Supernatural – Hell’s Kitchen, Revisited

Ein grausiger Fund in Hell’s Kitchen. Für diese Nachricht über möglicherweise menschliche Knochen, die bei Kanalisationsarbeiten aufgetaucht sind, muss man nicht mal die Sensationspresse bemühen. Diese Nachricht findet sich zwar nicht auf der Titelseite, aber doch in den ganz normalen Zeitungen des Big Apple. Genau wie diese andere Meldung von den “Rumpelstilzchen-Selbstmorden”, bei denen sich in letzter Zeit einige junge Männer aus dem New Yorker Bank- und Börsenmilieu selbst die Schädel eingeschlagen haben. Nicht nur Ethan, der Nachrichten aus New York mit einigem Interesse verfolgt, hat die beiden Artikel gesehen, sondern auch Bones Gate. Und genau wie Ethan sind auch Bones Gate der Meinung, dass er sich die Sache einmal ansehen sollte.

In ungefähr der Gegend von dem Rohr, wo die Knochen entdeckt wurden, findet Ethan einen Starbucks, in dem er sich nach der Fahrt erst einmal einen Kaffee holen und einen Blick auf den Stadtplan werfen will, damit er nicht völlig ziellos im Viertel herumirren muss. Während er darauf wartet, dass er an der Reihe ist, sieht er sich im Café um – und schüttelt gleich darauf belustigt den Kopf. Denn da hinten sitzen an einem der Tische zwei bekannte Gestalten: Cal Fisher und Emily McMillen. Cal, den Ethan zuletzt gesehen hat, als er mit Jo aus Sundance aufbrach, und Em, die erst vor ein paar Tagen völlig unerwartet vor seiner Tür stand. Okay, vielleicht auch nicht so ganz völlig unerwartet. Immerhin hatte er ihr an Neujahr, nachdem er bei seiner Rückkehr aus Tappan ihren unendlich traurig und verzweifelt klingenden handgeschriebenen Brief vorgefunden hatte, vorgeschlagen vorbeizukommen, wenn sie jemanden zum Reden bräuchte. Nur dass sie dieses Angebot dann wirklich in Anspruch nehmen würde, und vor allem so bald, damit hatte er nicht gerechnet. Aber sich irgendwie gefreut, als sie es doch tat.

Bei dem Besuch schwiegen sie sich über alle möglichen Themen aus – unter anderem über ihre Familien, wie in Crockett auch schon, nur etwas ausführlicher und detaillierter. Ethan überraschte sich selbst dabei, wie er erst auf sein Heimkommen im Sommer einging, auf die Reaktionen seiner Familie, und dann auf den Weihnachtsbesuch zuhause, ebenso wie auf seine gemischten Gefühle dabei, während Emily genauer als in Texas davon erzählte, wie es bei ihrer eigenen Rückkehr gewesen war. Zwischen aller Maulfaulheit und allen langen Pausen entdeckten sie doch einiges an Gemeinsamkeiten, und am Ende wurde es darüber so spät, dass Emily auf Ethans Couch übernachtete. Als er am nächsten Morgen aus dem Schlafzimmer kam, war sie schon weg, und nur ein Zettel mit dem Wort “Danke” darauf zeugte noch von ihrem Besuch.

Jetzt jedenfalls sitzt die junge Jägerin hier in dem Café Ethans altem Mentor gegenüber. Ethan gibt ein leise amüsiertes Schnauben von sich und geht zu den beiden hinüber. Emily bemerkt ihn ungefähr auf halber Strecke, also hebt Ethan schon im Näherkommen die Hand zu einem Gruß.
Cal und Emily haben sich gerade vor kurzem kennengelernt, erfährt Ethan ein paar Minuten später. Bei einer vornehmen Party an Silvester. Irgendwas von einem Job auf einer Luxusyacht im Hafen von Baltimore.
Cal sieht… besser aus. Nicht richtig gut, dafür kennt Ethan ihn lange genug, aber wenigstens nicht mehr so… so kalt wie nach dem Devils Tower.
“Ihr okay?” fragt Ethan und sieht dabei vor allem seinen Ziehvater forschend an. Emily lächelt ein automatisches “Klar, immer”, und auch Cal nickt. “Komme zurecht.” Okay. Immerhin.

Die beiden anderen Jäger haben die Zeitungsartikel natürlich auch gelesen. Logisch, sonst wären sie wohl kaum hier. Allerdings sind sie auch gerade erst angekommen; keiner von beiden hatte bisher Zeit, schon irgendwas herauszufinden. Ethan auch nicht, also gehen sie sich die Sache gemeinsam ansehen. Nur, dass gar nicht mehr so viel zu sehen ist. Gar nichts, eigentlich. Das Rohr, das in der West 57th Street wegen der Kälte geborsten war, ist zwar natürlich noch da, genau wie der Tunnel, in dem es verbaut ist und wo in mehreren Plastiksäcken die besagten Knochenteile gefunden wurden, aber natürlich wurde der Fundort schon ermittlungstechnisch gesichert und die Beweise mitgenommen, und die Jäger schauen im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre.

“Wir sollten einfach mal mit der Polizei reden”, schlägt Caleb vor. “Ich weiß nur nicht, ob meine FBI-Jacke hier zieht. Ist immerhin New York hier, kein Kaff mit irgendeinem faulen Sheriff.”
Ethan verzieht das Gesicht. “Macht ihr mal.”
Die Bemerkung bringt ihm einen von Cals patentierten skeptischen Blicken ein. Nein, der Mann ist definitiv nicht mehr kalt. Gut. “Vielleicht sollten wir uns besser nicht aufteilen”, meint der Ältere dann. “Stimmt”, pflichtet Emily dem Jäger bei, “besser zusammenbleiben.”
Au. Nicht so gut. “Macht. Ihr. Mal”, wiederholt Ethan mit zusammengebissenen Zähnen.
“Warum?” Das kommt von beiden wie aus einem Mund. Verdammt. “Alan”, knirscht er, was ein verstehendes Nicken von Emily nach sich zieht. Klar, ihr hat er ja gerade erst vor ein paar Tagen erzählt, dass sein Bruder bei der Polizei ist und wie er auf Ethans Rückkehr reagiert hat. Aber auch bei Cal macht irgendwas ‘klick’, und er sieht seinen ehemaligen Ziehsohn aufmerksam an. “Ach deswegen hieß der wie du.”

Ethan runzelt die Stirn und bekommt auf seinen fragenden Blick einen Zeitungsartikel vor die Nase gehalten. Einen, den er bisher noch nicht kannte. Ein Interview mit einem ‘Detective’ Gale von vor ein paar Tagen, bei dem der sich standhaft weigerte, irgendwelche Auskünfte zu laufenden Ermittlungen zu geben, auch wenn ihm eine Menge hartnäckige Fragen zu Spuren von menschlichen Zähnen gestellt wurden, die an den Knochen angeblich gefunden worden seien. Heh. Alan wäre so ziemlich der jüngste Detective aller Zeiten, wenn der Rang stimmen würde. Nicht, dass Ethan es seinem kleinen Bruder nicht zutrauen oder wünschen würde, aber mehr als drei Jahre im Dienst muss man seines Wissens nach schon gewesen sein, bevor man in dafür auch nur in Betracht gezogen wird. Vermutlich war da irgendein Schreiberling nur höflich. Oder schlecht informiert.

Diese Gedanken gehen ihm noch durch den Kopf, da schlägt Emily vor, dass er sich doch vielleicht solange mal in der Gerichtsmedizin umhören könnte, während Cal und sie bei der Polizei nachfragen. Das klingt tatsächlich deutlich besser für Ethans Ohren, aber Cal macht ein skeptisches Gesicht und schüttelt den Kopf. “Ich weiß nicht, ob die dir da glauben würden. Wie gesagt: das hier ist New York und nicht irgendein Provinznest.” Der Jäger mustert Ethan mit einem kalkulierenden Blick. “Vielleicht solltest gerade du zur Polizei. Ist immerhin dein Bruder. Wolltest einfach so mit ihm reden, weil ihr an Weihnachten nicht genug dazu gekommen seid oder so. Und dann das Thema auf die Knochen bringen. Dich kann er schlecht wegschicken.”

Ahahaha. Hat der eine Ahnung, was Alan kann und was nicht. Sie haben sich an Weihnachten zwar nicht offen in den Haaren gehabt – Barrys Tipp zu einem Deal von wegen ‚keine Fragen an den Feiertagen’ war echt hilfreich – aber so richtig einfach ist das zuhause trotzdem nicht gelaufen. Mit ein bisschen Pech geht der Schuss komplett nach hinten los, wenn Ethan versucht, mit Alan zu reden. Ganz abgesehen davon, dass er das eigentlich gerade echt am liebsten vermeiden würde. Drecksmist. Aber. Einer Konfrontation – na komm, nicht so theatralisch hier, einer Begegnung – jetzt auszuweichen, wäre feige. Na gut, verdammt. Drecksmist, elender.

In dem Moment, als er aus dem hinteren Teil des Reviers nach vorne an die Rezeption kommt und Ethan da stehen sieht, verhärtet sich Alans Gesicht. “Ethan. Was willst du denn hier.”
Seinem Bruder zu sagen, was er hier will, ist gar nicht so einfach. Denn an der geplanten Weihnachten-nicht-genug-Zeit-miteinander-verbracht-Ausrede scheitert Ethan wie erwartet kläglich. Überhaupt kriegt er kaum ein Wort raus, schafft es aber dann doch irgendwie, das Thema auf die Knochenfunde zu bringen. Sein Lohn für die Mühe ist ein bitteres Schnauben. “Willst du jetzt etwa der Polizei bei ihren Ermittlungen helfen?” Alan starrt ihn herausfordernd an. “Ich wüsste da einen ungeklärten Fall, bei dem du helfen kannst. Ist elf Jahre her.” Au. Treffer.

