Miami Files – Turn Coat, Nachtrag

11. September

Hurricane Irma ist vorübergezogen, und wir leben alle noch. Es gab Schäden, und es gab Probleme, ziemliche Probleme sogar, aber alles in allem können wir nur dankbar sein, dass es nicht schlimmer gekommen ist.

Noch bevor der Hurrikan eintraf, zogen wir den Schutz um den Ort in den Sümpfen wieder hoch. Ich selbst konnte wieder einmal nicht übermäßig viel zu der Ritualmagie beitragen, aber der Schutzeffekt wurde wohl anscheinend umso stärker, je mehr ganz unterschiedliche Magiearten in ihn hineingewoben wurden, sagte Edward, also war es immerhin nicht komplett nutzlos.
Aber wir stellten fest, dass während der paar wenigen magielosen Minuten doch etwas aus dem Gebiet entkommen war. Darum wollten wir uns natürlich kümmern – aber genauso wollten wir etwas gegen den Hurrikan tun, der ansonsten ungebremst und ungefiltert genau auf Miami prallen würde. Also teilten wir uns auf: Totilas und Alex gingen gemeinsam mit Ilyana Elder auf Mordor-Ent-Jagd, während Edward, Roberto und ich schauen wollten, ob wir den Sturm nicht ein bisschen besänftigen konnten.
So richtig besänftigen ließ sich ein Hurrikan dieses Ausmaßes natürlich nicht, dazu war er viel zu mächtig, aber mit vereinten magischen Kräften gelang es uns, ihn doch ein ganz klein wenig abzumildern, aber vor allem seine Bahn wenigstens soweit abzulenken, dass er Miami nicht mehr direkt erwischen würde. Das Ritual dauerte ziemlich lange, denn wir mussten es aufrecht erhalten, bis der Sturm, zumindest der größte Teil davon, über Miami hinweggezogen war. Er traf die Stadt, wie gesagt, nicht mit voller Wucht, sondern zog eher an der Westküste Floridas entlang, aber trotzdem war es heftig genug. In unserer Ritualblase waren wir geschützt, obwohl wir uns im Freien befanden, aber wir sahen, wie es um uns herum tobte, und auf dem Rückweg wurde uns dann das ganze Ausmaß der Schäden bewusst.
Leider nicht nur unterwegs. Während ich mit dem Ritual beschäftigt war, gab es zuhause eine gewisse Krise. Wir hatten geplant, den Hurrikan alle gemeinsam bei mir in der Wohnung auszusitzen: nicht nur Lidia, die Mädchen und ich, sondern auch meine Eltern. Das hatten wir geplant, bevor ich wusste, dass das Ritual den ganzen Sturm über dauern und ich erst nach Hause kommen würde, als das Schlimmste vorüber war. Weil ich nicht da war und meine Eltern vor lauter Sorge auch keine so richtig große Hilfe, hatte Lidia mit Monica und Alejandra mehr als beide Hände voll zu tun. Die Unruhe der Erwachsenen hatte sich auf die Kinder übertragen, die Nerven lagen blank, und dann brannte plötzlich ein Stofftier, um das die Mädchen sich gestritten hatten. Lidia war ziemlich verärgert mit mir, und es kostete mich etwas Mühe, sie zu besänftigen, aber schlimmer: Auch Mamá und Papá entging es nicht, dass das Feuer quasi aus dem Nichts ausbrach.

