Systemvorstellung: Ten Candles

Auf der diesjährigen DZ-Con habe ich zum ersten Mal „Ten Candles“ gespielt. Mein Bericht zur DZ-Con ist zwar noch nicht ganz fertig, aber das System, das ich sehr interessant fand, wollte ich doch schon einmal in einem gesonderten Posting vorstellen, auch wenn ich den Text dann vermutlich im genauen Wortlaut in dem anderen Posting auch nochmal übernehmen werde. Oder ich verlinke dann einfach hierher, das geht ja auch.

Ten Candles ist ein Indie-Rollenspiel, dessen Prämisse es ist, dass man von Anfang an weiß, dass keiner der Charaktere die Geschichte überleben wird. Dabei werden für die Spielsession zehn Teelichter entzündet, und spätestens, wenn das letzte Teelicht von selbst erlischt, weil es vorher nicht dazu kam, dass es von Hand ausgemacht wurde, stirbt der letzte Charakter.

Das Spiel funktioniert so:
Für den „Charakterbau“ gibt es Zettel in unterschiedlichen Farben. Auf einen wird ein eher positives Adjektiv geschrieben, auf einen ein eher negatives Adjektiv, einer enthält eine „Szene der Hoffnung“, also etwas, an dem der Charakter sich festhält, und auf der letzten Karte steht etwas Schlechtes/Böses/Schlimmes/Verabscheuenswürdiges, bei dem ein anderer Charakter den eigenen Charakter beobachtet hat. Diese letzte Karte erhält man von einem anderen Spieler, ebenso wie man die Zettel mit dem positiven und dem negativen Adjektiv jeweils an den rechten bzw. linken Nachbarn weitergibt. Aus diesen vier Karten ergibt sich der Charakter, der grundsätzlich jeder sein kann, auf was für einen Charakter man eben gerade Lust hat.
Um eine feuerfeste Schale in der Mitte des Tisches werden 10 Teelichter gestellt, die während der Charaktererschaffung nacheinander und mit etwas Abstand voneinander angezündet werden, damit sie nicht alle auf einmal ausgehen. Außerdem gibt es 10 Würfel, für jede gespielte Szene eine.
Sobald die Charaktere soweit „stehen“ – mehr als „ich bin ein verkrachter Politiker, der die letzten Wahlen verloren hat“ braucht es da eigentlich gar nicht -, nimmt jeder eine Nachricht auf: einen Anruf, den der jeweilige Charakter an irgendwen richtet und demjenigen auf den Anrufbeantworter spricht. Diese Nachrichten werden, wie man sich denken kann, nicht einfach so für nichts aufgezeichnet, sondern am Ende alle nochmal abgespielt.

Jetzt wird gespielt, ganz normal mit Spielleiter, wie man das auch aus non-Indie-Runden kennt. Gewürfelt wird, wenn es „um etwas geht“, also eigentlich nicht für jeden kleinen Müll, und zwar mit so vielen Würfeln, wie noch Kerzen brennen, also am Anfang mit allen 10 Würfeln. Damit das, was man tun möchte, Erfolg hat, braucht es mindestens eine 6. Alle gewürfelten 1er werden für den Rest der Szene vom Spielleiter einbehalten. Wenn man keine 6 würfelt, darf man eine seiner Adjektivkarten verbrennen, um 1er neu zu würfeln, falls das entsprechende Adjektiv gerade oben liegt und man einen Grund findet, wie man es erzählerisch verwenden kann, um das Neuwürfeln zu rechtfertigen. Sobald ein Wurf keinen einzigen 6er enthält, ist nicht nur die Aktion fehlgeschlagen, sondern die Szene endet, eine Kerze wird ausgelöscht, und eine neue Szene beginnt. Der Spielleiter nimmt einen Würfel aus dem Pool und kann diesen nun für seine eigenen Würfe gegen die Spieler verwenden.
Zu Beginn der neuen Szene spricht man gemeinsam eine Art ritualistischen Text: „Diese Dinge sind wahr: Es ist dunkel, xxx, xxx, xxx, und wir sind am Leben.“ Die „xxx“ sind Fakten, die reihum von den Spielern geschaffen werden, und es gibt davon immer so viele, wie noch Kerzen brennen bzw. Würfel im Pool sind. Das kann alles sein von „wir hören Schreie“, „ein Helikopter nähert sich“, oder was auch immer. Dabei können auch Fakten über die ominösen „SIE“ erschaffen werden, die der unsichtbare, namenlose Gegner in der urplötzlich ins Dunkel gestürzten Welt sind und gegen die es letzten Endes für die Charaktere kein Entkommen geben wird.
Denn das Spiel hat eine deutliche Abwärtsspirale: Je weiter man im Spiel kommt, desto weniger Würfel hat man zur Verfügung, um die Würfe zu schaffen, es wird also immer unwahrscheinlicher, dass man eine 6 würfelt, und somit kommt das Ende immer schneller.
Der ritualistische Text am Ende der letzten Szene, wenn alle Charaktere gestorben und die letzte Kerze erloschen ist, lautet übrigens, wie vielleicht schon zu vermuten war, einfach nur: „Dies ist wahr: Es ist dunkel.“