Richtig viel bekommt Ethan aus seinem Bruder auch tatsächlich nicht heraus, aber immerhin erzählt Alan, dass er als erster am Tatort war, als der Fund gemacht wurde, und ihn dann ein Reporter zu einem Statement überrumpelte. So unwilling er darüber redet, Ethan merkt doch, dass die Sache für Alan tiefer geht als einfach nur ein grausiger Fund, bei dem er zufällig als erster Cop an Ort und Stelle war. Also hakt Ethan nach. Ja, er kannte eines der Opfer, gibt der Jüngere schließlich widerstrebend zu. Dann verzieht er das Gesicht und sieht seinen Bruder direkt an. “Im Sommer hast du gesagt, du kennst wen vom FBI.” Trotz der Formulierung ist es eine Frage, also nickt Ethan, und Alans Blick wird noch ein bisschen eindringlicher. “Wenn du wirklich Kontakte zum FBI hast und wenn denen wirklich an der Aufklärung gelegen ist, dann gibt es da eine Sozialarbeiterin, mit der du mal reden könntest. Jessie Macklin heißt sie.” Ethan nickt wieder. Bekommt auf sein “Wo?” auch noch eine Adresse dazu, ebenso wie die Information, dass es sich bei der Adresse um ein Jugendzentrum handelt. Plus eine mit drängender Stimme ausgesprochene Aufforderung, als Ethan schon am Gehen ist. “Und sag auf jeden Fall bescheid, wenn du was herausfindest!”

Emily und Cal waren indessen in der Gerichtsmedizin, um sich die Knochen anzusehen. Cal erzählt grinsend was von einer Coverstory als Käseblattreporter und ein paar Scheinen, die den Besitzer gewechselt haben, bevor er wieder ernst wird und beschreibt, was es in der Pathologie zu sehen gab. In dem Tunnel bei dem Rohr gefunden wurden Knochen von insgesamt fünf Menschen, aber kein einziger Leichnam war vollständig. Weil es nur Knochen waren, und noch dazu größtenteils gut gesäuberte, ließ sich die ethnische Zugehörigkeit der Personen nur schwer bestimmen. Teilweise wiesen die Knochen die Spuren von Bissen auf, und zwar nicht von irgendeinem Tier, sei sich die Pathologin sehr sicher gewesen. Bei den Überresten war kein einziger Schädel dabei, weswegen die Opfer mit einer Ausnahme nicht identifiziert werden konnten; die Ausnahme war eine 19-Jährige namens Monica Rivers, was man an den zahlreichen, teils schon seit sehr langer Zeit verheilten Knochenbrüchen erkannte. Eben wegen dieser zahlreichen Knochenbrüche hatte Rivers seit ihrer Kindheit zahlreiche Krankenhausaufenthalte über sich ergehen lassen müssen, und dort konnte man aus einer Liste ähnlicher Fälle ihre DNA festmachen.

Wenn nur ein einziges Opfer namentlich identifiziert worden ist, dann kann nur genau diese Monica Rivers die Person sein, die Alan persönlich kannte. 19 Jahre alt? Und die Kontaktperson, die Alan genannt hat, ist Sozialarbeiterin in einem Jugendzentrum? Alles klar. Nächster Schritt: Jessie Macklin.

Jessie Macklin ist eine junge Schwarze Frau mit einer noch ungetrübten Aura des Idealismus, die den drei Jägern erst einmal mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegnet, bevor sie sich von einem Designerkaffee dazu überreden lässt, sich doch mit der Gruppe zu unterhalten, und die Erwähnung von Alans Namen sie dann tatsächlich ein bisschen zum Auftauen bringt.
Zu Monica Rivers bestätigt die Sozialarbeiterin, dass das Mädchen aus einer richtig üblen Familie kam, deswegen die vielen Knochenbrüche. Wie bei vielen der Jugendlichen hier sei es auch Monicas Traum gewesen, es an den Broadway zu schaffen, aber bei Monica seien auch noch andere Dinge dazugekommen. Letzten Endes sei sie nach Los Angeles gegangen, um Schauspielerin zu werden. Jenny, Monicas beste Freundin, könne aber sicherlich mehr zu dem Thema sagen.

Sie kann. Jenny, sechzehn oder siebzehn und mit unfassbar naivem Benehmen, steht ziemlich deutlich unter dem Einfluss irgendeiner Droge. Alkohol? Eher nicht, das wäre anders. Aufputschtabletten? Schon eher. Irgendwas jedenfalls. Vielleicht erzählt sie jedenfalls deswegen so bereitwillig von ihrer Freundin.
Monica sei tatsächlich lange Jennys ‚BFF’ gewesen, aber dann habe sie irgendwann vor einer Weile festgestellt, dass sie im falschen Körper lebe, und eigentlich hätten die beiden vorgehabt, sich zu erkundigen, was man da machen könne. Hätten gemeinsam zu einer Beratung gehen wollen wegen Geschlechtsumwandlung und Hormonbehandlung und was es noch so alles für Möglichkeiten gäbe. “Aber dann ist sie irgendwann mal mit Officer Gale abgezogen” fährt Jenny fort, “und als sie dann wiederkam, hat sie nur noch davon gesprochen, nach Los Angeles zu gehen und Schauspielerin werden zu wollen.”
Ethan muss an sich halten, damit man ihm das Zucken nicht ansieht. Officer Gale? Verdammter Drecksmist, elender. Mit etwas Anstrengung gelingt ihm ein “Oh?”, das eher höflich-interessiert als alarmiert herauskommt, aber so, wie die Kleine sich anhört, hätte er sich die Mühe wahrscheinlich auch sparen können. Zugedröhnt, wie sie scheint, hätte sie den Unterschied vermutlich eh nicht bemerkt.
“Ja”, bekräftigt Jenny, “und als ich dann meinte, wir hätten da doch was geplant, meinte Monica, das könne ich doch auch alleine machen, und das würde ich schon schaffen.”
Ethan runzelt die Stirn, und auch die anderen beiden denken ganz klar in genau dieselbe Richtung. “Als wenn sie gar nicht mehr gewusst hätte, um was es dabei ging?” vergewissert sich Emily, und Jenny überlegt erst einen Moment mit leicht glasigen Augen, ehe sie nickt. “Ja. Genau so.”

Jetzt kann Ethan doch nicht mehr so richtig an sich halten. “Officer Gale?” hakt er nach und meint damit eigentlich die genaueren Umstände der Begegnung mit Monica. Aber Jennys Augen werden nochmal ein bisschen glasiger, und sie fängt an, davon zu schwärmen, wie unglaublich niedlich Officer Gale doch sei und dass Josh völlig unrecht habe. “Womit?” fragt Ethan im selben Moment, wie auch von Cal und Emily ganz ähnliche, nur etwas umfangreicher formulierte, Einwürfe kommen. “Josh behauptet ständig, mit Officer Gale stimmt etwas nicht. Was für ein Quatsch! Haha! An dem stimmt alles!”

Während Ethan bei Jennys Worten ganz unwillkürlich die Augen verengt, fragt Cal das Mädchen ruhig: “Und wo finde ich diesen Josh?”
“Gleich da drüben”, bekommt Cal zur Antwort, wo ein paar Jungs zusammensitzen und lautstark Karten spielen. Der Jäger schlendert hinüber und verwickelt einen der Jugendlichen in ein Gespräch. Der muss erst gewaltig den großen Macker heraushängen lassen, aber dass das Getue an Cal völlig abperlt, das ist auch aus der Entfernung zu sehen, und ein paar Minuten später kommt Cal mit Infos zurück.

Josh habe erzählt, Officer Gale würde immer mit irgendwelchen Leuten hier aus dem Jugendzentrum weggehen, was total gruselig sei, und wenn die Kids dann wiederkämen, wären sie irgendwie anders. Josh selbst sei noch nicht mit ihm mitgegangen, aber drei weitere Jugendliche abgesehen von Monica, und alle drei seien hinterher nur noch mal kurz im Jugendzentrum aufgetaucht, um mitzuteilen, dass sie nach Hause zurückkehren oder in eine andere Stadt ziehen wollten oder was auch immer.
Drecksmist, elender. Das klingt mal sowas von überhaupt nicht gut.

Mit diesen neuen Informationen gehen die drei Jäger ein weiteres Mal in Jessie Macklins Büro, um sie nach ihren Ansichten zur Seltsamkeit des Officer Gale zu befragen. Und die sind sehr, sehr klar und werden sehr, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: An Joshs Anschuldigungen ist nichts dran. Alan doch nicht. Ihm liegen die Kids hier im Viertel sehr am Herzen, genau wie Jessie selbst auch.
Huh. Die Dame protestiert ein kleines bisschen zu heftig. Bahnt sich da etwa irgendwas an zwischen Alan und der hübschen Sozialarbeiterin? Wünschen würde Ethan es seinem Bruder ja. Das Mädchen scheint nett zu sein. Vorausgesetzt jedenfalls, Alan ist überhaupt noch Alan und nicht– Aber das ist ein Gedanke, der Ethan so erschreckt, dass er ihn nicht zuende zu denken wagt. Irgendwann wird er ihn zuende denken müssen, aber nicht hier drin. Nicht genau jetzt.

“Sie haben mir Ihre Namen noch gar nicht genannt”, fällt Jessie in diesem Moment mit einem freundlich-interessierten Lächeln ein, woraufhin Emily und Cal sich höflich vorstellen. Ethan hingegen brummt nur seinen Vornamen in der Hoffnung, dass Ms. Macklin die Verbindung nicht zieht. Tut sie aber natürlich doch. Jessie stutzt, dann bedenkt sie ihn mit einem durchdringenden Blick. “Der Ethan?” “Mhmm”, macht er, “der Ethan. Alans Bruder.” Daraufhin verfinstert sich die Miene der jungen Sozialarbeiterin sichtlich, und ein Gutteil des anfänglichen Misstrauens kehrt in ihr Gesicht zurück. “Sie müssen ja wohl selbst am besten wissen, wie das mit verschwundenen Jugendlichen ist”, hält sie Ethan kühl entgegen, und der nickt unglücklich. “Schwierig”, gibt er zu. “Ja.”
“Ethans Bruder hat Ihnen aber ganz schön viel über sein Privatleben erzählt”, wirft Emily ein. Ihre Stimme klingt ebenfalls überraschend kühl. Beinahe vorwurfsvoll.
“Ja, das hat er”, schießt Jessie zurück, “ich erzähle ihm ja auch Dinge über meines!”
Oho. Ja, da bahnt sich definitiv was an.

