dreinschaute und was für giftige Blicke er Legea hinterherschoss. Verstehen tat ich es trotzdem nicht.*
„Hä? Wieso? Wir bleiben noch ein paar Tage hier, aber wenn wir dann wieder zuhause sind, schreibe ich ihn fertig, und dann erscheint er!“
„Mach dir nichts vor“, antwortete Edward grimmig, „wir kommen hier nicht weg!“
„Was? Quatsch! Natürlich kommen wir hier weg. In ein paar Tagen halt…“
Edward schüttelte heftig den Kopf. „Schau dich doch um, guck’s dir doch an! Hier ist noch keiner weg, der je hier angekommen ist!“

Ich runzelte die Stirn und überlegte, und ja, jetzt, wo er es sagte… da war etwas dran. 

Mierda. Hatte ich mich doch tatsächlich von dieser verdammten Musik hier auf der Insel einlullen lassen! 

Wir mussten herausfinden, wo die Musik herkam, und vor allem, wie wir von der Insel wegkommen konnten. Aber nicht nur Alex, Edward und ich, sondern Bonni und Vanguard und alle anderen, die hier gestrandet waren und mitkommen wollten, mussten diese Möglichkeit auch bekommen.

Als der beste Weg, das zu erreichen, erschien es uns, direkt mit Legea selbst zu sprechen.

Ich versuchte, auf unser gutes Verhältnis zueinander aufzubauen, als ich unsere Theorie vor ihr ausbreitete, dass sie die Leute nicht von der Insel weglasse, weil sie sich nach neuen Geschichten sehne und einsam sei. 

Edward ergänzte noch, dass hier im Auge des Sturms keine Chance bestehe, andere Sirenen zu treffen, und damit traf er tatsächlich einen Nerv bei Legea. Sie wurde nachdenklich und erzählte uns dann traurig, dass die anderen Sirenen ihre Melodie im Chor zu laut gefunden hätten und sie nicht mehr hätten bei sich haben wollen. Deswegen habe sie sich letztendlich hierher zurückgezogen. 

„Wie hat das eigentlich alles angefangen?“
„Mit der Corazón“, erwiderte Legea.
„Und die ging hier an der Insel vor Anker? Wo ist sie denn jetzt? Untergegangen?“
Legea seufzte. „Ich glaube, das sollte ich euch besser zeigen. Das ist leichter, als es zu erklären.“

Sie machte eine Geste, und mitten auf der Insel erschien plötzlich das Wrack eines Segelschiffs aus dem 18. Jahrhundert. Die anderen schauten erstaunt, ließen sich von dem klar übernatürlichen Phänomen aber nicht weiter stören.
„Wo sind denn die anderen Schiffe?“
Ein Zögern von Legea, dann: „Das zeige ich lieber nur euch, nicht den anderen, das könnte sie etwas verstören.“

Wieder wedelte die Sirene mit der Hand, dann befanden wir uns auf einmal auf einer Plattform aus lauter ineinander verkeilten Schiffen unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Bauart. Puta madre, die ganze Insel war nur eine Illusion gewesen! Ich meine, wir hatten ja schon gewusst, dass hier ein übernatürlicher Einfluss wirkte, aber dass wirklich alles eine Illusion war? Mierda.

Alex baute seine Hütte mit nicht vorhandenen Materialien; die jungen Leute spielten Volleyball über einem Netz und mit einem Ball, die beide nicht existierten, und Bonni war dabei, imaginäres Brot zu backen.

Imaginäres Brot. Oh oh. Auf der ganzen „Insel“ gab es nichts zu essen. Und tatsächlich sahen Bonni und seine Heinzelfeen, ebenso wie Vanguard und seine Lykanthropen, schon ziemlich ausgezehrt aus. Alle anderen – das sagte uns Alex, als wir ihn zu uns holten und Legea ihn ebenfalls eingeweiht hatte – waren Geister.

Ja, gab Legea zu, die Leute gingen hier sehr schnell kaputt, deswegen brauche sie ja immer neue.

Verdammt. 

Sobald sie die Illusion auch für uns wiederhergestellt hatte, argumentierten wir Legea gegenüber eindringlich, dass sie die Leute gehen lassen müsse: Wenn wir zum Beispiel aus der Insel einen Urlaubsort machen würden, wo die Menschen für eine Woche oder zwei ihre Sorgen vergessen könnten – mit echtem Essen, versteht sich –, dann bekäme sie immer neue Geschichten. Oder, noch besser, vielleicht ließe sich ja eine echte Insel finden, um dieses Urlaubsresort einzurichten?

Dieser Gedanke gefiel Legea aber nicht so gut – sie möge es lieber, wenn die „Insel“ in Bewegung sei.

Jemand anderes aber sprang völlig begeistert auf die Idee an. Irgendwie hatte Caspian Porter uns gehört und fing davon an, das sei seine Idee, und er werde eine Insel finden und das Resort gründen und vermarkten und ein weiteres Vermögen verdienen.