Unsere eigene Runde war auf einem Kreuzfahrtschiff angesiedelt, was sich als Setting für ein derartig dystopisches Szenario ausgezeichnet eignete. Anhand des Faktenschaffens zwischen den Szenen hätten wir zwar die Örtlichkeit wechseln können („es ist drei Tage später, und wir befinden uns in Madrid“ oder sowas), das machte aber keiner, und so blieben wir fast die ganze Zeit auf dem Schiff, wechselten nur ganz am Ende auf ein anderes Schiff hinüber, das im Verlauf der Geschichte herbeierzählt worden und mit unserem Kreuzfahrer kollidiert war (ebenfalls ein geschaffener Fakt), wo der bitterböse Showdown und das Ende passierte. Das war absolut stimmig und passte gut, und im Endeffekt hätte ich es gar nicht anders haben wollen. Mir fiel nur auf (und stieß mir auch ein wenig auf), dass das, was wir als „Szenen“ spielten, keine Szenen in dem Sinne waren, wie ich sie eigentlich als solche kenne.
Ich glaube, ich gebe am besten mal ein Beispiel für das, was ich meine:
Wir befinden uns auf der Brücke des Kreuzfahrtschiffs. Ein Charakter versucht, das Funkgerät zu reparieren. Würfelt. Der Versuch schlägt fehl. Kerze aus, neue Szene. Fakten herbeierzählt, z.B. „ein anderes Schiff nähert sich“, aber nichts, das uns von der Brücke heruntererzählt hätte.
Wir sind also immer noch auf der Brücke des Kreuzfahrtschiffs. Ein anderer Charakter versucht, die Erste-Hilfe-Ausrüstung klarzumachen (oder so, ich bin mir nicht mehr sicher, ob es das genau war). Würfelt. Der Versuch schlägt fehl. Kerze aus, neue Szene.
Wir sind immer noch auf der Brücke, irgendwer will irgendwas anderes tun, schlägt fehl, Kerze aus, neue Szene.
Wir verlassen die Brücke und treffen im Gang irgendwo einen Maschinisten-NSC, mit dem wir uns unterhalten.
Das war ungewohnt. So würde ich „Szene“ üblicherweise nicht definieren.

Ein anderer Punkt, der mir ein bisschen aufstieß, war die Sache mit der Hoffnungskarte. Grundsätzlich ist das ein cooler Mechanismus: Wer es schafft, seine Hoffnungsszene zu spielen und dann auch noch einen erfolgreichen Wurf auf die Hoffnung zu machen, erhält einen andersfarbigen, persönlichen Hoffnungswürfel. Bei dem gelten 5 und 6 als Erfolg, und man muss ihn nicht abgeben, wenn er eine 1 zeigt. Das ist extrem mächtig, und es hat mehr als eine Szene gehörig verlängert. Das Problem ist nur: Es darf immer nur eine Hoffnungskarte gleichzeitig oben liegen (zumindest anfangs), und man muss a) in die Situation kommen, in der die Hoffnung greifen würde, dann muss b) die Karte im Stapel oben liegen und c) der Wurf klappen, was mit fortschreitendem Spiel immer unwahrscheinlicher wird. Deswegen hatte in unserer Runde von 6 Spielern auch nur der eine, dessen Hoffnungskarte anfangs oben gelegen hatte, überhaupt einen Hoffnungswürfel, und nur schon ziemlich gegen Ende wurde entgegen der Wahrscheinlichkeit noch eine zweite Hoffnung erspielt. Das würde ich, glaube ich, lieber ändern, dass entweder schon anfangs mehr als eine Hoffnung oben liegen darf oder dass es keines Wurfs bedarf, wenn die Situation gespielt werden konnte, oder irgendwie sowas.