Zurück bei den Jugendlichen geht Emily nochmal auf Jenny zu, gibt dem Mädchen zusammen mit ein bisschen Geld einen Zettel mit ihrer Telefonnummer und bittet darum, dass Jenny sich doch bei ihr melden soll, falls Officer Gale sich mit ihr treffen will.
Bei der Bitte funkelt Jenny die junge Jägerin entrüstet an. “Einen Dreier mache ich aber nicht mit!” Emily stutzt verwirrt, dann schüttelt sie den Kopf. “Was? Nein, ich will den Officer nur was fragen. Danach lasse ich euch wieder allein.” “Oh. Ach so. Na dann kann ich das machen.“

Draußen vor dem Jugendzentrum zündet Ethan sich erst einmal eine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug, dann gleich noch einen. “Verdammt”, sagt Cal. “Das klingt nach Shapeshifter. Vermutlich ein Ghul, wenn man nach den Knochen geht.” Er wirft Ethan einen vielsagenden Blick zu. “Dir ist klar, was das bedeuten würde?”
Ethan beißt die Zähne zusammen und zieht ein weiteres Mal an seinem Glimmstengel. Vorhin da drin hat er den Gedanken nicht zuende gedacht, aber natürlich weiß er, was das heißt. Dass im schlimmsten Fall sein echter Bruder schon gar nicht mehr lebt und Ethan das, was sich dafür ausgibt, jetzt zur Strecke bringen muss. Und Mom, Dad und Fiona dann irgendwie erklären, warum. Drecksmist, elender. Ethan nickt grimmig. “Ist.” Mit angewiderter Miene wirft er die halb gerauchte Zigarette weg und tritt sie mit einer ruckartigen, heftigen Bewegung aus. “Verdammt, verdammt, verdammt.”

Aber es hilft ja alles nichts. Sie müssen herausfinden, was es mit dem seltsamen Verhalten von ‘Officer Gale’ auf sich hat, und das bedeutet, Alan auf den Zahn zu fühlen. Während die anderen in einiger Entfernung bleiben und beobachten, wartet Ethan vor den Sandsteintreppen des Polizeireviers, bis sein Bruder – sei Alan. Bitte sei noch Alan – zum Feierabend herauskommt. “Und?” fragt der, als er Ethan da am Geländer lehnen sieht, “hat Jessie – Ms. Macklin – dir etwas sagen können?”
Ethan nickt. “Geredet. Mit ihr, mit Monicas Freundin. Und noch wem.” Und rückt dann mühsam und noch etwas stockender als sonst mit Joshs Aussagen heraus. Alan starrt ihn entrüstet an, und das ist ehrliche Entrüstung, da zuckt keine einzige von Ethans Antennen. Puuuh. “Glaubst du etwa ernsthaft, dass ich was damit zu tun habe?” “Nein.” Jetzt nicht mehr. Kein Ghul. Oh danke, danke, danke. “Aber Doppelgänger.” “Ach ja?” höhnt Alan, “Doppelgänger? Mein böser Zwilling oder wie? Das hätten Mom und Dad ja wohl gesagt, wenn sie noch einen Sohn gehabt hätten.”
Ethan schnaubt. “Kein Zwilling. Aber Maskierung oder sowas. Gibt’s ja.”
Auf diese Bemerkung hin lacht sein Bruder ihn allerdings ganz unverhohlen aus. “Du bist Hausmeister”, spuckt er verächtlich, “geh hausmeistern”, und lässt Ethan kurzerhand stehen. Drecksmist, elender. Aber hey. Immerhin ist Alan noch er selbst.

Wieder bei den anderen, erstattet Ethan Bericht. Wenn sein Bruder echt ist, dann muss dessen Doppelgänger noch irgendwo sein. Und die Frage ist vor allem: Wie ist der Doppelgänger an ihn rangekommen?
Eine sichtbare Verletzung war heute jedenfalls nicht zu sehen. Was natürlich nicht heißt, dass unter der Uniform nicht irgendwo eine war. Aber wo er jetzt so darüber nachdenkt, fällt Ethan ein, dass Alan an Weihnachten einen Verband um den Arm hatte. Was, wenn das die Verletzung darunter von einem Ghul stammte? Die Drecksviecher müssen ihre Opfer ja nicht mal ganz auffressen, um deren Gestalt annehmen zu können.

Cal ist derjenige, dem ein erschreckender Gedanke kommt, bei dem Ethan sich treten könnte, dass ihm der nicht selbst eingefallen ist: Wenn der Ghul als Alan rumläuft und Alan auch noch als er selbst rumläuft, dann ist die ganz große Gefahr, dass der Ghul sich den echten Alan zur Sicherheit auch noch krallen will. Drecksmist, elender. So eine verdammte Scheiße!

Ethan will seinen Bruder nicht einweihen. Niemanden von seiner Familie. Es hat schon seinen Grund, dass er weder im Sommer noch jetzt an den Feiertagen was von Kram erwähnt hat. Die würden es nicht glauben, und viel zu gefährlich wäre es auch. Aber Cal hat schon recht, als er zu bedenken gibt, dass es in diesem Fall tatsächlich viel gefährlicher wäre, Alan nicht ins Vertrauen zu ziehen. Es passt Ethan zwar gar nicht, aber es geht nicht anders. Sie müssen Alan warnen.

Ethan war zwar noch nicht dort, aber er weiß immerhin, wo sein Bruder wohnt. Es ist ein ganzes Stück, aber wofür haben sie ihre Autos. Oder besser, Ethans Auto. Er kennt die Adresse, und im New Yorker Feierabendverkehr müssen sie nicht auch noch getrennt fahren.

Es ist nur wenige Wochen her, dass Ethan, damals in Begleitung von Niels Heckler, zuletzt mit dem Auto durch Hell’s Kitchen gefahren ist. Allerdings war das in einem gemieteten Kleinwagen und nicht in seinem eigenen Pickup-Truck, auch wenn der für seine Fahrzeugklasse vergleichsweise kompakt geraten ist.
Dafür, dass der Innenstadtverkehr von New York nicht gerade ideales Gelände für den Nissan darstellt, kommen sie sogar ziemlich gut voran. Bis zu dem Moment jedenfalls, als von irgendwo links ein Kerl im Anzug und Krawatte mit hochrotem Gesicht urplötzlich auf die Straße rennt. Genau auf den D21 zu, und sich offensichtlich den Schädel daran einschlagen will.

Scheiße, verdammte. Hindernisvermeidung. Erste Regel: nicht hinsehen. Er darf den Typen nicht ansehen, sonst fährt er voll in ihn rein.
Also sieht Ethan den Kerl nicht an. Schaut überall hin, nur nicht auf den Typen. Schaut auf die Straße, auf die andere Spur, wo tatsächlich gerade für einen kurzen Moment eine Lücke frei wird. Nicht denken. Reagieren. Lenken. Schaut auf den Straßenrand, wo die Autos dicht an dicht geparkt stehen, aber da. Ausfahrt. Schafft es irgendwie, dem Mann auszuweichen und auch keinen sonstigen Unfall zu bauen, bevor der Nissan mit quietschenden Bremsen und etwas schief, aber unversehrt, in der Ausfahrt zum Halten kommt.

Noch bevor der Pickup richtig steht, sind Cal und Emily schon aus dem Auto gesprungen. Ethan folgt einen Moment später, sobald er einmal tief durchgeschnauft und den Motor abgestellt hat, und gemeinsam bekommen sie den Typen einigermaßen unter Kontrolle, ohne dass der sich den Kopf irgendwo anders einschlagen kann, wie er es weiterhin heftig versucht. Was übrigens so eine Sache ist. Warum zum Geier will der Typ sich eigentlich umbringen? Er macht einen unglaublich kompetenten Eindruck und wirkt überhaupt nicht so, als hätte er irgendeinen Grund, sich das Leben zu nehmen. Der perfekte Kandidat, um als Hausmeister bei Bones Gate anzufangen.
Äh… was? Ethan schüttelt verwirrt den Kopf. Das ergibt keinerlei Sinn – der Mann trägt Anzug und Krawatte! Der ist alles, nur kein Handwerkermaterial! Cal macht ein ähnlich irritiertes Gesicht, aber während sie den Mann festhalten und darauf warten, dass der Notarzt kommt, den die Umstehenden gerade schon gerufen haben, verändert sich die Miene des Älteren mit einem Mal, und er sieht genauer in die versammelte Menschenmenge. Offenbar hat er unter den Anwesenden ein bekanntes Gesicht bemerkt, aber er sagt nichts, sondern konzentriert sich weiter auf den verhinderten Selbstmörder. Es dauert auch gar nicht lange, da drängt sich ein Krankenwagen mit Sirene und Blinklicht durch den Feierabendverkehr, und der noch immer tobende Mann wird ruhiggestellt und abtransportiert.

“Komisch”, befindet Caleb, als der Krankenwagen abgefahren ist, “der kam mir vor, als hätte er perfekt in meine Truppe gepasst. Dabei war der doch ein totaler Bürohengst!” “Mhm”, macht Ethan, “mir auch. Hausmeister. Seltsam.” “Also mir nicht”, erklärt Emily kategorisch – er habe ziemlich unangenehm gerochen, und besonders toll sei er ihr auch nicht vorgekommen. Huh. Interessant. Vielleicht, weil sie eine Frau ist? Wirkt das, was auch immer den Typen so kompetent hat erscheinen lassen, vielleicht nur auf Männer?