Ich war aber nicht der einzige, bei dem die Teilnahme am Ritual anderenorts für Probleme sorgte. Weil Edward nicht zu erreichen war, verteilten seine Leute sich während des Sturms auf eigene Initiative, um mit den unzähligen Baustellen irgendwie fertig zu werden. Dadurch war der Precinct für etliche Stunden komplett unbesetzt, und während dieser Zeit wurden aus der Asservatenkammer des SID mehrere Gegenstände entwendet.
Robertos Botánica wurde durch den Hurrikan völlig überflutet, und weil er keine Zeit gehabt hatte, zumindest einen Teil des Inventars in Sicherheit zu bringen, ist so gut wie nichts mehr davon nutzbar. Mit anderen Worten, Roberto wird einiges an Schulden machen müssen, um sein Geschäft am Laufen zu halten. Ob und wieviel ich ihm dabei helfen kann – oder ob er überhaupt irgendwelche finanzielle Hilfe von mir annimmt – werden wir sehen, wenn sich alles ein bisschen beruhigt hat.
Alex hat ja diese Gemeinschaft, das ‘Village’, wo jeder jeden kennt, jeder jedem hilft und alles mehr über gegenseitige Gefälligkeiten läuft denn über Bezahlung. Tatsächlich war Alex aber wohl, ohne es selbst so recht gemerkt zu haben, in den letzten Jahren zu einer Art Anker und Angelpunkt für die Mitglieder des Village geworden, und ohne seine Koordination und seine Anweisungen, wer während des Sturms was genau machen sollte, brach die Gemeinschaft in dieser Krise auseinander.
Und Cherie setzte sich in den Kopf, gerade jetzt dem Red Court auf die Füße treten zu wollen. Wenn Totilas da gewesen wäre, hätte er als Kopf von Haus Raith in Miami sie vermutlich davon abhalten können, aber er war eben nicht da, also zog sie los, geriet aber in einen Hinterhalt und wurde gefangen genommen.
Anhand der Halskette, die er noch von ihr hatte – ich hatte völlig vergessen, bzw. bis zu diesem Moment überhaupt nicht realisiert, dass die ja aus Mordor-Ent-Holz gema bist du wahnsinnig, Alcazár? Streich das! Und zwar so, dass man es nicht mehr lesen kann!
Anhand der Halskette, die er noch von ihr hatte, konnte Edward ihre Spur aufnehmen. Wir fanden sie in den Everglades und konnten sie befreien, aber man hatte Cherie gehörig durch die Mangel genommen, um es freundlich auszudrücken. Sie war ziemlich fertig und sehr, sehr hungrig, que Dios la ayude. Außerdem war sie nur einen Hauch davon entfernt, entweder in die White Court-Berserkerei zu verfallen oder an ihren Verletzungen zu sterben, und um das zu verhindern, gab Totilas ihr gleich da und dort die notwendige Nahrung – White Court-Style, versteht sich. Also nein, nicht das volle Programm, logischerweise, nicht direkt da vor aller Augen. Aber genug heißes Geknutsche und Gefummel, dass Cherie nicht sofort der Raserei nachgab. Und seine Cousine zu nähren, zehrte Totilas wiederum ziemlich aus. Madre mia. So richtig habe ich mich auch nach – wieviele Jahre sind es jetzt? Sieben? – sieben Jahren immer noch nicht an diese White Courterei gewöhnt.

12. September

Heute waren wir bei Macaria Grijalva, um sie vor ihrem Stellvertreter Oswaldo zu warnen. Das lief auch alles andere als gut, wenn ich das mal so sagen darf. Als wir beim Gemeindezentrum der Orunmila ankamen, war Oswaldo gerade munter dabei, seine Glaubensgenossen gegen die Elders aufzuhetzen. Da ließen wir ihn erst einmal noch machen, sondern gingen erst hinein, um mit Macaria zu reden. Aber der alten Santera ging es nicht gut: In dem Kampf an der Waystation war sie verletzt worden – und nicht einfach nur verletzt, sondern von einem Red Court gebissen, und damit war sie jetzt mit dem Vampirvirus infiziert. Als Roberto ihr von unserem Verdacht gegen Oswaldo berichtete, lächelte sie nur müde und sagte etwas von wegen: “Das liegt jetzt in deiner Hand, mein Junge.”
Santisíma madre, ich hoffe wirklich, dass es der alten Dame gelingt, sich gegen den Blutdurst zu wehren und nicht zum Vampir zu mutieren. Vielleicht kann ihr ja diese Bruderschaft der Infizierten helfen, zu der wir vor ein paar Jahren auch den jungen Cielo Canché geschickt haben. Aber trotzdem. Es ist eine Schande.