Der Typ nervte. Während er sich in seinen Fantasien erging, zogen Alex, Edward und ich uns zurück, um ungestört und außerhalb von Porters Hörweite nachzudenken.

Bei unserem Brainstorming kamen wir ziemlich schnell auf die Idee, dass ein Kreuzfahrtschiff doch die Lösung wäre: Ständig in Bewegung, und die Gäste wären nur für eine begrenzte Zeit an Bord, aber so lange sie da wären, könnten sie die Entspannung von Legeas Sirenenaura genießen und echte Erholung erfahren. Immer neue Gäste würde immer neue Geschichten für Legea bedeuten – und vielleicht würden manche Leute ja gerne öfter ihren Urlaub an Bord verbringen?

Also zurück zu Legea und der die Idee schmackhaft machen. Nach einigem Überreden und anfänglicher Skepsis erklärte unsere ‚Gastgeberin‘ sich auch tatsächlich dazu bereit – nicht zuletzt, weil Edward sein Argument von zuvor noch einmal aufgriff und anmerkte, dass sie vielleicht endlich wieder andere Sirenen treffen könne, wenn ihr Aufenthaltsort nicht länger getarnt und von einem schweren Sturm unzugänglich gemacht würde. Da zog wieder dieser etwas sehnsüchtige Ausdruck über ihr Gesicht – offenbar machte es ihr doch mehr zu schaffen, aus ihrem Chor ausgeschlossen worden zu sein, als sie das zugeben wollte.

Der Gedanke eines Schiffes gefiel ihr auch deswegen, weil sie möglichst wenig mit George zu tun haben wollte – sie sei eine unabhängige Wyldfae, die sich von George als oberster Wyldfae von Miami nichts sagen lassen wolle.

Soweit so gut; Legea war also überzeugt. Das Problem war nur: Ich mag zwar durchaus wohlhabend sein, um nicht zu sagen, sogar einigermaßen reich, aber ein Kreuzfahrtschiff kaufe ich nicht einfach mal so.

Aber Caspian Porter! Der zahlt sowas doch aus der Portokasse. Naja, okay, nicht aus der Portokasse, aber leisten kann er es sich problemlos, vor allem, wenn es nicht neu gebaut werden muss, sondern er ein bereits bestehendes kauft und das kein riesiges, hypermodernes Megaschiff ist.

Wenn wir allerdings offen zu ihm gegangen wären und ihm das vorgeschlagen hätten, dann hätte er – so wie wir diesen capullo einschätzen – rundheraus abgelehnt oder untragbare Konditionen gefordert.

Also planten wir, ihn so zu manipulieren, dass er nicht nur mitmachen, sondern auch noch denken würde, es sei seine Idee gewesen, uns dazu zu überreden, dass wir ihn bei dem Plan mitmachen lassen.

Nachdem wir uns gründlich abgesprochen hatten, suchten wir uns einen Ort in Porters Nähe, ließen es aber so aussehen, als seien wir uns gar nicht bewusst, dass er in der Nähe war und hören konnte, was wir sagten. Dann unterhielten wir uns darüber, dass wir ja gehört hätten, dass Porter eine Urlaubsinsel kaufen wolle. Wir müssten ihm zuvorkommen und Legea als Animateurin auf ein Kreuzfahrtschiff holen, dann würde Porter mit seinen Plänen in die Röhre schauen – HA!

Ich hatte schon Angst, wir hätten es übertrieben und Porter hätte uns durchschaut, aber etwas später kam der Billionär tatsächlich zu uns. Er hätte uns belauscht, und wir könnten das nicht alleine durchziehen, soviel Geld hätten wir gar nicht, wir bräuchten ihn unbedingt als Investor, und im Prinzip sei das ja alles seine Idee gewesen.

Bei den Verhandlungen spielten wir die Scharade weiter. Am Ende hatte er finanziell gesehen den deutlich besseren Deal für sich – Verhandeln ist nicht so wirklich meine Stärke, das übernimmt ja sonst meistens Sheila für mich –, aber die finanzielle Seite war uns (anders, als Porter glauben musste) ja ohnehin nicht so wichtig. Etwas Gewinn wird auch für uns abfallen, und wir müssen nichts draufzahlen, das ist schon mal gut, und die Hauptsache waren für uns ja ohnehin die grundsätzlichen Rahmenbedingungen: ein Kreuzfahrtschiff, auf dem Legea sich wohlfühlt, und auf dem die Gäste nur so lange bleiben, wie sie das möchten, und Legeas Glamour endet, sobald sie von Bord gehen, und natürlich gibt es dort echtes Essen und alle sonstigen Annehmlichkeiten eines Kreuzfahrtschiffs. Und außerdem erreichten wir noch, dass das Schiff unter einer renommierten Flagge fahren und gute Arbeitsbedingungen haben wird – keine Ausbeutung der Angestellten! Zudem war uns wichtig, dass das Schiff zumindest mit Diesel betrieben wird, falls es nicht möglich ist, eines mit Elektroantrieb zu bekommen, aber kein Schweröl-Treibstoff!