Bevor Ethan die Vermutung aussprechen kann, tritt aus der Menschenmenge heraus eine Frau zu ihnen. Cals Bekannte, offenbar, denn er wirkt gar nicht überrascht. “Sofia”, grüßt er sie knapp. Huh. Der Name sagt Ethan was, auch wenn er die Frau nie getroffen hat. Sofia Pacelli ist die Tochter von Enzo Pacelli, und vor etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahren war Enzo Pacelli für den sechzehnjährigen Cal so ziemlich haargenau das, was der dann später für Ethan wurde. Ausbilder. Mentor. Ersatzvater. Oh, und Cal war irgendwann mal mit Sofia zusammen. Aber das ging wohl nicht so schön aus nach allem, was Ethan sich so zusammengereimt hat. “Fisher”, grüßt Sofia ihren Ex jetzt auch kühl und ein bisschen erstaunt, ob das Erstaunen nun echt ist oder gespielt. “Du lebst noch? Ich dachte, dich hätte inzwischen längst was erwischt.” Während Cal der Frau ein schmallippiges Lächeln zeigt und “Siehste mal” brummt, wirft Ethan ein “zäh” ein, was die fremde Jägerin aber nicht sonderlich beeindruckt. “Das reicht nicht immer.”

Wie es Enzo gehe, will Caleb wissen, und bekommt zur Antwort, dass der gestorben sei, letzten Herbst. Die Auskunft trifft den Jäger sichtlich, auch wenn er sich zusammenreißt und er ein einigermaßen neutrales “Tut mir leid zu hören” herausbringt. “Warum ist er gestorben?” “Die Geister, von denen er verfolgt wurde, haben ihn erwischt”, antwortet Sofia, und diese Nachricht trifft Cal noch viel mehr. “Scheiße”, entfährt es ihm, woraufhin die andere Jägerin grimmig nickt. “Das, was du da geklärt hattest, hattest du wohl doch nicht so endgültig geklärt”, meint sie in leicht spitzem Tonfall, was Cal blass werden lässt unter seiner Bräune.
Oh oh. Letzten Herbst. Geklärt. Cal hat nie gesagt, weswegen er eigentlich diesen Deal mit AC abgeschlossen hatte. Um seine Seele zu verpfänden, muss das, was der Engel dem älteren Jäger als Gegenleistung geboten hat, schon was echt Großes gewesen sein. Schutz vor irgendwas, das das Leben seines Ex-Mentors bedrohte, zum Beispiel? Ein Schutz, der mit Aziraphels Tod endete? So, wie Cal gerade aussieht, trifft diese Annahme wohl ziemlich genau zu. Und so geschockt, wie Cal aussieht, hat er an Enzo Pacelli und an eventuelle Auswirkungen auf den alten Mann weder in Wyoming noch in der Zwischenzeit bis eben gerade irgendeinen Gedanken verschwendet. “Verfickte Scheiße”, flucht Cal wieder, reißt sich dann aber sichtlich zusammen. “Und weswegen bist du hier?”

Fast nicht überraschend: Der Grund sind die Rumpelstilzchen-Selbstmorde, sprich der Typ, den sie gerade davon abgehalten haben, sich am D21 den Schädel einzurennen. Sofia hat schon ein bisschen was herausgefunden, sagt sie. Und zwar waren alle Selbstmörder Kunden bei einer gewissen Lindsay Carter, die hier in New York als Lifecoach arbeitet.
Ethan versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber zumindest innerlich zuckt er mal zusammen, als er das hört. Lifecoach. Wie Coleen. Hexe. Garantiert. Drecksmist, elender.
Ms. Pacelli spricht schon weiter: Sie habe sich eine Liste von Lindsay Carters Mandanten beschafft und sei gerade auf dem Weg gewesen, um mit dem nächsten Kandidaten ihrer Liste zu reden, als der an ihr vorbei auf die Straße stürmte, wo die Jäger den Mann aufhielten.
Keine Zufälle, denkt Ethan, aber das spricht er nicht aus. Hört stattdessen der Jägerin stumm weiter zu.
Offenbar waren die drei Selbstmörder schon recht lange Kunden bei Ms. Carter, was den Schluss nahelegt, dass, was auch immer sie mit ihnen gemacht hat, eine Zeitlang braucht, um zu greifen. Ein Mann allerdings sei schon sehr lange Carters Kunde, sagt Sofia, und der habe bisher noch keinerlei Anzeichen gezeigt, sich umbringen zu wollen. “Der steht als nächster auf meiner Liste”, erklärt die Jägerin, “aber ich wäre euch ganz dankbar, wenn ihr euch die Sache auch ansehen würdet. Ich komme schlecht an Carter heran: Sie akzeptiert nur Männer als Kunden.” Mit einem etwas abschätzigen Blick mustert Pacelli ihren Ex. “Dir nimmt man ja ohne weiteres ab, dass du einen Lifecoach brauchen könntest.”

Cal schnaubt, sagt dann mit nachdenklichem Blick: “Nur Männer, wie?”
“Interessant”, meint auch Emily im selben Moment, wie Ethan “hm” macht, “könnte das damit zusammenhängen, dass nur ihr beiden diesen Eindruck von Kompetenz hattet, ich aber nicht? Und ihr habt auch nichts Unangenehmes gerochen…”
“Hmmm”, macht Ethan wieder. “Pheromone oder sowas?”
Die drei Jäger sehen einander an, ein stummer Blick der Verständigung. “Okay”, übernimmt Cal dann für sie alle das Antworten, “da können wir uns schon drum kümmern. Klar.”
Auf Sofias Frage, ob er ihre Nummer noch habe, schüttelt Cal allerdings den Kopf. Er habe sein Handy vor einer Weile weggeworfen, gibt er mit etwas verlegenem Gesichtsausdruck zu.
Huh. Handy weggeworfen? Das klingt seltsam. Kurz nach Wyoming hat Ethan den älteren Jäger immerhin noch erreicht, nachdem er erst einmal seine neue Nummer herausgefunden hatte, weil die alte von vor zehn Jahren natürlich nicht mehr aktuell war. Warum hätte Cal sein ganzes Handy wegwerfen sollen statt nur die SIM-Karte zu wechseln, wenn er eine neue Nummer wollte? Hmm. Irgendeine Sicherheitsvorkehrung vielleicht? Tracker gefunden oder so?
Sofia jedenfalls macht ein Gesicht wie ‘warum wundert mich das jetzt nicht?’ und gibt Caleb eine Karte mit einem falschem Namen, aber der richtigen Nummer, damit er sie kontaktieren kann, und verabschiedet sich.

Ethan sieht der New Yorkerin hinterher. “Können uns kümmern”, sagt er, “müssen uns kümmern. Mögliche Hexe. Aber erst Alan. Wichtiger.”
“Absolut”, stimmt Cal zu, “dein Bruder zuerst”, und auch Emily nickt. “Diese Carter kann warten.”

Es dauert überhaupt nicht lange, bis Alan auf Ethans Klingeln hin mit einem “Ich komme schon!” die Tür öffnet. Und dann, als er Ethan sieht, für einen kurzen Moment so wirkt, als wolle er seinem Bruder die Tür gleich wieder vor der Nase zuschlagen. Oho. Der hat definitiv jemand anderen erwartet. Jessie vielleicht? Ziemlich sicher sogar. Alan schlägt die Tür nicht zu, aber glücklich ist er auch nicht. “Du schon wieder”, brummt er. “Was willst du?” “Tacheles reden.” “Ach?” ätzt Alan, “Das wäre ja das erste Mal.”

Weil Ethan diesmal nicht alleine ist, sondern Cal und Emily mit ihm vor Alans Tür stehen, bittet der sie nicht herein, sondern holt seine Jacke, und sie gehen in ein kleines Café und die Ecke.
Ethan hätte es wissen müssen. Totz seiner großspurigen Behauptung wollen die Worte erst mal eine ganze Weile nicht kommen. Aber irgendwann platzt er doch mit der Frage heraus, ob Alan an Weihnachten von irgendwas gebissen worden sei.
Alan bedenkt sein Gegenüber mit einem aufgebrachten Blick. “Was geht dich das an?” ‘Du bist mein Bruder’, sagen Ethans Augen indigniert, aber der Jüngere spricht schon weiter. “Und woher weißt du das überhaupt?”
“Verband gesehen”, brummt Ethan.
“Nein, woher weißt du, dass mich was gebissen hat?”
“Hat es denn?”
“Ja”, gibt Alan widerwillig zu. Ein paar Tage vor Weihnachten habe ihn im De Witt-Clinton-Park ihn alte obdachlose Lady gebissen, als er sie ansprach, weil er dachte, sie brauche Hilfe. “So richtig fies gebissen”, ereifert Alan sich. “So richtig ein Stück aus meinem Arm raus.”
Ethan nickt ernst, als er die Bestätigung für das bekommt, was sie ja schon vermutet hatten.
“Deswegen”, erklärt er.
“Deswegen was?”
“Aussehen wie du. Und die Kids weggelockt.”
Alan sieht ihn an wie einen völlig Wahnsinnigen, und auch sein Tonfall ist ungläubig, aber vorsichtig, als er fragt:
“Du willst mir also sagen, es gäbe irgendein Wesen, das das Aussehen von Leuten annehmen kann, weil es jemanden gebissen hat?”
“Genau”, antwortet Ethan, absichtlich verschwenderisch mit den Silben, damit auch ja kein Zweifel aufkommt.
“Und dass dieser jemand mein Aussehen kopiert hat und mit meinem Aussehen die Jugendlichen irgendwohin mitgenommen hat?”
“Genau”, bestätigt Ethan wieder.
“Das ist ja verrückt.”
“Warum?” fragt Cal. “Waren Sie es etwa, der mit den jungen Leuten weggegangen ist?”
Empört schüttelt Alan den Kopf. Nein, das wäre unethisch, erklärt er im Brustton der Überzeugung. Er habe nur im Park, wo viele der Kids gerne herumhingen, einige der Jugendlichen in das nahegelegene Jugendzentrum geschickt.
“Siehst du”, sagt Ethan. “Wurden aber weggelockt. Von was, das aussah wie du.”
Und weil er gerade so schön in Fahrt ist, und weil er angekündigt hat, er wolle Tacheles reden, platzt Ethan impulsiv heraus: “Du willst wissen, warum ich nicht gesagt habe, was damals los war? Wegen ganz genau sowas.”
Sein Bruder verzieht keine Miene, und sein Tonfall bleibt bemüht flach. “Wegen sowas.”
Ethan nickt. “Ich wurde von ‘nem Monster verfolgt. Aber Monster konnt ich nicht sagen.”
“Aha”, macht Alan, noch immer mit genau demselben flachen Tonfall, “ein Monster. Das hat dich verfolgt. Und das ist dann gestorben.”
“Ja”, bestätigt Ethan.
“Aber du hast es nicht umgebracht.”
“Nein.”
Bevor Ethan eine nähere Erklärung zu den näheren Umständen abgeben kann, schaltet Cal sich ein. “Das Ding hab ich erledigt”, sagt er trocken, und Ethan ergänzt: “Weil ich’s verbockt hab.” Sein Ersatzvater zuckt mit den Schultern. “Kommt vor.”