Aber alles in allem hat das System und hat unsere Runde mir doch ziemlich gut gefallen, und ich würde 10 Candles bei Gelegenheit gerne noch einmal spielen, um zu sehen, wie es dann läuft.

7 Kommentare

Eingeordnet unter DZ-Con, Pen & Paper, Rollenspiel-Sonstiges, Systemvorstellungen

7 Antworten zu “Systemvorstellung: Ten Candles

  1. Duck

    Das Problem mit den „Szenen“ kann ich nachvollziehen. Meines Erachtens ist hier der Spielleiter gefragt, die Situation und in der Regel auch den Handlungsort am Ende einer Szene zu verändern, da er durch den Fehlschlag der Spieler zwingend das Erzählrecht erhält. Die Veränderung muss kommen, noch bevor das Faktenschaffen in der Runde losgeht. Jedenfalls habe ich mit diesem Vorgehen ganz gute Erfahrungen.
    Die Hoffnungsmomente sind ebenfalls nicht immer einfach in der Handhabung. Aus meiner Erfahrung ist es wichtig, dass alle Spielbeteiligten die Momente von Anfang an kennen und wissen, dass sie gemeinsam auf jeden einzelnen davon hinarbeiten müssen. Deshalb müssen die Hoffnungsmomente auch nacheinander kommen. Den Hoffnungswürfel habe ich allerdings auch schon einige Male als sehr spielverlängernd erlebt, zumal es in meinen Runden noch nie vorgekommen ist, dass jemand durch Einsatz der Brink-Karte diesen Würfel wieder verloren hat. Im schlimmsten Fall muss man sich da auf die Kerzen als Timer verlassen.
    Habt ihr eigentlich wie vom Spiel vorgesehen mit den Kerzen als einziger Lichtquelle gespielt? Das trägt meines Erachtens enorm zur Atmosphäre des Spiels bei.

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    • Ja, wir hatten tatsächlich nur die Kerzen als Lichtquelle – und natürlich das kurze Feuer, wenn eine Karte verbrannt wurde. Und ja, das machte wirklich enorm viel aus für die Stimmung.
      Was die Szenenschnitte angeht, war unser SL, glaube ich, der Ansicht, wenn es von uns niemand erzhählt, sind wir einfach da, wo wir waren. Und wie gesagt, im Endeffekt war das ja auch okay so und die Runde sehr cool, wie sie war; ich alte Indie-Nase würde die Szenen nur aggressiver framen, glaube ich.

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  2. Definitiv ein spannendes Teil, hatte schon bei Black Oracle von gelesen.

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  3. Klingt nach einem interessanten und eher ungewöhnlicheren Teilchen 🙂
    Szenen würde ich auch etwas anders definieren, wie ihr es getan habt, aber das kommt vermutlich auf den Spielleiter an.
    Du schriebst im Text, dass eine Hoffnungskarte/Adjektiv oben liegen muss. Werden die Karten demnach in Stapeln abgelegt?

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    • Ja genau. Die vier Karten (gutes Adjektiv, schlechtes Adjektiv, Hoffnung, fieses Geheimnis) werden pro Spieler zu einem beliebigen Stapel aufeinandergelegt, und nur die jeweils oberste darf in der Szene (zum Nachwürfeln der 1er oder zum Erspielen der Hoffnung oder zu für was auch immer man das Geheimnis nutzen kann, das weiß ich gerade gar nicht mehr) verwendet werden. Erst wenn die oberste Karte vom Stapel verbrannt ist, kann die nächste Karte des Charakters ins Spiel kommen.
      Und zu Spielanfang darf eben nur eine Hoffnungskarte oben liegen.

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