Wenn all das passt, dann darf das auch gerne bedeuten, dass wir nicht den großen Reibach daran machen.

Sobald das Geschäft mit Porter in trockenen Tüchern war – gut möglich, dass er versuchen wird, uns über’s Ohr zu hauen, aber an Bord seiner Yacht gab es genug Möglichkeiten, die Vereinbarung schriftlich festzuhalten, so dass das, falls er es versuchen sollte, hoffentlich nicht von Erfolg gekrönt sein dürfte –, ging es an die Klärung des genauen Ablaufs. 

Legea bleibt auf der Insel, bis alles geregelt und das Schiff zur Abfahrt bereit ist. Das wird nicht über Nacht gehen, sondern sicherlich einige Wochen, oder besser Monate, in Anspruch nehmen, so lange hätten wir nicht überlebt, wenn wir so lange hätten dort bleiben müssen. Deswegen ließ Legea uns Lebende (sprich Vanguard und seine Leute**, Bonifer und seine Heinzelfeen, Caspian Porter und uns) bereits jetzt gehen, und wir versprachen ihr im Gegenzug, im regelmäßigen Turnus freiwillige Besucher samt Proviant auf die Isla Soñada zu schicken, bis das Schiff fertiggestellt ist.

Danach verlief die Rückfahrt beinahe ereignislos. Es hätte zu viel Mühe bedeutet, Bonifers Boot aus der Verkeilung mit all den anderen Schiffen zu lösen, aber Porters Slave Two war noch segeltauglich, und der Kutter, mit dem wir gekommen waren, sowieso.

Porter weigerte sich, Vanguard auf seine Yacht zu lassen, also fuhr der mit uns. ‚Sagichnich‘, der Meermann, hatte indessen tatsächlich keinen Unsinn auf der Shakti angerichtet, sondern mit einiger Ungeduld auf uns gewartet. Und nicht nur er zeigte sich heilfroh, als wir aus dem Sturm und damit aus dem Einflussbereich der Insel wieder herauskamen und Miamis Küste sich wieder näherte. Wobei – ich weiß auch nicht, ob Legea irgendetwas tat, damit wir leichter durch den Sturm kamen, oder ob es an etwas anderem lag, aber auf dem Rückweg wurden wir nicht ganz so arg durchgeschüttelt wie auf dem Weg zur Insel. Genug zu tun für Alex am Steuer und für uns andere, die ihm helfend zur Hand gingen, gab es trotzdem immer noch.

Im Sturm hatten was es uns wegen der ganzen Arbeit nicht so aufgefallen, aber sobald wir die Schlechtwetterzone hinter uns gelassen hatten, merkten wir, dass Legeas Entspannungsaura von uns gefallen war und die Alltagssorgen uns wieder voll im Griff hatten. Aber ich mag es nicht, wenn man mir im Kopf rumpfuscht, deswegen war ich eigentlich sogar dankbar dafür, als sich alles wieder normal anfühlte.

*erst später gestand mir Edward in Andeutungen, dass er tatsächlich sowas wie eifersüchtig geworden war, weil sein bester Freund sich so viel mit Legea abgegeben hatte statt mit ihm, dass es dieser Stich der Eifersucht ihm aber möglich gemacht hatte, den Einfluss der Insel abzuschütteln. 

**mit einer Ausnahme. Vanguards einer Mitarbeiter, dieser Roddy, wollte nicht wieder aus Legeas Einflussbereich weg, weil seine innere Bestie in ihrer Gegenwart so wunderbar entspannt sei und er nie wieder die Lykanthropenwut spüren wollte. Also blieb er dort: Wir ließen ihm den Proviant auf der Slave Two da, und wenn die ersten Freiwilligen auf die Insel fahren, nehmen die ja auch wieder Vorräte mit.

Ach ja. Ganz vergessen. Porter hat auch schon einen Namen für das Kreuzfahrtschiff.

Oder genauer gesagt, die Idee hatte ich, Himmel steh mir bei, aber ich hatte sie eigentlich nur als abstruse Schnapsidee in den Raum geworfen und sofort wieder abgetan. Dass Porter so darauf abfahren würde, das konnte ich ja nicht ahnen. Oder vielleicht hätte ich es ahnen können, ich Idiot?

Jedenfalls: Choruscent.

Denn Porter ist ja Star Wars-Fan, aber für den Original-Namen ‚Coruscant‘ wären garantiert die Rechte viel zu teuer, und außerdem: Chorus wie Chor wie Musik wie Sirene. Haha.

Ich finde es herzlich albern, aber wenn er meint.

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