Jetzt sieht Alan noch mehr so aus, als wolle er den gemeingefährlichen Irren nicht weiter reizen. Leise murmelt er etwas von wegen “Dad hatte doch recht wegen der Therapie”, dann schlägt er in lauterem Ton sarkastisch vor, Ethan solle mal einen Termin bei einem Psychiater machen, er habe da ganz offensichtlich was aufzuarbeiten. Dann wirft er ein paar Dollar für seinen Kaffee auf den Tisch, schnappt sich seine Lederjacke von der Stuhllehne und geht.

“Drecksmist”, murmelt Ethan, während er seinem Bruder hinterhersieht und seine beiden Gefährten ihm einen fragenden Blick zuwerfen. “Sollen wir ihn gehen lassen?” fragt Emily vorsichtig, und Ethan nickt. “Hilft ja nix.” So wie der gerade drauf ist, würde er nur noch abweisender reagieren.
Auf Alan aufpassen müssen sie aber, sind sich alle drei einig, falls der Ghul es eben doch auf ihn abgesehen hat und ihn umbringen kommt. Also bezahlen sie ebenfalls schnell ihre Rechnung und gehen dem jüngeren Gale nach, der gerade in sein Auto steigt, als sie aus dem Café kommen.
Gibt’s nur eins: hinterher. Zwar kennt Alan den Pickup seines Bruders, aber entweder fällt ihm nicht auf, dass er verfolgt wird, oder es ist ihm schlichtweg egal, denn er fährt ohne Umwege zum DeWitt-Clinton-Park, sucht sich dort einen Parkplatz und fängt an, die Grünanlage zu beobachten. Offensichtlich hat ihn, trotz seiner verächtlichen Reaktion im Café, doch das Misstrauen gepackt.

Ethan zögert. Er ist sich alles andere als sicher, was jetzt die beste Option wäre. Alan unbemerkt beobachten und nur eingreifen, falls der Ghul zuschlagen sollte? Ihn einfach in Ruhe lassen, wegfahren und sich um die Lifecoach-Sache kümmern? Oder rübergehen und seinen Bruder nochmal konfrontieren?
Er ist noch am Zaudern, da klingelt Emilys Telefon. Von der Person am anderen Ende kann Ethan nur eine helle, aufgeregte Stimme ausmachen, dann fragt Emily: “Jenny?” und hört einige Sekunden lang mit zunehmend besorgtem Gesicht zu, bis die undeutliche Stimme aus dem Hörer jäh abbricht. “Jenny?” hakt die Jägerin nach, dann nochmal, klar alarmiert jetzt: “Jenny??”, und legt schließlich auf.
“Der Ghul hat sie”, erklärt Emily knapp. “Irgendein Gebäude am Pier, Officer Gale hätte gesagt, sie solle da rein, und dann brach es ab.”

Das beendet Ethans Zögern. Ohne ein weiteres Wort springt er aus dem Nissan und überquert die Straße, klopft an die Scheibe von Alans Auto. Der sieht auf und verzerrt das Gesicht zu einer wütenden Grimasse, als er seinen Bruder erkennt. “Was jetzt?” zischt er aufgebracht, nachdem er das Fenster ein Stück heruntergelassen hat, “Kannst du mich nicht mal eine M–”, aber Ethan fällt ihm ins Wort. “Dein Doppelgänger schlägt gerade zu – du musst ein Handy orten lassen!”
Alan starrt ihn an. “Was sagst du da?” “Dein Doppelgänger”, wiederholt Ethan, “Mädchen entführt. Zwei Minuten her. Angerufen, dann abgebrochen. Irgendwo am Pier, aber der Hafen ist groß. Könnte sonstwo sein. Also Handy orten. Vielleicht ne Chance, sie zu retten.”
Alans Miene wandelt sich von Wut zu… Zweifel? Zögern? Unbehagen? Etwas. “Ethan, ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst, aber ich kann nicht einfach so auf das Wort eines Zivilisten hin eine Handyortung in Auftr–”
“Drei Minuten, Alan! Keine Zeit!”
Sein Bruder kommt zu einer Entscheidung. Nickt knapp. „Es ist ja offenbar Gefahr im Verzug. Welche Nummer?”

Kurze Zeit später bekommt Alan eine Antwort auf seine Anfrage. Der Ortung zufolge scheint das Telefon sich am oder im Hudson River zu befinden – kein Wunder, wenn der Alan-Ghul Jenny das Gerät abgenommen und ins Wasser geworfen hat.
“Wo genau?” fragt Ethan drängend, aber sein Bruder schüttelt den Kopf. “Sage ich euch unterwegs. Ich komme mit.”
“Vergiss es”, ist Ethans unmittelbare Reaktion, “das ist zu gef–”, aber diesmal fällt Alan ihm ins Wort.
“Nein, du vergiss es! Ich werde euch da sicherlich nicht alleine hingehen lassen! Es ist ohnehin mehr als unorthodox, dass ich euch überhaupt mitnehme! Und komm mir nicht mit zu gefährlich – bist du der Polizist oder ich? Okay, vielleicht hast du irgendwelche Connections zum FBI, aber ihr seid immer noch Zivilisten, verdammt!”
Drecksmist. Den bekommt er nicht überzeugt. Und es geht ja wirklich um jede Sekunde! Ethan zerbeißt einen Fluch zwischen den Zähnen, nickt seinem Bruder zu und hält ihm die Tür zum D21 auf. Weder Emily noch Caleb wirken besonders erfreut darüber, dass ein Zivilist – heh, die Ironie – in den Mist hineingezogen wird, aber das ist jetzt nicht zu ändern.

An dem Gebäude, das dem Ortungspunkt des Handys am nächsten ist, steht was von Schlachthaus. Spuren von Gerangel in der dünnen Schicht Schnee auf dem Boden. Da muss der Alan-Ghul Jenny das Telefon abgenommen und weggeworfen haben, dann das Mädchen hineingezerrt.
Drei Eingänge. Ein großes Tor für Lastwagen, eine Seitentür in die Werkshalle. Und auf der anderen Seite eine Tür zu was, das wie ein Wohnbereich aussieht.

Cal fragt: “Wir machen wir’s?”, was ihm einen ungehaltenen Blick von Alan einbringt. “Sie machen gar nichts. Ich rufe jetzt Verstärkung.”
Eine Sekunde später stößt er einen herzhaften Fluch aus. “Was?” will Ethan von seinem Bruder wissen, und der flucht gleich nochmal. “Ich hab’ in der Hektik mein Funkgerät im Auto gelassen – in meinem eigenen Auto, meine ich. Am Park!”
Also keine Verstärkung. Auch wenn Ethan es nicht laut sagt: besser so. Immerhin geht es um einen Ghul, den sie zur Strecke bringen müssen.

Cal sagt, er nimmt den Seiteneingang. Emily will zur Wohnungstür. Bleibt das LKW-Tor für Ethan. Soll ihm recht sein. Aber erst holt Emily noch ihren Bogen aus dem Nissan, Ethan die Weatherby, auch wenn ihm überdeutlich bewusst ist, dass man in New York City für alle Arten von Waffen ein Carry Permit benötigt. Alan zieht ein resigniertes Gesicht und übersieht den Gesetzesbruch geflissentlich, genauso wie die Tatsache, dass sein großer Bruder mit ziemlicher Wucht das Tor aufhebelt. Zieht seine Dienstpistole und tritt neben Ethan. “Denk nicht mal dran”, erklärt er vehement mit einem Blick auf Ethans skeptisches Gesicht, “ich bleibe nicht draußen. Polizist, schon vergessen?”
Drecksmist.
“NYPD, wir sind bewaffnet und kommen jetzt herein”, sagt Alan pro forma sein Sprüchlein auf. Folgt Ethan dann in das Schlachthaus, während im selben Moment der grelle Blitz einer Blendgranate davon zeugt, dass Cal die Seitentür aufgemacht hat.

Erst kommen sie in eine Ladehalle. Dann in einen Kühlraum. Dort hängen zahlreiche Schweinehälften an Fleischerhaken – Menschen auch, aber das scheint Alan zum Glück nicht zu bemerken. Ein Rolltor zwischen dem Kühlbereich und dem, was dahinter liegt. Nur heruntergelassen, nicht versperrt. Ethan schiebt es hoch, dann stehen sie im eigentlichen Schlachtraum.