Als wir wieder draußen waren, versuchte Roberto, bei den versammelten Orunmila gegen Oswaldos Hetze vorzugehen, indem er argumentierte, dass der Rote Hof der wahre Feind sei und die Orunmila und die Elders alte Verbündete, die ein Zwist wie der momentane doch nicht auseinander bringen könne. Aber so richtig erfolgreich war er dabei nicht, sondern das verbale Duell zwischen den beiden blieb ohne klaren Sieger. Angesichts dessen gingen wir erst einmal nicht aktiv gegen Oswaldo vor, sondern verließen das Gemeindezentrum, um uns in Ruhe zu überlegen, was wir langfristig wegen des alten Santero unternehmen können.

Auch mit Enid wollten wir ja sprechen, um zu sehen, ob und wie wir ihr vielleicht helfen können. Das taten wir im Anschluss an den Besuch bei den Orunmila, und auch das war nicht schön. Die arme Enid ist schwerst traumatisiert hat so gut wie alles vergessen. Nicht nur, was die Ereignisse aus dem Sumpf betrifft, sondern ganz generell in bezug auf ihr Leben. Sie kann sich nur noch an ‘die Musik’ erinnern, hat schwammige Eindrücke an einen oder zwei Männer vor Augen, aber ansonsten weiß sie rein gar nichts mehr. Sogar, als wir sie mit ihrem Namen ansprachen, war sie erst verwundert und konnte ihn gar nicht so richtig auf sich beziehen. Uns war allen sofort klar, dass wir einen Therapieplatz für sie finden müssen, und zwar schnell. ¡Jodida mierda! Nicht nur haben sie dem armen Mädchen im Kopf herumgeschraubt, sondern offenbar auch noch so sehr, dass nur schwer oder vielleicht sogar überhaupt nicht mehr rückgängig zu machen ist. Was für verdammte, kaltherzige cabrónes tun so etwas? Ja, ja, ich weiß. Korrumpierte Magier und Dämonenkultisten, von denen muss man sowas erwarten, haha. Aber das macht es nicht besser. Ich glaube, in diesem Moment hätte ich Spencer Declan und Donovan Reilly kaltlächelnd erwürgt, wenn ich sie in die Finger bekommen hätte.

Aber ich bekam Declan und Donovan nicht in die Finger. Tatsächlich sind beide seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen worden – an die beiden hatten wir gar nicht mehr gedacht, aber sie hatten ja das Gebiet betreten, kurz nachdem der magieunterdrückende Effekt der Sinfonia begann. Es ist möglich, sogar ziemlich wahrscheinlich, dass sie darin eingeschlossen wurden, als die Magie zurückkehrte, und jetzt immer noch in dem Schutzkreis gefangen sind. Das ist ein beunruhigender Gedanke, denn obwohl sie es verdient hätten, wäre es ein ziemlich schreckliches Ende für sie, wenn sie dort drin verhungern würden, weil es in dem Gebiet nichts zu essen gibt. Aber noch viel bedenklicher finde ich die Möglichkeit, dass die beiden sich das, was dort drin ist, irgendwie zunutze machen und dann dank ihrer Magie und ihrer Dämonenkontakte die Barriere doch irgendwie überwinden – und wer weiß, was sie damit dann alles an Unheil anrichten können. Aber das ist leider nichts, das wir momentan irgendwie beeinflussen können, also muss ich mit dem leisen beunruhigten Nagen im Hinterkopf wohl einfach leben.

Stefania Steinbach hingegen wurde seither durchaus wieder gesehen. Sie versieht ganz normal ihre Aufgaben als Kirchenfunktionärin, hat sich zum Beispiel im Nachgang zu Hurricane Irma groß mit Hilfsangeboten und Barmherzigkeit aufgespielt.
Mierda. Dass Steinbach eine Dämonenkultistin ist, die mit einem von Judas’ dreißig Silberlingen geködert wurde, ist schlimm genug. Aber dass sie eine Kirchenvertreterin ist und im Geheimen gegen alles arbeitet, wofür das Christentum steht, das macht die Sache irgendwie noch hundertmal schlimmer. Und wir haben keine Ahnung, hatten bisher nicht mal den Hauch einer Idee, wie wir gegen diese puta vorgehen sollen. ¡Me pone malo, de verdad!

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