Mit einem schnellen Blick versucht Ethan, die Situation zu erfassen. Auf einem metallenen Arbeitstisch im hinteren Teil des Raumes liegt die junge Jenny, gefesselt und blutüberströmt, aber noch am Leben, denn sie schreit hysterisch. Dahinter in der Wand eine weitere Tür. Irgendwelche okkulten Symbole drauf, aber auf die Schnelle kann Ethan nichts Genaues erkennen. Zwei Personen, ein Mann mittleren Alters und eine alte Frau – Scheiße. Nicht ein Ghul. Es sind zwei – haben Cal in der Mangel und prügeln ihn auf übelste Art und Weise zwischen sich hin und her, während der zu zielen versucht und in schneller Folge zwei Schüsse aus der Beretta abgibt. Einer davon trifft den männlichen Ghul am Arm, lässt den zurückzucken, aber behindert ihn nicht sonderlich. Alan wirkt erstaunlich gefasst – aber klar. Wie er schon sagte: er ist ein Cop und dafür ausgebildet. Erst murmelt er etwas von “die alte Lady aus dem Park”, dann, laut: “NYPD! Hände hoch!”
Als keiner der Ghule auf die Warnung reagiert, feuert Alan, aber beide Schüsse verfehlen ihr Ziel.

Plötzliche Bewegung aus einem Seitengang Richtung Wohnbereich. In hohem Bogen fliegt Emily in den Schlachtraum, verliert ihren Bogen und schlägt sich am Arbeitstisch den Kopf an. Au verdammt. Und in den Raum folgt ihr — Alan. Also der falsche Alan. Der Ghul. Keine zwei; es sind drei, verdammt!
Benommen richtet Emily sich auf. Schüttelt den Kopf, um ihn klar zu bekommen. Rappelt sich dann auf und stürmt mit einem wütenden Aufschrei auf Alan los — aber in ihrer Benommenheit auf den echten, statt den Doppelgänger. Mit der vollen Wucht ihrer nicht unbeträchtlichen Kraft und bevor Ethan sie daran hindern kann, schleudert die Jägerin den vermeintlichen Gegner weg — und genau auf einen Fleischerhaken, der da liegt und sich mit einem hässlichen Geräusch in den Rücken seines Bruders bohrt.
“Alan!!”

Mit zwei schnellen Schritten ist Ethan an Alans Seite. So lange müssen Em, die jetzt erst realisiert, was sie getan hat, und dem echten Alan einen entsetzten Blick zuwirft, bevor sie sich mit neuem Elan auf den wahren Gegner stürzt, und Cal noch durchhalten. Alan sieht mit glasigen Augen zu ihm auf, dann zu seinem Doppelgänger hinüber. “D…”
“Shhhh”, macht Ethan und dreht seinen Bruder vorsichtig auf die Seite. “Nicht bewegen.” Ein paar eilige Handgriffe, um Alan wenigstens soweit einigermaßen zu stabilisieren, dann greift er endlich selbst in den Kampf ein. Emily muss alleine mit dem falschen Officer Gale klarkommen; Cal, der schon ziemlich mitgenommen aussieht, hat zwei Ghule am Hals, und die Drecksviecher wirken verdammt zäh.

Ethan reißt die Weatherby hoch und prügelt sie dem Monster mit aller Kraft gegen den Schädel. Die Drecksviecher sind verdammt zäh. Der Streifschuss, den Cal dem Ghul schon verpasst hat, scheint ihm rein gar nichts auszumachen, und auch Ethans Kolbenhieb stört das Mistvieh nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Der Ghul wendet sich von Caleb ab und Ethan zu, packt ihn, hebt ihn hoch und schüttelt ihn durch wie eine Stoffpuppe, bevor er ihn heftig von sich stößt. Scheiße. Nicht nur zäh. Verdammt stark und verdammt schnell dazu.

Während Cals nächster Schuss dem Monster den halben Arm wegreißt, findet Ethan einigermaßen sein Gleichgewicht wieder. Rammt dann den Kolben der Weatherby frontal in die Stirn des Gegners, und endlich fällt der um. Einer außer Gefecht. Zwei übrig.

Der Alan-Ghul blutet inzwischen auch schon aus mehreren tiefen Wunden, die Emily ihm mit ihrem Messer beigebracht hat. “Schnapp dir deinen Vater, wir müssen verschwinden!” ruft seine Mutter ihm zu, und das jüngere Monster macht Anstalten, genau das zu tun. Aber nein. Nix da.
Ethan fährt zu dem Ghul herum. Richtet die Waffe auf ihn. Und zögert. Verdammt! Das Vieh sieht aus wie Alan. Er bringt es verdammt nochmal nicht über’s Herz, abzudrücken und auf eine Kreatur zu schießen, die aussieht wie sein kleiner Bruder, und wenn Ethan hundertmal weiß, dass das da nicht sein Bruder ist!

Ein Schuss peitscht auf, und dem falschen Alan fliegt der Kopf nach hinten. Zwei erledigt. Cal wechselt einen knappen Blick mit Ethan, bevor beide sich der Ghulfrau zuwenden, die jetzt doch nicht flieht, sondern wütend aufheult. Ethan ist näher an ihr dran als Cal – oder besser, die Ghulin ist näher bei ihm als bei seinem ehemaligen Ziehvater. Mit übermenschlicher Kraft packt sie Ethan und wirft ihn gegen die Wand, und Ethan spürt, wie von der Wucht des Aufpralls mindestens eine Rippe bricht.

Während er sich aufrappelt, geht Emily auf das Monster los, fügt ihm aber keinen nennenswerten Schaden zu. Auch Cals nächster Schuss behindert die Ghulin nicht groß, ebensowenig wie die Tatsache, dass Ethan ihr den Kolben der Weatherby in den Brustkorb rammt. Gebrochene Rippen für gebrochene Rippen, oder so.
Aber er ist immer noch am nächsten dran – und immer noch die Zielscheibe. Mit einem animalischen Fauchen greift die Bestie Ethans rechten Arm mit beiden Händen, fletscht die Zähne und ruckt. Ein glühender Schmerz rast durch Ethans Arm, als mit einem ekelhaften Geräusch der Knochen bricht und die Haut aufreißt und er mit einem Mal die Weatherby nicht mehr richtig halten kann. Nicht mehr zuschlagen. Einarmig versucht Ethan das Gewehr hochzureißen, die Ghulfrau ins Visier zu bekommen, aber seine Sicht verschwimmt, und sein blind abgefeuerter Schuss geht weit, weit daneben.
Das Monster packt ihn fester. Natürlich genau auf den offenen Bruch, und für einen Moment wird Ethan schwarz vor Augen. Die Ghulin beugt sich vor, öffnet den Mund weit, was einen seltsam faulig-süßlichen Geruch an Ethans Nase dringen lässt – Fleisch, das ist Menschenfleisch, das so riecht – , und das letzte, was er spürt, bevor die Lichter ausgehen, sind die Zähne der Bestie, die sich in seine Seite schlagen.

So halb kommt Ethan zu sich, als jemand ihn vorsichtig an der unverletzten Schulter berührt. Cals Stimme. “Krankenwagen kommt. Durchhalten, hörst du?” Ethan nickt, kriegt irgendwie die Augen auf und den Kopf hoch. Sieht sich um. Die Ghule sind tot, alle drei. Emily schlägt dem letzten, der überhaupt nicht mehr aussieht wie Alan, gerade den Kopf ab. Aber die sehen alle nicht mehr aus wie vorher, kommt es ihm vor. Alan scheint einigermaßen bei Bewusstsein. Alle überlebt, Himmel sei Dank. Sogar Jenny, wie es aussieht. Puh. Aber die Anstrengung ist schon wieder zu viel. Ethan lässt den Kopf zurück auf den Betonboden sinken, während Cal sagt: “Em und ich hauen ab. Ist besser. Und keine Sorge. Dein Gewehr nehm ich mit.”
Dunkelheit.

Ganz unterschwellig ist Ethan sich dessen bewusst, als er hochgehoben und auf eine Trage geladen wird. Dann, dass sich unter ihm ein Fahrzeug bewegt. Aber so richtig wacht er erst im Krankenhaus wieder auf.
Der rasende Schmerz in seinem Arm ist einem dumpfen Pochen gewichen. Sein Brustkorb sticht leicht bei jedem Atemzug von den gebrochenen Rippen, und die Stelle in seiner Seite, wo die Ghulin ihn gebissen hat, fühlt sich heiß und geschwollen an und wie ein völliger Fremdkörper, aber auch sie tut nicht arg weh. Schmerzmittel. Die haben ihm garantiert irgendwelche Schmerzmittel gegeben.

Im Zimmer ist es dunkel, draußen auf dem Gang alles ruhig. Später Abend? Nacht?
Ethan richtet sich vorsichtig auf, wirft einen Blick um sich. Normales Doppelzimmer, keine Intensivstation. Ein dunkler, wohlbekannter Haarschopf im Bett neben ihm. Oh Himmel sei Dank. Mit Rückenverletzungen ist nicht zu spaßen.

Alan muss die Bewegung mitbekommen haben und war wohl selbst auch nicht am Schlafen, denn jetzt dreht er sich zu Ethan um. Verzieht das Gesicht zu einer im Dunklen nur zu erahnenden Miene, und auch seine Stimme ist schwer zu deuten. “Monster. Es gibt Monster. Scheiße.”
Ethan sieht kurz zu Alan hinüber, unsicher, ob sein Bruder eine Antwort erwartet oder nicht. Vermutlich schon. Der braucht jetzt eine Bestätigung, dass er das nicht alles nur geträumt hat. “Mhmm.”
“Und du… du hast öfter mit sowas zu tun.”
Okay, das war jetzt definitiv eine Frage. “Mhmm”, bekräftigt Ethan wieder und hat keine Ahnung, wie seine Stimme klingen wird, bis er den Mund aufmacht und die Worte rauskommen. Heiser klingt sie. Huh. “Ständig. Nicht reinziehen. Deswegen.” Er zögert, wirft Alan noch einen Blick zu. Schluckt. “Bin froh. Dass…“ Scheiße. Dass dir nichts passiert ist? Wohl kaum. Dass es dir gut geht? Auch nicht. Es geht Alan ja nicht gut. Dass du am Leben bist? Ja. Das kommt hin. “Dass… Dass du…” Ach, Drecksmist. “Dass.”

“Mmmhm”, macht Alan jetzt seinerseits. Dreht sich wieder ein bisschen, und trotz der Dunkelheit im Zimmer kann Ethan sehen, dass er bei der Bewegung schmerzhaft das Gesicht verzieht. “Scheiße. Was sagt man den Leuten in so einem Fall?” Alans Stimme ist anzuhören, dass es ihm gar nicht passt, seinem älteren Bruder diese Frage stellen zu müssen, und Ethan verzieht seinerseits das Gesicht. “Nichts von Monstern.”
“Dachte ich mir. Okay. Am besten so knapp wie möglich.”

Und genauso halten sie es, als sie am nächsten Tag getrennt voneinander befragt werden. Ethan zumindest gibt sich große Mühe, vollständig zu formulieren und sich nicht noch verdächtiger zu machen, als seine Beteiligung bei der Aktion sowieso schon wirken muss. Vermeidet jeden Hinweis auf Ghule, bleibt strikt bei Mördern und Kannibalen und redet sich darauf hinaus, dass alles so schnell ging und er sich nicht mehr richtig erinnern kann. Und weil er nicht verhaftet wird, muss Alan es ähnlich gehalten haben. Cal und Emily hat er wohl gar nicht erwähnt, denn von denen fällt bei der Befragung von Ethan kein Wort.

Mom und Dad kommen auch ins Krankenhaus. War ja klar. Sind völlig entsetzt. War genauso klar. Sie sehen all ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, würden beide Söhne am liebsten in Watte packen. Denen gegenüber beschränken die Brüder sich auf unbestimmte Erzählungen von einer Gang. Definitiv nichts von Monstern jedenfalls.

Sobald ihre Eltern gegangen sind, verfallen Alan und Ethan wieder in unsicheres Schweigen. Wechseln gelegentlich hier einen Blick, da ein Wort. Fluchen beide über den fürchterlichen Tee, den sie zum Essen bekommen. Die Atmosphäre in dem Patientenzimmer ist … seltsam, aber vielleicht ist ein Anfang gemacht. Vielleicht.

Einige Tage später, nach einer Operation und mit dem ganzen Arm in Gips, hält Ethan es nicht mehr aus. Entlässt sich selbst, obwohl die Ärzte ihn lieber noch ein paar Tage im Krankenhaus behalten hätten. Aber da steht ja noch die Sache mit den Selbstmördern aus, auf die Sofia Pacelli sie angesetzt hat, und die Sache möchte Ethan seine beiden Jägerkollegen nicht alleine angehen lassen. Da war eine Lifecoach im Spiel, und Ethans Instinkt schreit ‘Hexe’.

Cal und Emily haben auch tatsächlich auf ihn gewartet, sind dem Fall noch nicht weiter nachgegangen. Gemeinsam fahren sie zu der Adresse, die sie von Sofia bekommen haben. Cal muss ans Steuer: Mit einem Arm fährt es sich so schlecht, und der Nissan hat ein Schaltgetriebe.

In der Lifecoach-Praxis lässt die Empfangsdame sie wissen, dass Ms. Carter ohne Termin keine Kunden empfängt. Dass sie seit kurzem aber ohnehin gar keine neuen Mandanten mehr annimmt. Keine neuen Mandanten, und mit den bestehenden macht sie zurzeit auch keine Termine aus. Ach ja? Das ist ja interessant. Ethan setzt das bemitleidenswerteste Gesicht auf, das er zustande bringt, lässt der jungen Lady ein schiefes Lächeln zukommen und murmelt etwas von “wichtig” und “brauchen”. Sie erwidert das Lächeln und erklärt bedauernd, es gehe derzeit nicht, weil das Parfüm, das Ms. Carter ihren Kunden immer empfohlen habe, gerade unter einem Lieferengpass leide. Aber, und jetzt schenkt sie Ethan noch ein Lächeln, vielleicht sei Ms. Carter ja bereit, eine Ausnahme zu machen und ihn auch ohne Termin und ohne Parfümempfehlung zu empfangen. Spricht’s, lächelt Ethan noch einmal an – was dem einen Schub von schlechtem Gewissen den Rücken hinunterjagt – und gibt ihrer Chefin bescheid.

Ms. Carter ist nicht amüsiert. So überhaupt nicht. Mit arroganter Miene kommt sie – Anfang Dreißig, blond, kühl, erfolgsverwöhnt – in das Vorzimmer gestiefelt und staucht, anwesende Fremde oder nicht, ihre Angestellte auf bitterböse Weise zusammen, bevor sie die Jäger mit giftig blitzenden Augen hochkant hinauswirft und wieder in ihrem Büro verschwindet.
Die Empfangsdame wirft ihrer Chefin einen finsteren Blick hinterher und bittet die Jäger mit bedauernder Miene, vor allem in Richtung Ethan, doch jetzt besser zu gehen. Sie gehen auch. Aber nicht, bevor die junge Dame Ethan nicht noch auf die Frage antwortet, was das denn eigentlich für ein Parfüm gewesen sei, das Ms. Carter immer empfohlen habe. Ein Herrenduft namens ‘Success’, erfahren sie, erhältlich in einer kleinen, exklusiven Parfümerie im East Village. Aber da gebe es eben seit kurzem Probleme mit der Lieferung.

In der besagten Parfümerie bestätigt die Angestellte, dass es bei ‘Success’ gerade Lieferschwierigkeiten gebe. Es sei eine kleine, sehr exklusive Parfümmarke, und der Verkaufsberater habe auch immer nur diesen einen Duft vertrieben, keine weiteren. Der Duft sei vor allem von Männern gekauft worden, bestätigt sie auf weitere Nachfrage – also eigentlich tatsächlich nur von Männern, und auch nur von Männern, die alleine in den Laden gekommen seien, nie von männlichen Kunden in Begleitung einer Frau. Für die Verkäuferin selbst habe der Duft eigentlich ziemlich unangenehm gerochen, aber das sei ja vielleicht so eine typische Männersache. Ob der Name ‘Ms. Carter’ ihr etwas sage, wollen die Jäger wissen, aber das ist nicht der Fall. Oder jedenfalls nicht so richtig. Nach ein bisschen Überlegen kommt sie darauf, dass der Name ‘Carter’ vielleicht einmal gefallen sein könnte, da habe die Verkäuferin aber gedacht, das sei eine Freundin oder Bekannte. Kein Lifecoach jedenfalls, und einen direkten Kontakt ihrerseits zu der Parfümerie gab es nicht. Aber jetzt sei der erwartete Besuch des Verkaufsberaters schon einige Tage überfällig; die Kunden seien schon ganz ungeduldig und warteten auf die nächste Lieferung.

Und dann fällt der Angestellten noch ganz von selbst etwas ein. Das mit dem Außendienstler für das Parfüm sei ein bisschen seltsam gewesen, vertraut sie den Jägern an, sie hatte eigentlich gedacht, er sei tot. Die haken natürlich sofort nach. Warum sie das gedacht habe? Das habe sie einfach irgendwo gehört, aber dann sei der Mann doch quicklebendig wieder in ihrem Laden erschienen, also habe sie das wohl einfach doch nur irgendwie verwechselt. Ja klar. Das mag die Frau gerne denken, aber alle drei Jäger denken sofort dasselbe: Das war einer von den Ghulen! Und von der Beschreibung her, die sie sich von der Verkäuferin dann noch geben lassen, klingt der Außendienstmitarbeiter auch stark nach dem älteren Ghul aus der Schlachthalle.

Erst als sie draußen vor dem Laden stehen, fällt Ethan auf, dass sie gar nicht gefragt haben, ob der Vertriebsmann das Parfüm namens ‘Success’ erst seit seinem überraschenden Wiederauftauchen im Programm gehabt habe bzw. ob es auch vorher schon das einzige Produkt auf seiner Liste gewesen sei. Gefragt haben sie es nicht, aber die Vermutung liegt nah, und dass die nächste Lieferung nicht eintrifft, lässt ja einen Zusammenhang mit dem Tod der Ghule vermuten. Drecksmist, elender. Die Rumpelstilzchen-Selbstmorde stehen in Zusammenhang mit den Knochenfunden! Das waren keine zwei Fälle. Das war einer!

Mit diesem neuen Wissen bewaffnet, statten sie Ms. Carter noch einen Besuch ab. Diesmal aber gehen sie nicht hoch in ihre Praxis, sondern fangen die Lifecoach ab, als sie nach dem Ende ihres Arbeitstages in die Tiefgarage kommt.

Höhnisch sieht die Blondine die drei Jäger an. “Was wollen Sie denn noch?”
Tja. Sie dazu bringen, dass sie zugibt, mit den Ghulen gemeinsame Sache gemacht zu haben. Herausfinden, ob die Lifecoach-Gemeinsamkeit mit Coleen Greyling tatsächlich etwas zu bedeuten hat.
Aber weder Cal als auch Emilys Einschüchterungsversuche noch Ethans direkter Ansatz, mit dem er Lindsay Carter unverblümt auf den Kopf zusagt, eine Hexe zu sein, haben auch nur irgendeinen, sei es noch so kleinen Effekt; im Gegenteil. Auf Emilys dann folgende direkte Drohung bedroht sie die Jägerin sogar eiskalt und nicht im Geringsten beeindruckt zurück. Dann steigt sie gelassen in ihr Auto – natürlich ein teurer, schneller Schlitten – und fährt mit elegantem Schlenker davon.
Drecksmist, elender. Wobei. Dass die Tante so cool geblieben ist, sagt ihnen im Prinzip auch schon was.

Stellt sich nur die Frage: Was jetzt? Carter folgen und sie einkassieren, oder lieber zum Schlachthaus, nach Beweisen für die Parfümproduktion suchen? Da war ja auch noch diese andere Tür mit den okkulten Symbolen, für die während des Kampfes mit den Ghulen keine Zeit war. Nach dem Kampf auch nicht – Ethan war außer Gefecht, und die anderen beiden haben sich abgesetzt. Aber jetzt ist Zeit. Lindsay Carter läuft nicht weg. Die möglichen Hinweise in der Schlachthalle aber vielleicht schon.

Als sie am Hafen ankommen, ist das ganze Gebäude mit Polizeiband abgesperrt, und gerade werden die Schweinehälften aus dem Kühlraum getragen. Da kommen sie jetzt nicht rein. Keine Chance.
Aus einiger Entfernung, damit sie nicht gesehen werden, ruft Ethan bei seinem Bruder an. Von Alan erfährt er, dass die Polizei in dem Raum mit den Symbolen ein Labor gefunden hat, in dem wohl aus menschlichen Überresten irgendwelche Substanzen extrahiert wurden. Natürlich. Das Parfüm.
Außerdem seien Fingerabdrücke gefunden worden, spricht Alan weiter, die bisher nicht identifiziert worden seien, aber vermutlich zu einer Frau gehörten.
Ethan nickt, auch wenn das am anderen Ende der Leitung nicht zu sehen ist. “Lindsay Carter”, sagt er. “Lifecoach.”
Aus dem Telefon ist ein Schnauben zu hören. “War das jetzt ein anonymer Tip?”
Trotz allem muss Ethan schmunzeln. “Genau.”

Es ist Emily, die Lindsay Carters Auto in der Nähe stehen sieht, während Ethan noch telefoniert. Vorsichtig gehen die Jäger näher, aber die Mühe hätten sie sich gar nicht machen müssen. Die Lifecoach auf dem Fahrersitz ist so auf den Schlachthof konzentriert, dass sie gar nicht bemerkt, wie sie beobachtet wird. Sie ist auf den Schlachthof konzentriert – und auf die Taube, die ihr auf den Knien hockt und mit der sie in ein stummes Zwiegespräch versunken zu sein scheint, ganz so, als gebe sie dem Tier gerade die Anweisung, in das Gebäude hineinzufliegen und sich dort umzusehen. Aha! Erwischt!

Carter ist so vertieft, dass sie nicht einmal wahrnimmt, als Cal an das Auto herantritt und durch das Fenster hindurch die Taube auf ihrem Schoß erschießt. Der Tod ihres Vertrautentieres nimmt die Hexe derart mit, dass sie völlig außer Gefecht ist und sich überhaupt nicht wehrt, als die Jäger sie fesseln und knebeln. Ist zwar extrem unwahrscheinlich, aber nicht, dass sie auch ohne ihren Vertrauten noch zaubern kann.

“Sie ist eine Hexe”, zischt Emily, “bringen wir sie um”, aber Ethan schüttelt den Kopf. Carter ist nicht gealtert, als ihre Taube starb, sondern geblieben, wie sie war. “Mensch”, sagt er knapp. “Und: Kein Vertrauter. Kann nicht zaubern.”
“Das Risiko können wir nicht eingehen”, argumentiert die junge Jägerin, “die hat sich schnell ein neues gezähmt.”
“Quark”, erwidert Ethan. “Fingerabdrücke, Mordanklage. Gefängnis. Lange Zeit. Keine Tiere. Keine Gefahr.”
Aber Emily ist nicht überzeugt. “Dann zähmt sie sich im Gefängnis eine Ratte oder Kakerlake, und schon hat sie wieder ein Vertrautentier. Und überhaupt, sie ist eine Hexe und damit viel zu gefährlich, um sie am Leben zu lassen!”

Ethan öffnet gerade den Mund zu einer weiteren, hitzigeren Erwiderung als eben, da verändert sich etwas in Cals Gesicht. Nimmt sein Blick wieder diesen kalt-kalkulierenden Ausdruck an, den er schon in Wyoming hatte. Und dann hält er Carter die Beretta an den Kopf und drückt ab, bevor Ethan auch nur Anstalten machen kann, seinen Ziehvater aufzuhalten.

Einen endlosen Herzschlag lang wird Ethan gar nicht richtig bewusst, was gerade geschehen ist. Fassungslos wirft er einen Blick auf die tote Hexe, starrt dann den älteren Jäger an, schließlich Emily, die zwar etwas beunruhigt, aber gar nicht unzufrieden mit dieser Entwicklung der Dinge aussieht. Merkt, wie sein eigenes Gesicht einfriert. Ohne ein weiteres Wort wendet Ethan sich ab. Und geht.

Scheiß auf den Gipsarm. Scheiß darauf, dass sie mit dem D21 hier sind und die anderen beiden jetzt irgendwie anders wegkommen müssen. Mit zusammengebissenen Zähnen steigt Ethan in seinen Pickup und fährt mühevoll und extrem vorsichtig die Dreiviertelstunde nach Tappan.

Mom und Dad sind natürlich wieder entsetzt. Er hätte nicht fahren sollen mit seinem Arm, er hätte noch im Krankenhaus bleiben sollen, er hätte, er hätte, er hätte. Aber sie meinen es ja gut. Auch wenn es anstrengend ist.
Während seines Aufenthalts bei seinen Eltern redet Ethan nochmal unter vier Augen mit Alan, der tatsächlich auch nach Tappan kommt. Haben Mom und Dad ihn wohl auch drum gebeten, oder so. Die erste Frage, die sein Bruder stellt, ist, ob der Rest der Familie auch wirklich nichts weiß. Nein, verdammt. Natürlich nicht. Dass es Monster gibt, muss Alan, trotz seiner vergleichsweise gelassenen Reaktion im Krankenhaus, aber auch erstmal verdauen. Das, und dass die Existenz von Monstern der Grund war, warum Ethan damals nicht zurückgekommen ist. Oh, und dass sein großer Bruder unter die Monsterjäger gegangen ist und jetzt regelmäßig mindestens mal die Grauzone des Gesetzes streift, um nicht zu sagen öfter mal richtig übertritt. Gelingt ihm alles nicht so gut. Einen Anfang mögen sie im Krankenhaus gemacht haben, aber ihr Verhältnis bleibt… naja. Angespannt. Dass Alan sich für die Aktion im Schlachthof von Polizeiseite einerseits eine Belobigung, gleichzeitig aber auch eine Rüge eingefangen hat, macht die Sache auch nicht so unbedingt besser.

Die Nachrichten verfolgt Ethan in diesen Tagen auch sehr aufmerksam. Aber es ist nichts zu hören von der Leiche einer Frau, die am Hafen gefunden wurde, und auch von Alan kommt keinerlei Misstrauen, nur irgendwann die Bemerkung, dass Lindsay Carter nicht mehr in ihrer Praxis oder Wohnung aufgetaucht sei und die Polizei davon ausgehe, dass sie wohl die Stadt verlassen habe und untergetaucht sei.

Etwa um die Zeit schickt Ethan eine SMS an Emily, ob sie gut aus New York weggekommen sei. Die Antwort, die zurückkommt, ist ebenso knapp gehalten, beruhigt ihn aber: Ist sie. An Cal schreibt er nicht. Und der meldet sich auch nicht.

Knapp eine Woche lang hält Ethan es bei seinen Eltern aus. Aber dann treibt ihre gut gemeinte Fürsorge ihn schier in den Wahnsinn, und irgendwann flüchtet er, fünf Stunden Fahrt nach Vermont hin oder her. Es ist hauptsächlich Interstate, ohne viel Schalten, das kriegt er auch mit dem Arm in Gips hin.

Eine Weile später bekommt Ethan doch eine Nachricht von seinem alten Mentor. Cal bittet ihn um ein Treffen. Ethan ist entsprechend angespannt, als er in dem Roadhouse ankommt, aber der ältere Jäger ist wieder er selbst.
Grundsätzlich wusste Ethan ja schon von Calebs Problem mit dessen seelenlosen, kalten Phasen, aber jetzt erzählt der andere ihm, dass die inzwischen immer häufiger auftreten.
“Hast es in New York ja erlebt, wie ich dann drauf bin.”
In dem Zustand habe er auch noch schlimmere Sachen gemacht als das mit der Hexe, und er fürchte, das werde sich in Zukunft nur noch verschärfen.
“Scheiße”, macht Ethan. “Brauchen ne Lösung. Dringend.”
Cal schüttelt den Kopf. “Bisher hab ich keine gefunden, und glaub mir, ich habe gesucht. Sieht nicht so aus, als gibt es eine. Also…“ Ethans Ziehvater zögert. “Ich hoffe zwar, ich kann selber die Reißleine ziehen, sobald es notwendig wird, aber…” Mit ernstem Blick sieht Caleb ihn an. “Ich brauche dein Versprechen, Ethan. Sobald es kein Zurück mehr gibt… Versprich mir, dass du mich jagen kommst. Aber sei bloß vorsichtig dann.”

Einen Moment lang weiß Ethan nicht, was er sagen, wie er reagieren soll. Dann schüttelt er heftig den Kopf. “Nein. Ich geb dich nicht auf. Gibt Wege. Möglichkeiten. Pemkowet: Die haben versprochen, sie suchen auch. Muss die fragen. Und Nelson. Der ist an was dran.”
Cal fixiert ihn mit einem eindringlichen Blick. “Versprich es mir. Ich kann das nur dir anvertrauen.”
“Nein… Es muss…”
“Versprich es mir.”
Oh Dreck. Elender, gottverdammter Drecksmist.
“Na gut, verdammt. Ich versprech’s. Falls.”
“Sieht eher aus wie wenn.”
FALLS.”

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2 Antworten zu “Supernatural – Hell’s Kitchen, Revisited

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